Von Rasmus Wittrin
Region Döbeln. Wer heute mit dem Vorsatz in den Supermarkt geht, nachhaltiges, tierwohlgerechtes Schweinefleisch zu kaufen, kann lange suchen. Laut Statistischem Bundesamt wurde 2020 nur knapp ein Prozent der Schweine ökologisch gehalten – gegenüber sechs Prozent der Rinder in 2019.Das Problem kennt auch Anja Stockmann. Die Lehrerin aus Topfseifersdorf sucht nach eigener Aussage häufig vergeblich nach Fleischprodukten der Haltungsstufen drei und vier.
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Bei diesen Stufen müssen die Tiere beispielsweise über mehr Platz verfügen als in den Haltungsstufen eins und zwei. Am Ende würden dann trotzdem einige Produkte aus diesen Haltungsformen in ihrem Korb landen. Dabei sind Anja Stockmann Nachhaltigkeit und Tierwohl ein wichtiges Thema. In ihrer Schule in Rochlitz bietet sie etwa Kochkurse an, in denen sie den Schülern einen bewussten Umgang mit Nahrung näherbringen möchte.
Jetzt ist Stockmann Mitglied der Genießergenossenschaft Sachsen. Dort sollen Schweine unter tierwohlfreundlicheren Bedingungen gehalten und geschlachtet werden, als konventionell üblich.
Nachhaltigkeit und Tierwohl immer wichtiger
Jan Gumpert ist Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft, und er kennt das Dilemma, in dem Anja Stockmann und viele andere Menschen stecken würden. Im öffentlichen Diskurs würden Nachhaltigkeit und Tierwohl zwar immer wichtiger, sagt er.
Das tatsächliche Einkaufsverhalten ändere sich allerdings nicht so schnell, so der Landwirt. Viele Kunden, die mit dem Vorsatz, tierwohlgerechtes Fleisch zu kaufen, in den Supermarkt gingen, würden mit dem günstigeren Discount-Fleisch wieder herauskommen. Das würden Studien belegen, sagt Gumpert.
Beim Fahrradfahren, wie er sagt, hatte er dann eine Idee, dieses Problem anzugehen: Die Genießergenossenschaft. Ziel ist, nachhaltiges und tierwohlgerechtes Schweinefleisch zu produzieren – und dabei das ökonomische Risiko zwischen Konsumenten und Produzent aufzuteilen. Der Vorstandsvorsitzende Jan Gumpert erklärt, was es mit dem Projekt auf sich hat.
Wie funktioniert die Genossenschaft?
Der Genießergenossenschaft Sachsen kann grundsätzlich jeder beitreten, sagt Gumpert. Wer Mitglied werden will, muss einen Anteil im Wert von 1.000 Euro kaufen. Die Anteile werden direkt von der Genossenschaft ausgegeben. Das von der Genossenschaft produzierte Fleisch könne aber von jedem Kunden gekauft werden. Wichtige Partner sind die Volksbank Mittweida, der Freistaat Sachsen und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der die Schirmherrschaft übernommen hat.
In einer Genossenschaft sei jedes Mitglied gleichberechtigt, sagt Gumpert – egal, wie viele Anteile es besitzt. Deshalb sei gerade diese Rechtsform gewählt worden, um maximale Transparenz und eine enge Beziehung zwischen Produzenten und Verbraucher sicherzustellen. Wichtige Entscheidungen werden von der Generalversammlung getroffen, bei der jedes Mitglied mit einer Stimme stimmberechtigt ist.
Die nächste Versammlung soll im Herbst stattfinden. Dort soll laut Gumpert unter anderem entschieden werden, in welcher Form die jährliche Rendite in Höhe von 1,8 Prozent an die Mitglieder ausgeschüttet werden soll: als einfache Geldzahlung oder als Fleischprodukte. Eine Rendite fließt nur, wenn Gewinn gemacht wird.
Mitglied ist auch die Agrargenossenschaft Agraset aus Naundorf, deren Vorstandsvorsitzender ebenfalls Jan Gumpert ist. Zwischen den beiden Genossenschaften soll eine enge Beziehung entstehen. Durch die Agraset können das nötige Fachwissen und die technische Ausstattung gestellt werden, so Gumpert.
Es gehe aber keineswegs darum, Vorteile für die Agraset durch die Gründung der neuen Genossenschaft zu schaffen. Das sei aufgrund der Unternehmenszahlen gar nicht nötig.
