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„Nach dem Erlebnis zählt das Ergebnis“

Ralf Minge erklärt, warum es auch im Fußball zuallererst um Erfolg geht. Muss das sein? Das haben Schüler für die Sächsische Zeitung den Sportdirektor von Dynamo Dresden gefragt.

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© Robert Michael

Herr Minge, muss das sein, dass Dynamo Dresden immer gegen den Abstieg spielt?

Wenn das alles Alternativfragen sind, brauche ich ja immer nur mit Ja oder Nein antworten … Also nein. Aber gerade in der zweiten Liga ist das natürlich immer wieder ein Spagat. Man muss seine Möglichkeiten einschätzen, und vor allem wirtschaftlich gehören wir da nicht zu den führenden Vereinen. Das hat sich jetzt übrigens in der dritten Liga auch nicht geändert. Wir müssen einfach versuchen, über die Minimierung von Fehlern und ein kleines bisschen Kreativität diese Nachteile zu kompensieren. Und, das darf man nicht vergessen: Wir haben natürlich auch Vorzüge.

Welche sind das in Vertragsgesprächen mit neuen Spielern?

Als Erstes muss man sie mal nach Dresden holen, ohne dass sie einen Vertrag haben. Wenn ich mit den Jungs im Stadion stehe, ihnen unsere Möglichkeiten mit Kraftraum etc. zeige und dann durch die Stadt gehe, sind das schon ein paar gute Argumente. Flankierend haben wir jetzt auch die Weichen in Sachen Kompetenz im Funktionsteam gestellt, die über das Normale eines Drittligisten hinausgehen. Wir arbeiten weiter mit drei Physiotherapeuten, haben einen hauptamtlichen Athletiktrainer, eine enge Verzahnung zum U-19- und U-23-Bereich sowie einen Sportpsychologen. Das ist aus meiner Sicht gerade für die jungen Spieler wichtig. Wir wollen sie entwickeln und müssen deshalb dafür auch die Rahmenbedingungen schaffen.

Welche Rolle spielen Charakter und Persönlichkeit eines Spielers?

Eine entscheidende. Im Gespräch mit den Spielern haben wir großen Wert darauf gelegt, herauszubekommen, wie sehr sie sich mit unserem Projekt identifizieren können. Das setzt ja auch Reserven frei. Bei uns hat es auch keine vier oder fünf Verhandlungsrunden gegeben. Das war beim Trainer so, bei den anderen Angestellten und auch bei den Spielern. Das Wirtschaftliche ist im Profifußball sicher eine Komponente, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Aber wenn ich immer wieder verhandeln muss, zweifele ich einfach daran, dass es ein Spieler für unser Projekt ist.

Wie lässt sich diese Identifikation in Gesprächen feststellen? Fragen Sie wie in der Schule mögliches Wissen über Dynamo Dresden ab?

In der Regel war es so, dass die Jungs allein angefangen haben zu erzählen. Denn was der Verein für eine Rolle gerade im Umfeld spielt, ist in den allermeisten Fällen bekannt.

Sie haben mal gesagt: Charakter schlägt Talent. Hat die Persönlichkeit tatsächlich Vorrang vor der fußballerischen Leistung?

Das ist bei uns ganz klar so. Gerade in dem Bereich hatten wir in der vergangenen Saison ja unser größtes Problem. Das betrifft nicht nur die Identifikation, sondern auch das Thema Teamfähigkeit. Die Jungs sollen bei uns den nächsten Schritt gehen, müssen aber verinnerlichen, dass sie dafür eine intakte Mannschaft brauchen. Es geht darum, Werte und Normen zu leben und dem Mitspieler Respekt zu geben, auch wenn er mal bevorzugt wird, also um eine ritterliche Komponente.

Wie lautet die Zielstellung für die neue Saison: wieder Aufstieg in die zweite oder erst einmal Ankommen in der dritten Liga?

Für die Euphorie sind die Fans verantwortlich. Wir gehen eher realistisch ran. Wir befinden uns mitten in einem gewaltigen Umbruch, den wir zwangsläufig vollziehen müssen. Dass unser neuer Weg auch ein Risiko in sich birgt, ist klar. Nur wenn ich jetzt ein erstes Zwischenfazit ziehe, können wir für den Moment zufrieden sein. Was die Saison anbelangt, ist es aber zu früh für eine konkrete Zielstellung.

Wie steht Dynamo Dresden im Vergleich zum Zweitliga-Aufsteiger RB Leipzig da?

