Sachsen
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Wenn der Wind sich dreht

Die Beteiligung der Bürger soll die Akzeptanz von Windkraftanlagen erhöhen. Doch das Beispiel des ersten und einzigen Bürgerwindrads in Sachsen zeigt: das allein reicht nicht.

Von Stella Schalamon
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Hier weht der Wiund günstig: Bürgermeister Hannes Clauss (li.) und Martin Gutmann hatten große Hoffnungen in das Bürgerwindrad im Windpark Streumen gesetzt.
Hier weht der Wiund günstig: Bürgermeister Hannes Clauss (li.) und Martin Gutmann hatten große Hoffnungen in das Bürgerwindrad im Windpark Streumen gesetzt. © Ronald Bonß

Eine Gruppe Rehe springt übers Feld. Ein Greifvogel kreist mit weiten Schwingen in der Luft. NEOS Wind 1 dreht rhythmisch seine Rotorblätter. Der Wind pfeift heute mit 36 Kilometern pro Stunde über das flache Land, ein guter Tag für die Windräder. Ganze 18 davon stehen hier im Windpark bei Streumen im Landkreis Meißen. Mittendrin NEOS Wind 1, der Turm unten olivfarben, darauf der Name in weißen Buchstaben, rote Streifen an den Rotorblättern.

Es ist eine von 872 Windkraftanlagen in ganz Sachsen. Aber eine ganz besondere: das erste und einzige Bürgerwindrad im Freistaat. Zum ersten Mal konnten sich in Streumen Bürger als Genossenschaft an einem Windrad beteiligen.

Einer von ihnen ist Martin Gutmann. "Irre, wenn man hier hochguckt", sagt er, als er direkt unter der Anlage steht. "Von den Dimensionen fliegt da oben ein Fußballfeld herum." Die Rotorblätter haben einen Durchmesser von 100 Metern, ein Fußballfeld muss nur fünf Meter länger sein. Martin Gutmann faszinieren diese Anlagen. Er beobachtete damals, wie das Loch für das Fundament von NEOS Wind 1 ausgehoben wurde. Wie ein kleiner Kran kam, um einen großen Kran aufzubauen. Wie der große Kran dann nach und nach den Turm errichtete. Gutmann findet es gut, dass er sich an den erneuerbaren Energien vor Ort beteiligen kann. "Ich sehe, das Windrad produziert Strom, und dann klingelt es ein bisschen in meiner Kasse."

200 neue Windkraftanlagen bis 2024

Windenergie hat es schwer in Sachsen. Bis 2024 müssen laut Koalitionsvertrag etwa 200 neue Windkraftanlagen gebaut werden – doch im vergangenem Jahr wurde nur eine einzige neue Anlage in Betrieb genommen, acht wurden abgebaut. Dabei braucht Deutschland dringend mehr erneuerbare Energien. Russlands Krieg in der Ukraine treibt Öl- und Gaspreise in die Höhe und zeigt, wie sehr es drängt.

Das Problem sei die sächsische Landesregierung, sagt ein Lobbyist. Die Landesregierung und die Bürger, sagt ein anderer. Und was sagt die Landesregierung? "Wenn Klimaschutz gelingen soll, brauchen wir Akzeptanz für die erneuerbaren Energien", teilte der grüne Umweltminister Wolfram Günther Anfang des Jahres mit. Wichtige Grundlage sei eine gute, frühzeitige Kommunikation auch über eine mögliche finanzielle Teilhabe der Gemeinden. Wird ein Bürgerwindrad, bei dem nicht nur die Gemeinde, sondern auch die Bewohner direkt profitieren, besser akzeptiert?

Streumen ist eine kleine Ortschaft, 200 Menschen wohnen dort. Sie gehört zur Gemeinde Wülknitz, bei der letzten Bundestagswahl ging nur ein Bruchteil der Stimmen an die Grünen. Die meisten, etwa ein Drittel, an die AfD. An einem verregneten Frühlingstag passiert im Dorf nicht viel. Bunte Plastikostereier hängen zwischen gelben Forsythienblüten. Über den Dächern taucht die Spitze eines rot gestreiften Rotorblatts auf. Hinter dem Windrad: das einst größte Umspannwerk der DDR und mehrere Hochspannungsmasten.

© Ronald Bonß

Im April 2015 steht im Mitteilungsblatt der Gemeinde: Zwei Anlagen des Windparks bei Streumen sollen durch leistungsstärkere ersetzt werden. Die Bauarbeiten hätten bereits begonnen. An einer dieser beiden neuen Anlagen könne man sich beteiligen – ab 2.000 Euro. "Damit ergibt sich erstmals die Möglichkeit, vor Ort in eine Anlage der regenerativen Energieerzeugung zu investieren und von deren Erträgen direkt zu profitieren", heißt es da.