Agraset betreibt auch konventionelle Schweineproduktion
Die Agraset betreibt unter anderem eine konventionelle Schweineproduktion, in der etwa 16.000 Mastschweine pro Jahr produziert werden. Sinn der Genießergenossenschaft Sachsen sei es, das unternehmerische Risiko einer nachhaltigen, tierwohlgerechten Haltung in einem möglichst transparenten Rahmen aufzuteilen. „Bei uns wird der Konsument auch zum Produzenten“, erklärt Gumpert.
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Er hofft, dass die Mitglieder zu den ersten regelmäßigen Kunden werden. „Wir können nicht in Vorleistung gehen, ganz teures Fleisch produzieren, und dann gibt es vielleicht zwei, drei Leute, die das kaufen wollen.“
Bisher wurden etwa 700 Anteile gezeichnet, erklärt Gumpert. Zusammen mit Krediten sei die Finanzierung des Projektes damit gesichert. Zudem hofft Gumpert auf eine Bezuschussung durch den Freistaat. Der erste Spatenstich für die Unternehmensgebäude ist schon getan.
Die Produktion soll im Frühjahr 2023 starten, ein halbes Jahr später das erste Fleisch ausgeliefert werden. Es sollen ein Stall, ein Strohlager sowie eine Schlachtstätte in Königshain-Wiederau gebaut werden. Im Stall soll eine Besucherplattform entstehen. Fünf Mitarbeiter sollen angestellt werden.
Wie werden die Schweine im Neubau gehalten?
Die Ferkel der Genießergenossenschaft sollen von der Agraset produziert und im Alter von vier Wochen im Pkw-Anhänger in den Stall der neuen Genossenschaft transportiert werden. Dort werden sie deutlich mehr Platz haben als gesetzlich vorgeschrieben, erklärt Gumpert.
Ausgewachsene Mastschweine mit einem Gewicht zwischen 50 und 110 Kilogramm müssen laut Bundeslandwirtschaftsministerium über mindestens 0,75 Quadratmeter Fläche verfügen. In der Genießergenossenschaft sollen es drei Quadratmeter sein. Auslauf im Freien soll es aber nicht geben, sagt Gumpert. Die dazu erforderliche Fläche sei zu groß, als dass das wirtschaftlich möglich sei.
Es soll ein Außenklima-Stall mit beständiger Frischluftzufuhr für die Schweine der Genießergenossenschaft gebaut werden. Die weit verbreitete Haltung von Schweinen auf Spaltböden, durch die die Hinterlassenschaften der Schweine durchfallen können, wird durch Haltung auf Stroh ersetzt. Auf Stroh könnten die Schweine ihren Wühl- und Spieltrieb besser ausleben, erklärt Gumpert. Allerdings müsse der Stall dann täglich ausgemistet werden.
Leinschrot statt Soja
Betriebe, die Schweine auf Stroh halten und ein höheres Platzangebot bieten, gebe es bereits einige, sagt Gumpert. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal der Genießergenossenschaft Sachsen liege in der Fütterung. Der Soja-Anteil im Futter soll durch selbstproduzierten Leinschrot ersetzt werden.
Damit, so Gumpert, würde sich die Fleischqualität erheblich verbessern, weil sich der Gehalt an gesunden Omega-3-Fettsäuren deutlich erhöhe. Außerdem sollen die Tiere in der Langmast gefüttert werden; also sechs statt drei Monate.
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Die Schweine sollen nicht unter Bio-Standards gefüttert werden. Weil dann alles Futter ebenfalls biologisch, also ohne künstlichen Dünger und Pflanzenschutzmittel, hergestellt werden muss, seien die Kosten dafür zu hoch und der Nutzen zugleich gering. „Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gehört nicht zu unserem Feindbild“, so Gumpert. Regionalität und der kontrollierte Anbau vor Ort seien für die Genießergenossenschaft Sachsen wichtiger.
Der Großteil des Futters soll vor Ort durch die Agraset im Auftrag der Genießergenossenschaft angebaut werden. Dazu verpachtet die Agraset rund 300 Hektar Land an die Genossenschaft.
Wie kommt das Fleisch zum Konsumenten?
Auf dem Gelände der Genießergenossenschaft soll ein eigener Schlachthof gebaut werden. Damit werde den Schweinen eine stressige Fahrt im Lkw erspart, so Gumpert. Lebend würden sie nicht einmal im Lkw transportiert werden – nur einmal als Ferkel etwa zwei Kilometer im Pkw-Anhänger. Fertig gemästet können sie direkt zum Schlachthaus laufen. Die unverarbeiteten Schweinehälften sollen dann an Fleischereien für die weitere Verarbeitung geliefert werden. Pro Jahr sollen etwa 3.000 Schweine produziert werden.
