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Mehrweg-Schachteln in der Gastronomie in Sachsen: „Fast niemand will das“

Seit Januar müssen sächsische Gastronomen Mehrweg-Schachteln für Speisen anbieten. Doch das Konzept scheint beim Kunden zu scheitern.

Von Luisa Zenker
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Susann Schüler von der Pastamanufaktur in Dresden kennt kaum Kunden, die ihr Essen in Mehrweg-Boxen einpacken lassen.
Susann Schüler von der Pastamanufaktur in Dresden kennt kaum Kunden, die ihr Essen in Mehrweg-Boxen einpacken lassen. © Foto: SZ/Veit Hengst

In der Dresdner Pastamanufaktur scheppern die Töpfe bereits am frühen Vormittag. Die Köche schnippeln Tomaten und Zwiebeln für das Mittagessen. Auf der Menükarte stehen Pasta mit Gorgonzola-Sahne-Soße und Spaghetti an gebratenen Garnelen. Fünf Minuten dauert es von der Bestellung bis zum heißen Gericht auf dem Teller. Ein schnelles Mittagessen, das ein Fünftel der Kundschaft lieber mitnehmen möchte, als vor Ort zu genießen.

Über der Ladentheke der Pastamanufaktur stapeln sich deshalb die Essens-Verpackungen. Diese müssen Gastronomen seit Januar verpflichtend anbieten. Zumindest, wenn dort mehr als fünf Beschäftigte arbeiten oder auf mehr als 80 Quadratmeter Fläche gekocht und gespeist wird. Mit dieser Gesetzesänderung will die Bundesregierung dem Einwegmüll den Kampf ansagen.

Pflicht zum Mehrweg-Becher

Ein Politikum, das in der Gastronomie zu einem Schachtel-Tumult führt: So stapeln sich über der Ladentheke in der Pastamanufaktur mehrere Boxen. Links lagern die hellbraunen Einwegschachteln aus Papier, die sich nach Packungsbeilage in 90 Tagen zu Erde verwandeln sollen. Rechts daneben türmen sich weiße Kunststoffboxen zum Wiederverwenden. Mikrowellen- und Spülmaschinenfest lautet hier das Versprechen.

„Fast niemand will das“, sagt die Gastronomin Susann Schüler mit Blick auf das Mehrweggeschirr. Bereits seit 2020 bietet sie die wiederverwendbaren Boxen von der Firma Vytal an. Doch die Stammkunden aus der Nachbarschaft greifen lieber zum Einweg-Behältnis. Warum? Eine Mischung aus Gewohnheit und Faulheit, glaubt Schüler. „Den Leuten geht es zu gut.“

Dabei sei das System ganz leicht. Mit der zugehörigen App scannt der Kunde den Code auf der Verpackung und muss nur die Speise, nicht aber die Box bezahlen. Nach dem Verzehr kann die Schachtel dann in einer der 5.000 beteiligten Gastronomiebetriebe in ganz Deutschland abgegeben werden. „Wer es zu lange behält, muss eine Art Strafe bezahlen“, sagt Schüler. 10 Euro sind dann fällig. Der Hersteller Vytal produziert die Mehrweg-Boxen aus Kunststoff in Deutschland, Holland und Tschechien. Seit der Gesetzesnovelle profitiert er von mehr und mehr teilnehmenden Restaurants.

Vom Bistro bis zur großen Restaurant-Kette

Denn nun müssen große Ketten wie McDonalds, Burger King aber auch das Dresdner Brauhaus Watzke oder das Carolaschlösschen eine Alternative zur Einwegverpackung anbieten. Eine Aufgabe, die der Chef Moyd Karrum vom Caraloschlösschen als „Beschäftigungstherapie für uns Gastronomen“ beschreibt. Er befürwortet zwar die Gesetzesinitiative, hat aber genügend Sorgen angesichts der Folgen von Pandemie, Fachkräftemangel, Inflation und Energiekrise.

Seit Januar sind die Mehrwegbecher von RECUP auch bei Burger King in Deutschland verfügbar.
Seit Januar sind die Mehrwegbecher von RECUP auch bei Burger King in Deutschland verfügbar. © reCup GmbH

To-Go-Becher im Küchenschrank liegen geblieben

Auch im Brauhaus Watzke sind die ersten blauen und grünen Mehrweg-Schüsseln angekommen. Dieses Mal nicht von Hersteller Vytal, sondern von Rebowl und Recup. Einer Firma aus München, bei der sich die Zahl der beteiligten Gaststätten von 3.000 auf über 19.200 innerhalb von einem Monat erhöht hat. Bei diesem Prinzip muss der Kunde keine App nutzen, sondern Pfand für das Geschirr bezahlen.

Doch kommen die Becher auch wieder zurück? Nach Angaben von Recup könne man das nur schätzen. Demnach würden bei größeren Partnern 80 Prozent der Becher wieder beim Restaurant landen. Dafür, was mit den 20 Prozent passiert, gibt es zwei Erklärungen. Entweder sie landen bei anderen Ausgabestellen oder aber im Küchenschrank.

