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Die Handwerker von morgen kommen aus Sachsen

Ein 26-jähriger Eilenburger installiert für ein Dresdner Unternehmen Ladeboxen: Ohne sie kommt die Elektromobilität in Deutschland nicht voran.

Von Martin Skurt
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Stefan Landgraf prüft eine Ladesäule. "Zur Zeit bauen wir noch mehr Ladestationen, als dass wir sie warten. Aber es wird immer mehr", sagt der Techniker des Dresdner Windkraft-Unternehmens VSB.
Stefan Landgraf prüft eine Ladesäule. "Zur Zeit bauen wir noch mehr Ladestationen, als dass wir sie warten. Aber es wird immer mehr", sagt der Techniker des Dresdner Windkraft-Unternehmens VSB. © Matthias Rietschel

Stefan Landgraf zieht seinen schwarzen Rollkoffer über die Straße. Er gleitet mühelos über den Bordstein trotz der 15 Kilogramm an Werkzeug, die sich darin befinden. Landgraf wirkt so, als wäre er im Urlaub und auf dem Weg zur nächsten Unterkunft. Tatsächlich packt er die Hartschale mehrmals im Jahr in seinen Transporter, um durch ganz Deutschland zu fahren – im Auftrag der VSB-Gruppe aus Dresden. Sein Job ist noch ungewöhnlich: Er baut und wartet Ladesäulen und Wallboxen für Firmen und Privatkunden. Seit knapp vier Jahren schon. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, will die Ampel-Regierung Elektromobilität stärker fördern. Bis 2030 sollen mindestens 15 Millionen Elektroautos auf den Straßen fahren. Doch dafür braucht es wesentlich mehr Ladesäulen und mehr Techniker wie Landgraf.

Bevor er die Ladesäule vor dem VSB-Hauptgebäude in Dresden testet, nimmt er Lappen und Reinigungsmittel in die Hand. Er besprüht die fast zwei Meter hohe Stele und wischt mit dem Lappen nach. "Ich putze gern. So erkenne ich sofort, ob die Ladesäule äußerlich beschädigt ist. Und die Ladebox glänzt danach wieder", sagt Landgraf. Er steckt das Putzzeug in seine Gesäßtasche. Nun will er den Deckel abnehmen, der die Schaltkreise verbirgt. Der Klappmechanismus löst nicht aus. Der 26-jährige Mann im blauen Kapuzen-Pullover mit VSB-Logo muss ruppiger ziehen, aber der Deckel klemmt. Sein Kollege hilft ihm. Der Deckel will trotzdem nicht. "Jetzt muss ich die Ratsche holen", sagt Landgraf. Die Schrauben an der Seite stecken fest. Sie müssen raus. "Ein typischer Montag", schmunzelt er.

Strom ist günstiger als Benzin

Die Sonne blendet ihn, als er mit dem Werkzeug hantiert. Er kneift die Augen zu, sein Mund ist allerdings weit geöffnet. Beim Schrauben zeigt er Zähne, die Plastikverkleidung bleibt aber störrisch. Beim Werkeln plaudert er mit seinem Kollegen und witzelt herum. Er schwärmt von österreichischen Keba-Ladesäulen wie im Hinterhof des Hauses der Presse, die in seinen Augen am wartungsärmsten sind. Die Lade-Box beim VSB-Hauptgebäude ist eine niederländische Alfen-Box. "Sie sehen zwar echt schick aus, sind aber kompliziert zusammengebaut." Plötzlich tut sich etwas bei der Box. "Ach, schau mal, ist das nicht schön?!", sagt Landgraf entzückt. Er und sein Kollege nehmen die Klappe ab. Nun beginnt die eigentliche Arbeit: der Technik-Test.

In der Regel werden solche Ladesäulen jährlich überprüft. Wenn sie regelmäßig gewartet werden, können sie theoretisch ewig genutzt werden, meint Stefan Landgraf. Allerdings fehlen hier die Vergleichswerte. Geräte, die länger als die zwei oder drei Jahre Garantiezeit laufen, halten heute noch durch, erklärt er. Für die Langlebigkeit solcher Boxen sind deshalb Techniker wie Landgraf unersetzlich. Er ist Mechatroniker sowie Elektrofachkraft. Zunächst arbeitete er bei der VSB in der Windkraft-Sparte, jetzt gilt er in der Firma als Pionier des Ausbaus der Lade-Infrastruktur.

Die Ladesäule des niederländischen Herstellers Alfen steht im Hinterhof von VSB. An ihr können bis zu zwei Dienst-Fahrzeuge geladen werden.
Die Ladesäule des niederländischen Herstellers Alfen steht im Hinterhof von VSB. An ihr können bis zu zwei Dienst-Fahrzeuge geladen werden. © Matthias Rietschel

Landgraf selbst fährt kein Elektroauto. Er habe es durchgerechnet, es lohne sich für ihn allerdings nicht. Denn er wohnt zur Miete so wie viele Menschen in Deutschland. Vermieter müssen Wallboxen oder Ladestation in der Regel dulden und genehmigen, wenn andere Mieter davon nicht beeinträchtigt werden. So kostet die Installation mindestens 1.500 für eine einfache Wallbox ohne intelligente Funktionen. Zusätzlich kostet die Wartung bei VSB etwa 80 Euro im Jahr.