Das ist ein Kampf mit ungleichen Waffen, denn sie haben beides: die wirtschaftliche Kraft und die sportliche Kompetenz. Wir konzentrieren uns auf das, was wir beeinflussen können und müssen uns in anderen Bereichen abheben. Im wirtschaftlichen Bereich können wir nicht mithalten. Das ist auch nicht schlimm. Wir müssen unseren Weg finden. Da sind wir derzeit auch gerade dabei.

Wie soll der Weg aussehen?

Dass wir zum Beispiel andere Werte leben. Wir wollen in Richtung Identifikation schauen, auf Ausbildungsinhalte und -schwerpunkte. Ein entscheidender Aspekt ist zudem das Thema Durchlässigkeit zur Profimannschaft. Da haben wir die größten Vorzüge. Es wird in Leipzig immer so sein, dass namhafte Profis dazugekauft werden und demzufolge der Weg für einen talentierten Nachwuchsspieler nicht so einfach ist, oben anzukommen. Darüber hinaus ist natürlich auch das Atmosphärische unser Thema: gewachsener Verein, Akzeptanz und Resonanz in Stadt und Region.

Noch mal zur übergeordneten Frage. Muss ein Abstieg vielleicht sogar sein, um sich als Verein wie Dynamo Dresden wieder auf seine Grundwerte zu besinnen?

Ändern können wir die Sache ohnehin nicht mehr, so bitter wie es ist und so sehr ich mich gefreut hätte für Fußball-Dresden, wenn wir weiter zweite Liga spielen könnten. Deshalb waren wir auch alle sehr enttäuscht. Doch auf der anderen Seite kommt irgendwann der Punkt, an dem man die Situation auch als Chance begreifen kann, und ich glaube, das tun wir im Moment.

Glauben Sie auch, dass die Fans das genauso sehen?

Sicherlich wird es eine Gruppe geben, die etwas abwartend ist. Wichtig ist trotzdem, und dabei bleibe ich, dass wir schnell wieder eine Einheit bilden: Mannschaft, Fans, Sponsoren, Umfeld, Verein. Man muss spüren, dass die Jungs da unten auf dem Spielfeld alles raushauen, dass sie unser Projekt mit Leidenschaft verfolgen. Das ist das entscheidende Kriterium. Dann kann man auch mal Niederlagen akzeptieren.

Muss aber nicht der maximale sportliche Erfolg der Mannschaft das alles Entscheidende sein?

Wir sind im Leistungssport unterwegs. Und da ist es zwangsläufig so: Nach dem Erlebnis zählt das Ergebnis. Genau darum geht es. Auch unsere Jungs sind unter Leistungssportbedingungen groß geworden. Da muss man sich immer wieder individuell behaupten, um den nächsten Schritt zu machen. Und natürlich möchten wir als Mannschaft so erfolgreich wie möglich sein. Doch wir gehen eben auch realistisch damit um, wenn ich das eigene Limit als Ziel ausgebe.

Was heißt das?

Wir können 20 Mal gegen den FC Bayern München mit unserer bestmöglichen Leistung spielen. Wir würden dennoch nur ganz selten gewinnen. Im ersten Schritt geht es ganz einfach darum, die Mannschaft so schnell wie möglich zusammenzuführen.

Wenn es um Zusammenhalt in der Mannschaft geht, ist es dann besser, Neuzugänge zu integrieren oder auf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs zu setzen?

Ich sage sowohl als auch. Der Nachwuchs wird perspektivisch eine wichtige Säule bei uns im Verein darstellen. Wir haben im Moment zwar noch nicht diese Vielzahl an Talenten, aber auf jeden Fall erste Ansätze. Marvin Stefaniak, Paul Milde, Dominic Baumann, Marek Große, Franz Pfanne, Christian Tietz – alle aus dem eigenen Nachwuchs und alle bei der ersten Mannschaft. Sie bekommen dort ihre Chance. Aber, und da sind wir wieder beim Thema Leistungssport, sie müssen sich durchsetzen und besser sein als andere. Das muss sein.

Das Gespräch führten Lisa Marie Pigulla, Lukas Oswald und Lewin Schurig. Dieser Artikel erscheint in der aktuellen Wochenendausgabe der Sächsischen Zeitung. Bei dieser Ausgabe haben Schüler mitgewirkt und zu diversen Themen Fragen gestellt, Artikel verfasst und immer hinterfragt: „Muss das sein?“