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Mutter nach Tod ihres Sohns verurteilt

Ein Fünfjähriger stirbt an einer Darmverstopfung. Die Mutter hätte ihren Sohn mit einem Arztbesuch retten müssen, urteilen die Richter - lassen einige Fragen aber offen.

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Mutter (2.v.l) und Vater (2.v.r) eines verstorbenen Jungen stehen zu Beginn des Prozesses im Gericht. Links Anwalt Hans-Joachim Poick, rechts Anwalt Bernd Scheske.
Mutter (2.v.l) und Vater (2.v.r) eines verstorbenen Jungen stehen zu Beginn des Prozesses im Gericht. Links Anwalt Hans-Joachim Poick, rechts Anwalt Bernd Scheske. © Ralf Roeger/dpa

Aachen. Als der kleine Nico starb, war er zehn Tage lang nicht zur Toilette gegangen. Der Darm war mit einem dicken Kotklumpen verstopft und dadurch so geweitet, dass Bakterien austraten und das Bauchfell durch die Entzündung grün war. Jede Berührung tat dem Fünfjährigen weh, wie der Vorsitzende Richter Roland Klösgen sagte: Der Junge hatte demnach an seinem Todestag kolikartige Schmerzen.

Trotzdem sei die Mutter nicht mit ihm zum Arzt gegangen, stellten die Aachener Richter am Dienstag in ihrem Urteil fest. Sie verurteilten die 34-Jährige wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu vier Jahren und sechs Monaten Haft. Der 35-jährige Vater wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Richter ließen Revision zu.

"Sie erkannte die lebensbedrohliche Situation und dass das Kind möglicherweise verstirbt", stellte Richter Klösgen mit Blick auf die Mutter fest. Vielleicht habe sie die Hoffnung gehabt, mit einem Schmerzmittel die Zeit bis zum nächsten Tag überbrücken zu können, um dann mit dem Kind zum Arzt zu gehen. Vielleicht. Eine Erklärung für das Leiden des Jungen hatten die Eltern nicht gegeben. Sie schwiegen - drei Verhandlungstage lang.

"Die Mutter war mit der Pflege und Sorge ihrer Kinder überfordert", hatte Staatsanwalt Björn Petersdorf in seinem Plädoyer festgestellt: "Nico zeigte Zeichen der Unterernährung, alle Zähne waren bis zur Zahnwurzel mit Karies befallen, die Nägel waren krallenartig." Die Überforderung wertete das Gericht strafmindernd. Der Hilferuf eines Nachbarn beim Kinderarzt versandete. Eine anonyme Meldung beim Kinderamt wegen Kindeswohlgefährdung 2013 hatte keine Konsequenzen.

Das schmächtige Kind hatte schon früher Darmprobleme. Klösgen berichtete von der Aussage einer Kindergärtnerin über ein Gespräch mit der Mutter Monate vor dem Tod: "Fast wäre er (Nico) hopps gegangen, weil der Darm fast geplatzt wäre", habe die Mutter erzählt. Der Kinderarzt verschrieb ein Medikament, wie Klösgen sagte: Nachdem der Junge Anfang November 2017 tagelang nicht auf Toilette gehen konnte und Beschwerden hatte, gab sie das Mittel.

Nach einer kurzen Besserung spitzte sich die Situation am zweiten Tag danach zu. "Dem Tod des Nico ging ein mindestens 24-stündiger Kampf mit (...) nicht auszuhaltenden Schmerzen einher", sagte Staatsanwalt Petersdorf. Der Tod des Jungen wäre sogar noch am Nachmittag vermeidbar gewesen, als nach Angaben des Rechtsmediziners schon der "sichtbare Verfall des Kindes" einsetzte.

Die Kammer sei überzeugt, dass die Mutter dem Kind ein Schmerzmittel für Erwachsene gegeben habe, das später bei der Obduktion gefunden wurde, sagte Klösgen. Danach sei der Junge in einen Dämmerzustand gefallen. Aufgrund der ständigen Verschlimmerung habe aber keinerlei Anlass für die Annahme bestanden, dass das Mittel dem Jungen helfen würde, stellte das Gericht fest.

Der Verteidiger der Mutter sprach von einem "schicksalhaften Geschehen" in dem Fehlinterpretationen und Nicht-Wissen um die lebensbedrohlichen Zusammenhänge eine Rolle gespielt hätten. Er plädierte auf Freispruch.

Der Vater will nichts von dem Zustand des Jungen mitbekommen haben. Nach der Arbeit sei er wegen Durchfalls direkt ins Bett gegangen, hatte er bei der Polizei ausgesagt. "Die Kammer geht sicher davon aus, dass das eine Lüge ist", sagte Klösgen. Aber die Richter konnten das Gegenteil nicht beweisen.

Die Mutter habe den Abend mit dem sterbenden Kind vor dem Fernseher auf der Couch verbracht. Nach Einschätzung des Gerichts könnte sie geschlafen haben, als Nico starb. (dpa)