Wer mit seinem E-Auto 12.000 Kilometer im Jahr fährt und etwa 15 Kilowattstunden pro 100 Kilometer verbraucht, bezahlt bei 40 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 720 Euro. Ein Verbrenner kostet mehr. Er verbraucht im Durchschnitt acht Liter pro 100 Kilometer. Bei einem Benzinpreis von 2 Euro würde man 3.000 Euro bezahlen. Das sind fiktive Werte, die im Einzelfall je nach Fahrzeugmodell und Energiepreis abweichen. Trotzdem zeigen die Zahlen: Ein E-Auto lohnt sich nicht nur für das grüne Gewissen, sondern auch finanziell. Und die Zahl an E-Autos auf den Straßen wächst. In den ersten zwei Monaten des Jahres 2022 beträgt der Anteil fast ein Viertel aller Neuzulassungen. Derzeit sind mehr als zwei Millionen E-Autos in Deutschland angemeldet, in Sachsen liegt der Anteil bei knapp 80.000. Die meisten – etwa eine halbe Million – fahren in Nordrhein-Westfalen.

Voraussetzungen für E-Mobilität fehlen in Deutschland

Noch sind jedoch die Voraussetzungen für einen Umstieg auf E-Mobilität in Deutschland nicht gegeben. Zum einen fehlen Fachkräfte, die den Ausbau von Ladestationen vorantreiben könnten. Deutschlandweit sind es etwa 80.000, in Sachsen rund 3.000, nach Angaben Detlef Köhlers. "Viele Betriebe wissen gar nicht, mit welchem Auftrag sie anfangen sollen", sagt der Chef des Elektro-Fachverbands in Sachsen und Thüringen. Dabei sei die Elektrofachkraft einer der beliebtesten Berufe in Sachsen nach dem Kfz-Mechatroniker. "Trotzdem reicht es leider nicht."

Zum anderen braucht es eine veränderte Ladeinfrastruktur. Weg von zentralen Ladestationen wie Tankstellen hin zu dezentralen Ladestationen überall verteilt. Diese Struktur entsteht gerade erst. Deutschlandweit gibt es etwa 55.000 Ladesäulen, wie die Bundesnetzagentur mitteilt. Seit 2017 hat sich die Anzahl fast verzehnfacht. In Sachsen gibt es etwa 2.300, die Entwicklung ist ähnlich. Fast die Hälfte aller Ladesäulen stehen in Dresden, Leipzig und Chemnitz. Das Dresdner Unternehmen VSB baute vor mehr als 20 Jahren erst Windkraftanlagen, später Photovoltaik-Anlagen und seit 2018 deutschlandweit Ladesäulen und Wallboxen. Bei Industrie- oder Privatkunden gleichermaßen.

Es gibt keinen typischen E-Auto-Fahrer

Genau das macht für Landgraf die Arbeit so spannend. "Ich mag diese Unvorhersehbarkeit. Es gibt nicht diesen einen Kunden, für den ein Elektroauto der Hammer ist", sagt der Techniker. "Es trifft viel eher einen kompletten Querschnitt durch alle Altersgruppen." Von jungen Menschen bis hin zu Älteren jenseits der 70. Die meisten besitzen entweder ein E-Auto oder haben es zumindest vorbestellt. Besonders die Installation von Wallboxen bei Kunden zu Hause überrascht ihn jedes Mal. So horcht er sofort auf, wenn ein Kunde ihm am Telefon erklärt: Er habe etwas vorinstalliert. Dann müsse er diskutieren. Landgraf lacht. Warum, erklärt er so: Bei manchen Projekten seien die Skizzen im Vorfeld lückenhaft, sodass plötzlich mehr Elektrokabel verlegt werden müssen. Das koste mehr Geld. Nicht jeder Kunde ist schwierig: Manche laden Landgraf zum Mittagessen ein.

Der in Eilenburg bei Leipzig wohnhafte Techniker stöpselt nun ein Ladekabel in die VSB-Ladesäule. Am anderen Ende hängt ein Testgerät, das den Ladevorgang eines E-Autos und auch typische Fehler simuliert. In den Händen hält Landgraf wiederum ein Messgerät, das den korrekten Stromfluss überwacht. Es ist Landgrafs wichtigstes Werkzeug. Ohne den grau-blauen Kasten, der aussieht wie ein Gamepad für Videospiele, würde er nicht wissen, ob die Ladesäule störungsfrei läuft. Nebenbei muss er jedes Testergebnis in seinen Laptop tippen. Am Ende überprüft Landgraf den Schutzmechanismus der Ladesäule – den FI-Schalter. Solche Schutzschalter, die vor gefährlichen Ladeströmen schützen, finden sich in den meisten Stromanlagen wie in Sicherungskästen von Wohnungen. Klack. Der Schalter ist angesprungen, der letzte Test für heute damit beendet. Die Ladestation hat bestanden und kann ein weiteres Jahr genutzt werden.

Während des Tests fährt ein Laster der Bundespolizei vorbei, die ihr Dresdner Revier am VSB-Firmensitz hat. Stefan schaut mit großen Augen in Richtung der Beamten und sagt locker: "Hier gibt es nichts zu sehen." Er zieht an seiner E-Zigarette. Aus seinem Mund strömt süßlicher Dampf. Vermutlich Apfel-Melone mit Nikotin, an den genauen Geschmack kann er sich nicht erinnern. Landgraf setzt die Sonnenbrille auf. Gemeinsam mit seinem Kollegen bringt er die Plastikklappe wieder an. Diesmal rastet sie schnell ein. "Der Techniker, der vor mir an der Box war, hat die Schraube etwas schief reingedreht." Dadurch hätte sie sich verkeilt. Stefan Landgrafs Augen lächeln. Wie viele Techniker liebt er es, wenn kaputte Geräte wieder funktionieren.