Von Ulrich Heyden,Sz-Korrespondent in Moskau
Hunderte von Menschen säumten die Straßen in der Innenstadt von Tbilissi, als der dunkle Sarg mit dem Leichnam des georgischen Ministerpräsidenten Surab Schwanija in einen Saal zur feierlichen Aufbahrung getragen wurde. Leibwächter hatten Schwanija gestern Morgen um halb vier Uhr tot in einer Wohnung des 25-jährigen Vize-Gouverneurs Raul Jussupow gefunden. Jussupow, der die Region Kwemo-Kartli leitet und ein Freund von Schwanija war, wurde ebenfalls tot aufgefunden.
Nach offiziellen Angaben sind beide Männer an einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung gestorben. Grund der Vergiftung soll eine aus dem Iran stammende Gasheizung „Nikala“ gewesen sein, die angeblich ohne Rauchabzug installiert worden war. Der Wohnungsbesitzer, der die Wohnung an Jussupow vermietet hatte, bestritt, dass die Heizung erst vor drei Tagen installiert wurde. Das Gerät sei vor drei Monaten eingebaut worden und habe einwandfrei gearbeitet.
Auch ein russischer Sicherheitsexperte äußerte Zweifel an der offiziellen Version. Gegenüber der Nachrichtenagentur Itar-Tass erklärte der Experte, es sei zweifelhaft, dass hochgestellte Persönlichkeiten Wohnungen aufsuchen, in denen es Sicherheitsgefahren gäbe. Probleme mit privat installierten Gasbrennern gibt es in Tbilissi, wo es seit 15 Jahren keine Fernwärme mehr gibt, immer wieder. In den letzten drei Jahren sind in der georgischen Hauptstadt 46 Menschen an Kohlenmonoxyd-Vergiftungen in Folge von fehlerhaft eingebauten Gasheizungen gestorben.
Schwanija hatte seinen Bekannten um Mitternacht aufgesucht. Angeblich wollte man eine Personalfrage besprechen und offenbar auch das beliebte kaukasische Brettspiel Narda spielen. Die Leibwächter warteten vor dem Haus. Als ihr Chef stundenlang nicht auf seinem Mobiltelefon antwortete, stiegen sie durch ein Fenster in die Wohnung. Schwanija saß zusammengesackt in einem Sessel im Wohnzimmer. Auf dem gedeckten Tisch stand das Brettspiel.
Der Gerichtsmediziner Lewan Tschatschua erklärte, an den Körpern der Toten seien keine Spuren von Gewaltanwendung gefunden worden. Nur an der Unterlippe von Schwanija habe man eine kleine Verletzung gefunden. Das vorläufige Ergebnis der Blutuntersuchung bestätigte die These von der Kohlenmonoxyd-Vergiftung.
Trotz der Version von der Gasvergiftung leiteten die Behörden ein Strafverfahren ein. In Tbilissi gibt es zahlreiche Stimmen, die die offizielle Version in Frage stellten. Surab Schwanija hatte im letzten Jahr einen scharfen Kampf gegen Korruption im Land geführt und sich damit zahlreiche Feinde gemacht. Zweifel an der offiziellen Todesursache äußerte unter anderen der Minister für die Regulierung der Regionalkonflikte, Georgi Chaindrawa.
Präsident Michail Saakaschwili übernahm gestern den Posten des Ministerpräsidenten. Auf einer Sondersitzung des Kabinetts erklärte der Präsident mit versteinertem Gesicht und brüchiger Stimme, der Tod von Schwanija sei „ein schwerer Schlag für unser Land und insbesondere für mich“.