Hinter der Idee des Bürgerwindrads steht die noch recht jungen Energiegenossenschaft Neue Energien Ostsachsen eG aus Dresden, kurz, aber sperrig; egNEOS. Sie will etwas für den Klimaschutz tun, kann aber in der Stadt keine Windkraftanlagen bauen. Und dann ist da der Bürgermeister des guten Windstandorts Wülknitz, der sich mehr Bürgerbeteiligung an den Anlagen wünscht.

Hannes Clauß war schon Bürgermeister von Wülknitz, als die erste Windkraftanlage dort vor mehr als 20 Jahren ans Netz ging. Dieses Jahr soll Schluss sein für den Parteilosen. Im Juni wählt die Gemeinde, Clauß tritt nicht noch einmal an. "Wenn wir hier vor der Nase schon Windkraftanlagen haben, sollten die Bürger auch die Möglichkeit bekommen an dem Gewinn zu partizipieren", sagte er damals.

Drei Prozent Dividende

Die Informationsveranstaltung für Interessierte aus der Region sei gut besucht gewesen, erinnert er sich heute. Etwa 50 Leute. Die üblichen Fragen nach Lärm, nach dem Schatten, nach dem Risiko, der Turm könnte umfallen. "Bei der ersten Generation Windräder hat niemand diskutiert. Die Leute haben es hingenommen", sagt Clauß. Auch beim Bürgerwindrad gab es im Gegensatz zu anderen Orten keinen Protest. Schließlich habe es bereits Windkraftanlagen gegeben, das Bürgerwindrad würde nur eine der alten Anlagen ersetzen, im Fachjargon: Repowering. Ältere Anlagen durch leistungsstärkere ersetzen. Eine gängige Praxis, weil neue Anlagen mehr Strom erzeugen können.

Doch von den knapp 200 Menschen, die in das Bürgerwindrad investiert haben, wohnen nur wenige in den anliegenden Dörfern. Die meisten kommen aus der Stadt, aus dem rund 50 Kilometer entfernten Dresden. Vor Ort waren die Menschen zurückhaltender.

Selbst der Streumener Windenergie-Fan Martin Gutmann, der sein Geld damit verdient, Kopierer zu reparieren, hat nicht viel investiert. Schließlich hat er einen großen Hof und drei Kinder, die er zum Teil noch finanziell unterstützt. Den genauen Betrag möchte er nicht öffentlich machen.

Gut drei Prozent Dividende bekommt er für seine Anteile. "Das macht das Kraut jetzt nicht fett. Es ist mehr ein symbolischer Akt." Über die Dividende, also die Gewinnbeteiligung wird bei einer jährlichen Vollversammlung abgestimmt – jedes Genossenschaftsmitglied kann daran teilnehmen. Gutmann hat es bisher noch nicht zu einer Vollversammlung geschafft.

Skepsis gegenüber Windrädern

"Es gibt auf dem flachen Land nicht so viele Menschen, die Geld übrighaben, um zu investieren", erklärt sich Bürgermeister Clauß das Ungleichgewicht bei der Beteiligung. Selbst seine Idee, als Gemeinde selbst Mitglied der Genossenschaft zu werden, scheiterte "Vielleicht war es schon die Zeit, wo es gewisse Vorbehalte in den Dörfern gab." Mit mehr Anlagen kam erster Unmut in die Gegend. Die Gemeinde profitiere davon zwar mit den Gewerbesteuern. "Doch ob das aufwiegt, was an Erschwernissen kommt, das sei mal dahingestellt."

Auf dem Land sei man Windräder gegenüber immer skeptisch, sagt Susanne Koschker vom Vorstand der egNEOS. "Die Menschen dort müssen mit dem Lärm leben und haben die Windräder vor der Tür." Neben fehlenden finanziellen Mitteln, um einzusteigen, sieht die Mathematikerin einen weiteren Grund: "Es gab diese Skepsis: Da kommen die Städter und sagen, das ist was Tolles und wir sollen uns beteiligen."

Dabei hat egNEOS sich bemüht: ein Stand mit einem Tesla zum Probefahren auf dem Streumener Dorffest. Ein Tag der offenen Tür mit Ausflug zu NEOS Wind 1. "Da kommt man mit den Leuten ins Gespräch, das ist uns sehr wichtig", sagt Koschker. "Es war eigentlich das Ziel, dass mit dem Bürgerwindrad auch politisch die Windenergie in Sachsen etwas vorangetrieben wird. Das hat sich nicht so erfüllt."

© Ronald Bonß

Einer, der sich nicht beteiligt hat und der sich im Dorf offenbar am meisten an den Anlagen stört, ist Tino Tulke. Der Autolackierer wohnt und arbeitet in Streumen. Als die ersten Windräder gebaut werden sollten, habe sich niemand Gedanken über die Folgen gemacht, erzählt er am Telefon. "Wir Ostler kannten uns damit nicht aus." Er hätte sich gewünscht, mehr mitentscheiden zu dürfen. Daran hat für ihn auch das Bürgerwindrad nichts geändert. Zur Informationsveranstaltung ging er nicht.

