Meißen
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Wirtschaft im Kreis Meißen ist auf grüne Energie angewiesen

Nicht nur aus Umweltschutzgründen, es geht um Arbeitsplätze. Beim Energieforum des Landkreises zeigt sich: Es findet ein Umdenken statt.

Von Marvin Graewert
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Der stellvertretende Landrat Andreas Herr und Martin Schramm von Sachsen-Energie bei der Besichtigungstour der Energieschwerpunkte der Region. Hier am Windpark Streumen.
Der stellvertretende Landrat Andreas Herr und Martin Schramm von Sachsen-Energie bei der Besichtigungstour der Energieschwerpunkte der Region. Hier am Windpark Streumen. © SZ

Nünchritz. Den industrieintensiven Landkreis Meißen trifft die Energiekrise besonders hart. Allein das Wacker-Chemiewerk in Nünchritz verbraucht so viel Energie wie ganz Dresden zusammen: "Die Folgen davon sehen wir schon jetzt", sagt der stellvertretende Landrat Andreas Herr zum Auftakt des Energieforums des Landkreises. In Riesa stand das Stahlwerk mehrere Tage still – die Strom- und Gaspreise waren einfach zu hoch. Der Landkreis verbrauche zweieinhalbmal so viel Energie wie vergleichbare Kreise. "Um unsere regionale Wirtschaft zu retten, brauchen wir grüne Energie", sagt Herr. Dabei gehe es vordergründig schon lange nicht mehr um Klimaschutz. Die Unternehmen im Kreis bräuchten einfach Wasserstoff, um russisches Gas zu substituieren; vor allem aber grünen Strom: "Aufgrund des problematischen Wirkungsgrades zur Wasserstoff-Produktion nutzen viele Unternehmen die Gelegenheit, ihre Produktion - wenn es irgendwie geht - von Gas auf Elektro umzustellen."

Der Anteil von erneuerbarer Energie in den verarbeitenden Betrieben im Landkreis Meißen beläuft sich derzeit noch auf 13,2 Prozent. 31,4 Prozent des Stromverbrauchs wird hingegen mit Erdgas gedeckt. Doch der Kreis zeigt sich offen für die Energiewende und läutet das Energieforum mit Besichtigungstour der Energieschwerpunkte der Region ein: Wie zum Bekenntnis beginnt die Tour im Windpark Streumen, der in 1990er-Jahren mit ersten 0,6-Megawatt-Anlagen startete. Mittlerweile sind einige der 20 Windkraftanlagen dreimal so hoch und erzeugen das Zehnfache an Strom – wenn die Windstärke stimmt. Denn erst bei schweren bis orkanartigen Stürmen erreicht die Anlage ihre Nennleistung. Weht der Wind noch stärker, schaltet sich die Anlage aus Sicherheitsgründen ab.

Drei weitere Anlagen sind bereits von Sachsen-Energie geplant, dann soll nirgends im Freistaat so viel Windenergie erzeugt werden, wie zwischen Wülknitz, Glaubitz und Zeithain.

Allerdings sind in Sachsen erst etwa 0,2 Prozent der Landesfläche für die Windenergienutzung ausgewiesen. Nach den Zielvorgaben der neuen Bundesregierung muss Sachsen schon bis Ende 2027 1,3 Prozent der Fläche für Windenergie zur Verfügung stellen. Das heißt, in fünf Jahren muss sich das bisherige Flächenangebot für die Windenergie versechsfachen. Bis Ende 2032 steigt dieser Wert auf zwei Prozent an – eine Verzehnfachung der momentanen Windenergieflächen.

"Sachsen steht schlecht da"

Vor allem Sachsen könnte bei diesem Tempo aus der Puste kommen, merkt Daniel Dechmann-Annus, Leiter der Akquise von Enerparc, an. Das Unternehmen betreibt Solarparks in ganz Deutschland und musste feststellen, dass von der Idee zur Bebauung von Photovoltaikanlagen in Sachsen 18 bis 24 Monate vergehen, während es in Bayern sechs bis neun Monate dauern würde: "Sachsen steht ziemlich schlecht da", sagt Dechmann-Annus. Schon allein, weil es eines der letzten Bundesländer mit Bundesländer-Öffnungsklausel sei.

Im Solarpark im Alten Lager in Zeithain erzeugen Tausende Solarpaneels 80 Millionen Kilowattstunden pro Jahr.
Im Solarpark im Alten Lager in Zeithain erzeugen Tausende Solarpaneels 80 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. © Sebastian Schultz

Eines der Vorzeigeprojekte ist allerdings der Solarpark im Alten Lager in Zeithain, keine zehnminütige Autofahrt vom Windpark Streumen entfernt: Auf über 80 Hektar (inklusive Ausgleichsmaßnahme) stehen seit viereinhalb Jahren Tausende Solarpaneels. Dort werden 80 Millionen Kilowattstunden pro Jahr erzeugt. Genug Strom für 28.500 Zwei-Personen-Haushalte.

Auch die CDU-Kreistagsfraktion sieht nach dem Forum für erneuerbare Energien große Herausforderungen für Landkreis und den Regionalen Planungsverband, um künftige gesetzliche Vorgaben angesichts konkurrierender Zielstellungen vom Umweltschutz bis zum Schutz der Wohnbebauung zu erfüllen: "Natürlich wird sich der Landkreis Meißen anstrengen, aber ohne eine landesweit sachgerechte Verteilung wird es nicht gehen", sagt CDU-Fraktionschef Ulrich Reusch. Vor allem in den Bergbaufolgelandschaften gebe es Potenzial, die Vorgaben zugunsten anderer Teile Sachsens deutlich überzuerfüllen.

Dabei sei es notwendig, die Anwohnerinnen und Anwohner von Anfang an in die Planungsprozesse mit einzubeziehen, unterstreicht Andreas Herr: "Das wird nicht immer schmerzfrei gehen, aber wir brauchen einfach mehr Energie, als wir heute haben." Alle Regionen kämen dafür allerdings nicht infrage. Weiße Flecken werde es auch weiterhin geben: "In der ertragreichen Lommatzscher Pflege werden wir nicht auf die Idee kommen, dort Photovoltaikanlagen aufzustellen", stellte Herr klar. "Als Landkreis sind wir Gegner davon, Photovoltaik als Konkurrenz zu landwirtschaftlichen Flächen zu etablieren."

Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung verdeutlichte mit seinem Einführungseintrag zum Energieforum, aus wie vielen verschiedenen Gründen die Zurückgewinnung der Energiesouveränität notwendig sei und auch eine aktuell viel diskutierte Alternative nicht zukunftstauglich sei: "Gerade die erfolgreichen Hackerangriffe auf Energieversorger haben gezeigt, dass auch deshalb Atomenergie keine Lösung ist." Die Energiewende bleibe die Schlüsselstrategie, dafür bräuchte es auch ein Klimakabinett, wie es im Bund gibt, auch für die Länder.