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Energienetzwerk Meißen: "Die beste Energie ist die, die wir nicht benötigen"

Zwei Riesaer Professoren arbeiten im Energienetzwerk Meißen mit. Im Gespräch erklären sie, wie die Energiewende im Landkreis Meißen gelingen kann.

Von Stefan Lehmann
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Die Riesaer Professoren Alexander Buchheim (l.) und Marko Stephan. Beide lehren an der BA Riesa im Studiengang Energie- und Umwelttechnik - und sind auch im Energienetzwerk des Landkreises aktiv.
Die Riesaer Professoren Alexander Buchheim (l.) und Marko Stephan. Beide lehren an der BA Riesa im Studiengang Energie- und Umwelttechnik - und sind auch im Energienetzwerk des Landkreises aktiv. © Sebastian Schultz

Riesa. Als sich Anfang des Jahres das Energienetzwerk für den Landkreis Meißen gründete, waren sie als Vertreter der Wissenschaft dabei: Marko Stephan und Alexander Buchheim lehren an der BA Riesa im Studiengang Energie- und Umwelttechnik. Im Interview erklären Studiengangsleiter Stephan und sein Kollege, wie sie ihre Rolle im Netzwerk sehen und warum die Energiewende auch ein Mittel sein kann, um Wohlstand in der Region zu sichern.

Herr Stephan, Herr Buchheim, welche Rolle spielt denn der Studiengang im Energienetzwerk?

Stephan: Wir haben sehr viele energieintensive Unternehmen hier im Industriebogen. Diese Unternehmen haben eine große Herausforderung vor sich: Die Umstellung auf klimaneutrale Produktion, dazu gehört die Versorgung der Unternehmen mit sogenannter grüner Energie. Unter dem Aspekt wird natürlich auch die Wasserstoffnutzung ein großes Thema sein. Unser Studiengang befasst sich in der Ausbildung mit diesen Themen.

Zuletzt hieß es, dass Sie mit der Erstellung eines Energie- und Klimaschutzkonzeptes beauftragt wurden. Was ist denn da die Zielstellung?

Buchheim: Die Idee ist es, einige Leitplanken zu entwickeln, um die Akteure in ein ganzheitliches Konzept zu integrieren. Unser Auftrag ist nicht, dass wir hier ein ganz konkretes Energiekonzept erstellen, sondern dass wir Verknüpfungspunkte und Potenziale zwischen Wirtschaft, Bürgern, Kommunen und Landwirtschaft aufzeigen.

Um welche Fragen geht es konkret?

Buchheim: Wir haben hier zum Beispiel besonders viel Landwirtschaft, das muss in die ganzheitliche Betrachtung mit einfließen. Dazu kommt noch, die Akzeptanz für den Ausbau bei Bürgern und Kommunen zu stärken. Und es ist auch ein Interesse des Landkreises, Differenzen im Wissensstand zur Nutzung regenerativer Energien in den einzelnen Kommunen abzubauen. Kleinere Kommunen haben meist nicht die finanziellen und personellen Mittel, sich intensiver damit zu beschäftigen.

Stephan: Die Energiewende kann nur positiv gestaltet werden, wenn die Bevölkerung dahintersteht. Die Leute müssen an den Maßnahmen partizipieren. Zum Beispiel mit "Mieterstrom" – einem Modell, bei dem PV-Anlagen auf Mehrfamilienhäusern, mit dem Ziel einer Senkung der Stromkosten für die Mieter installiert werden. Oder aber durch die Erkenntnis, dass Industriebetriebe ihre Produkte nachhaltig produzieren müssen. Dieser Aspekt wird in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Schauen Sie etwa nach Schleswig-Holstein: Dort ist ein ganz anderes Windangebot als bei uns – und aktuell laufen dort Großansiedlungen, die Tausende neue zukunftsfähige Industriearbeitsplätze schaffen. Es zeigt sich, dass erneuerbare Energien vor Ort ein entscheidender Standortvorteil sind. Wir brauchen im Landkreis einfach einen Erfolg in der Energiewende, wenn wir die Arbeitsplätze hier halten wollen.

Wie ist denn der Landkreis Meißen im Vergleich aufgestellt, was erneuerbare Energien angeht?

Stephan: Er hat natürlich einen sehr hohen Stromverbrauch, zweieinhalbmal so viel wie vergleichbare sächsische Landkreise. Er hat in dem Bereich aber auch etwas geleistet: Wir haben beispielsweise zwei große Windparks in Mautitz und Streumen.

Buchheim: Zudem ist hier das PV-Kraftwerk in Zeithain als Beispiel zu nennen. Also, es gibt schon ein paar Entwicklungen, die aktuell jedoch als "Insellösungen" betrieben werden. Das Ziel ist jetzt ganz klar, die Aktivitäten zu bündeln und miteinander abzustimmen. Wir haben hier beispielsweise einmal grob überschlagen, wenn man den Jahresverbrauch an Erdgas der Schwerindustrie in Riesa auf Wasserstoff umstellen würde.