Selbst einzusteigen, sei ihm "zu heiß" gewesen. Was wenn das Projekt insolvent geht? Dann hätte die Bank das doch nicht vorfinanziert, sagt Susanne Koschker von egNEOS dazu. Fünf Millionen Euro kostete das Bürgerwindrad. Etwa 1,5 Millionen Euro konnten durch Anteile von Bürger finanziert werden, der Rest durch einen Kredit der Dresdner Volksbank. Die Bank ließ das Vorhaben genau prüfen.

Vor allem hatte Tino Tulke nicht das Gefühl, vom Bürgerwindrad profitieren zu können. "Zu guter Letzt finanziert man die Störung seiner Nachtruhe mit." Durch sein Schlafzimmerfenster blickt er direkt auf den Windpark. Von den ersten kleinen Anlagen habe er noch nicht viel mitbekommen. Seit die höheren Windräder gebaut wurden, könne er bei Südwestwind, der meist über das flache Land weht, im Sommer nur bei geschlossenem Fenster schlafen. Wegen des Brummens der Generatoren, die aus der Drehbewegung der Rotorblättern Strom erzeugen. "Das ist, als ob die ganze Nacht ein ICE am Haus vorbeifährt."

Anlage versorgt jährlich 2.400 Haushalte mit Strom

Einst standen 21 Windräder vor Streumen. Inzwischen sind es zwar weniger, doch sie wurden höher, leistungsstärker und dadurch lauter. Schon NEOS Wind 1 ist fast 70 Meter höher als sein Vorgänger – dafür etwa vierfach leistungsstärker. Im Internet lässt sich verfolgen, wie viel Energie die Anlage einbringt: 38,6 Gigawattstunden waren es in den sechs Jahren, seit sie ans Netz gegangen ist. Jedes Jahr mal mehr, mal weniger als die angestrebten sechs Gigawattstunden. Damit versorgt die Anlage jährlich 2.400 Haushalte mit Strom – weit mehr, als es in Streumen und den Nachbardörfern gibt.

Nicht nur Tino Tulke, der Autolackierer hört die Anlagen. Auch Martin Gutmann, der sich finanziell über das eifrige Drehen des Bürgerwindrads freuen kann, hört das Grundrumoren der Generatoren. Und nicht nur das. "Pfüä, Pfüä, Pfüä", macht Gutmann das Schlagen nach, das er bei Westwind bei sich zu Hause hört, wenn abends der Straßenlärm zur Ruhe kommt. Es sei das Geräusch, wenn das Rotorblatt am Turm einer Anlage vorbeikommt und die Luft daran vorbei presst.

Gutmanns Grundstück liegt mehr als einen Kilometer von der nächsten Anlage entfernt, steht aber in erster Reihe zum Windpark. Wenn er um das Haus mit Photovoltaikanlage auf dem Dach, herumgeht, blickt er auf ein Netz aus Windrädern und Hochspannungsmasten. "Die Optik stört mich überhaupt nicht", sagt er. "Aber in mir schlagen zwei Herzen." Faszination für die Technik, die Notwendigkeit von erneuerbarer Energie, aber dann der Lärm, die Minderung der Grundstückspreise durch den Windpark. Er findet, die 18 Anlagen reichen. "Unsere Landschaft ist zwar vorbelastet, wir haben dieses Umspannwerk und die Hochspannungsmasten. Aber ist denn unsere Gegend so unattraktiv, dass man meint, dort können wir alles hinstellen?"

Kein Streumen ohne Windkraftanlagen

Ein Jahr, nachdem NEOS Wind 1 gebaut wurde, stimmt der Gemeinderat gegen eine neue Windkraftanlage. Mit dabei: Martin Gutmann, der für die CDU im Gemeinderat sitzt. Die Anlage wurde dennoch gebaut. Wenn ein Projekt den gesetzlichen Anforderungen entspricht, kann die Kommune kaum was dagegen tun. Lehnt sie ab, kann der Landkreis trotzdem zustimmen.

Es wird kein Streumen ohne Windkraftanlagen mehr geben. "So wie bei anderen die Züge vorbeifahren, stehen bei uns die Windräder", sagt Martin Gutmann. Bewohner wie Tino Tulke wünschen sich deshalb dringend, dass die Anlagen über Nacht abgeschaltet werden.

Nur tagsüber könnte eine Windkraftanlage wie NEOS Wind 1 aber nicht die notwendige Energie produzieren. Doch es gäbe einen Kompromiss: eine Nachtabsenkung. Die Anlagen würden etwa wie eine Heizung im Haus nachts reduziert arbeiten und dadurch leiser. Martin Gutmann fände es sinnvoll, darüber nachzudenken. "Weit gekommen, sind wir damit aber nicht, weil es für die Betreiber wirtschaftlich schwierig ist. Da müssten alle mitmachen."

Die Rotorblätter von NEOS Wind 1 drehen sich noch immer, bald wird auf den Straßen Ruhe einkehren. Das Bürgerwindrad trägt die 1 in seinem Namen, in der Hoffnung auf eine Fortsetzung. Eine Nummer 2 ist nicht in Sicht.