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Dort könnte dann ein bunter Schüsselturm heranwachsen: Denn auf dem Markt des Mehrweggeschirrs tummelt sich eine Vielzahl von Anbietern. Ein Durcheinander, das auch in Pirna noch nicht gelöst wurde: Dort verkauft der Chef vom Restaurant Canaletto Burger und Salate in Rebowl-Schalen. Zwar wird das Geschirr dort gut angenommen, doch Chef Marcus Galle stellt zugleich fest: „Das Mehrwegsystem lebt davon, dass es überall angeboten wird.“ Er befürchtet, dass am Ende drei verschiedene Schüsseln bei den Leuten zu Hause stehen. „Eine gemeinsame Lösung wäre klasse.“ Doch während er fleißig Mehrweggeschirr spült, sind andere noch mit der Inventur vom Vorjahr beschäftigt. Man müsse sich erstmal einen Überblick machen, welche Anbieter es am Markt gibt, heißt es etwa von der Pirnaer Gaststätte Platzhirsch, das in den kommenden Wochen Mehrweggeschirr einführen will.

Der Dschungel im Mehrweggeschirr

Um dem bunten Gewirr an Bechern und Schalen Einhalt zu gebieten, hat unter anderem die Stadt Chemnitz im Sommer die ortsansässige Firma SWA beauftragt, ein einheitliches Mehrweg-Becher-System namens Relocal einzuführen. Siebzig Anbieter nutzen seitdem in der Stadt die wieder verwendbaren Kaffeebecher von Relocal. Nun sollen Mehrweg-Boxen folgen.

Das Projekt Relocal der Firma SWA aus Chemnitz bietet Mehrwegbehältnisse an, welche regional im Erzgebirge erzeugt werden. Leiter Jens Preißler jongliert dabei mit verschiedenen Kunststofflösungen.
Das Projekt Relocal der Firma SWA aus Chemnitz bietet Mehrwegbehältnisse an, welche regional im Erzgebirge erzeugt werden. Leiter Jens Preißler jongliert dabei mit verschiedenen Kunststofflösungen. © Foto: SZ/ Veit Hengst

Im Gegensatz zu anderen will Relocal-Leiter Jens Preißler die Mehrweg-Boxen so regional wie möglich erzeugen lassen. Dafür baut er bis zum Frühjahr eine Produktion im Erzgebirge auf. Die schwarzen viereckigen Schachteln aus Kunststoff sind dann nicht nur hunderte Male verwendbar, sondern auch recyclingfähig. Ein Kreislauf, der fast funktioniert. Denn aus den Schalen kann nach dem Ableben zwar kein neues Geschirr entstehen, aber immerhin ein Sortiment an Blumentöpfen, Kugelschreibern und anderem.

Die Start-up-Gründerinnen Eva-Maria Kappelhoff und Laura-Marie Schulte aus Dresden von MealGood gehen noch einen Schritt weiter: Sie wollen Mehrweggeschirr aus 90 Prozent nachwachsenden Rohstoffen produzieren. Und am Ende soll nach dem Ableben der Mehrwegschale wieder eine neue entstehen. Ihre Boxen wollen sie in diesem Frühjahr noch auf den Markt bringen.

Mehrweggeschirr aus nachwachsenden Rohstoffen. Das ist die Idee des Dresdner Start-ups Mealgood.
Mehrweggeschirr aus nachwachsenden Rohstoffen. Das ist die Idee des Dresdner Start-ups Mealgood. © Christian Juppe

"Dem Kunden muss es schmecken."

Vytal, Rebowl, Relocal oder Mealgood - All diese Mehrweg-Firmen wollen die Welt ein bisschen vom Müll befreien. „Aber letztendlich muss der Verbraucher entscheiden“, erklärt Axel Klein vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Sachsen. Er sieht die gute Absicht in der Gesetzesnovelle, befürchtet jedoch, dass die Regel wenig kontrolliert werde. Zudem vermutet er, dass in manchen Betrieben das Mehrweg-Geschirr in der Ecke vergeblich herumliegen wird. "Dem Kunden muss es schmecken", sagt er.

In der Pastamanufaktur scheint sich diese These zu bestätigen. Hier verlangt kaum ein Kunde eine Mehrwegbox, zumal das System mit dem Lieferdienst Lieferando schwer kompatibel sei. Eine Gebühr für Einweg wollen die Gastronomen dem Kunden aber nicht aufdrücken. „Wir sind ja nicht da, um die Verbraucher zu erziehen“, heißt es von den Angestellten, obwohl sie allen Grund dazu hätten. Denn das Mehrweg-Geschirr kommt für sie billiger als die Einwegvariante.

Doch ob Schale oder nicht: Einige Hundert Meter von der Pastamanufaktur entfernt, stapelt sich ein Mülleimer mit Pizzakartons. Pappe und Aluminium sind von dem Gesetz ausgenommen. Für sie braucht es keine Alternativen. Die italienische Pizza-Kette L'Osteria testet zwar derzeit eine Mehrweg-Pizzaschachtel, doch die Nachfrage tendiere gegen null. Die Mehrweg-Anbieter fordern deshalb ein gänzliches Verbot von Einweggeschirr in der Gastronomie. Und Susann Schüler von der Pastamanufaktur findet: "Vom Teller im Restaurant schmeckts sowieso am besten."