Was kam denn bei diesen Berechnungen heraus?

Dabei ergeben sich wahnsinnig große Flächenbedarfe. Man spricht ja von den zwei Prozent der Landesfläche, die für WKA zur Verfügung gestellt werden sollen. Mit modernen Windkraftanlagen und entsprechenden Abstandsregeln würde das für das angesprochene Beispiel die Verbrauchsdeckung von zwei bis maximal vier Industriepartnern leisten. Da haben Sie aber noch niemanden darüber hinaus versorgt. Man kommt um den ganzheitlichen Ansatz einer Netzwerklösung nicht herum.

Da geht es für den Landkreis also stärker darum, die Infrastruktur zu schaffen?

Buchheim: Genau, die muss auch geschaffen werden.

Stephan: Alles deutet darauf hin, dass wir den Anschluss an das geplante Europäische Wasserstoffnetz benötigen. Der Gedanke ist, dass die regenerative Energie dort geerntet wird, wo es am günstigsten ist: Offshore-Windräder in der Nordsee, Solartechnik in Südeuropa oder Nordafrika. Dort vor Ort wird dann der Wasserstoff erzeugt und durch Pipelines zu den Verbrauchern transportiert. Das Netz soll erst aufgebaut werden, aber zu großen Teilen werden bestehende Gasleitungen genutzt, damit wir den Energieträger der Zukunft Wasserstoff ausreichend vor Ort verfügbar haben.

Über welche zeitlichen Dimensionen reden wir da?

Buchheim: Die Backbone-Leitung in Mühlberg/Elbe ist für 2027 angedacht. Das ist auch der Zeithorizont der Akteure im Landkreis: In den nächsten fünf Jahren sollte man schon einiges in der Hinsicht tun können. Die Frage ist natürlich, wie groß der Einfluss durch aktuelle Verwerfungen wie den Ukraine-Krieg ist. Der Zeitplan ist sicher sportlich. Aber ich denke, wir können da etwas bewegen – wir müssen, eigentlich!

Ist die Idee, Wasserstoff in dieser Form als Energieträger zu nutzen, eigentlich neu?

Stephan: Nun ja, Brennstoffzellen gab es schon im 19. Jahrhundert …

Buchheim: Jetzt geht es ja im Prinzip darum, eine günstige Speicherung für Elektroenergie zu bekommen. Da reicht eine Batterie für einen Industriebetrieb eben nicht aus. Sie können Wasserstoff verbrennen und dabei dessen Energie nutzen. Bei der Verbrennung entsteht dann im wesentlichen Wasser, keine Schadgase wie CO2. Darüber hinaus ist es mittlerweile wirtschaftlich darstellbar, diesen zu speichern und leitungsgebunden zu transportieren.

Stephan: Natürlich sind auch noch Probleme zu lösen. Etwa bezüglich des Transports wird weltweit an unterschiedlichen Lösungsansätzen geforscht.

Wir haben jetzt viel über Windräder, Photovoltaik und Wasserstoff geredet. Aber Ihr Studiengang beinhaltet ja auch die Gebäudetechnik. Welcher Beitrag kann aus Ihrer Sicht in diesem Bereich geleistet werden?

Stephan: Da passiert schon viel. Wir planen Quartiere ja heute ganz anders als vor 20 Jahren. Der Einsatz regenerativer Energie spielt eine große Rolle, aber auch Aspekte wie Dach- oder Fassadenbegrünung für die Einstellung eines behaglichen Raumklimas nehmen an Bedeutung zu. Das sind Themen, die uns auch im Studiengang aktuell stark beschäftigen.

Um Einsparmaßnahmen geht es aber nicht, oder?

Stephan: Doch! Die beste Energie ist die, die wir nicht benötigen. Dämmung von Gebäuden und Anlagen, das ist ein weiteres wichtiges Thema. Und die ganze Energiewende wird uns auch nur gelingen, wenn wir uns Gedanken machen, wo wir Energie einsparen können – ohne dass wir nur noch kalt duschen müssen. Es gibt schon intelligente Lösungen, um mit weniger Energieaufwand oder weniger Wasserverbrauch den gleichen Komfort zu erreichen. Das ist aus meiner Sicht auch ein ganz wesentlicher Beitrag.

Über den Studiengang:

Versorgungs- und Gebäudetechnik kann man schon seit 1993 in Riesa studieren, damals noch im Studiengang Versorgungs- und Umwelttechnik. Erst 2013 wurde der Studiengang um die Studienrichtung Energietechnik erweitert zu Energie- und Umwelttechnik.

Mit Beginn des neuen Semesters im Oktober 2022 führt der Studiengang die neue Bezeichnung Energie- und Gebäudetechnik, um im Namen die Inhalte besser abzubilden.

Ein duales Studium der Energie- und Gebäudetechnik ist auch noch in diesem Jahr möglich. Weitere Informationen zu Studium und Praxispartnern aus der Region unter https://www.ba-riesa.de