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Es gebe sachsenweit Genossenschaftsmitglieder, sagt Gumpert. Alle sollen möglichst einfach an das Genossenschaftsfleisch rankommen. Dafür sollen nach Vorstellung Gumperts in ganz Sachen Verteilstationen eingerichtet werden. Das könnten zum Beispiel Fleischer und Supermärkte sein. Auch in Döbeln soll es eine Station geben – wo, ist aber noch unklar. Zusätzlich soll das Fleisch auch in Gaststätten angeboten werden.
Sicher sei, dass nicht jeder Supermarkt in Sachsen beliefert werden könne – dazu sei die Zahl der Schweine viel zu gering. Vorrang habe deshalb zuerst die Versorgung der Mitglieder.
Kann sich der Verbraucher das Fleisch leisten?
Eigentlich sei ein Kilopreis von 18 Euro angestrebt worden, sagt Gumpert. Das werde auch weiterhin versucht. Angesichts der stark steigenden Preise etwa von Getreide und Sprit müsse dieser Preis aber wahrscheinlich angehoben werden.
Mit 18 Euro liegt der Preis deutlich über dem von konventionell hergestelltem Fleisch, das im Discounter angeboten wird. Dort kostet ein Kilo teilweise deutlich unter zehn Euro. Mitglieder der Genossenschaft sind bisher auch eher Besserverdienende wie Anwälte und Ärzte; aber auch selbstständige Tischler und Dachdecker seien unter den Mitgliedern. Es hätten, so Gumpert, auch schon Großväter Anteile für ihre Enkel gekauft.
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Der Normalverbraucher müsse natürlich eher abwägen, für was er Geld ausgeben möchte. Allerdings sei es schwieriger, Gemüse zu kaufen, als Fleisch, sagt Gumpert. „Fleisch ist nach wie vor der Billigmacher in der menschlichen Ration.“
Zudem mache laut Gumpert die „Rohware“ Fleisch nur etwa 15 Prozent des Preises im Metzgerbetrieb oder im Supermarkt aus. Der Großteil des Preises falle in den Schlacht-, Verarbeitungs- und Verkaufsbetrieben an. Steigt der Erzeugerpreis des Fleisches, wirke sich das deshalb nicht in gleichem Maße auf den Endpreis auf. Außerdem würden derzeit auch die Preise von konventionellem Fleisch stark steigen, sagt Gumpert.
Sind die Pläne wirklich nachhaltig?
Für Gumpert wird mit der Genießergenossenschaft eine „Kreislaufwirtschaft“ gebildet. „Was hier produziert wird, wird hier verbraucht. Auch die Überreste bleiben hier: Der Stalldung wird auf unsere Felder gestreut. Und die Menschen, die das Fleisch essen, wohnen auch hier“, so der Vorstandsvorsitzende.
Den Schweinen wird deutlich mehr Platz geboten als üblich. Stroh und eine gesündere Fütterung sind ebenfalls positiv für die Tiere – und am Ende auch für die Menschen, die vom höheren Gehalt an Omega-3-Fettsäuren im Fleisch profizieren. Zudem soll die Mastzeit auf sechs Monate erhöht werden.
Das Fleisch soll damit zwar deutlich tierwohlgerechter produziert werden. Das führe, so Gumpert, wahrscheinlich aber auch zu einer höheren Kohlenstoffdioxid-Bilanz pro produziertem Kilo Fleisch, unter anderem wegen dem erhöhten Futterverbrauch.
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Andererseits entfallen durch die hofeigene Schlachtung und das Ersetzen von importiertem Soja weite Liefer- und Fahrtwege. Auf den Stall sollen zudem Solarmodule installiert werden, sagt Gumpert. Auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Futtermittelproduktion wird nicht verzichtet – für Gumpert stellt das allerdings keinen Nachteil dar.
Die enge Verbindung zwischen Konsumenten und Produzent und die damit einhergehende Transparenz seien aus Sicht von Gumpert die Vorteile der Genossenschaft.
Diese Transparenz würde gern auch Genossenschaftsmitglied Anja Stockmann nutzen, um mit den Teilnehmern ihres Kochkurses aus der Rochlitzer Schule einen Ausflug in die Schweineproduktionsstätten zu unternehmen.