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„Keiner braucht 70 neue Kleidungsstücke im Jahr“

Autorin Ellen Köhrer über geleaste Jeans, Taschen aus Kuhmägen und den Schritt von Fast zu Slow Fashion. Teil 3 unserer Serie "Klima retten, wie geht das?"

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Kimono, gefärbt mit naturindigo von Living Blue aus Bangladesch.
Kimono, gefärbt mit naturindigo von Living Blue aus Bangladesch. © Bianca Fainal

Bis zu zwölf Kollektionen bringen Modefirmen jedes Jahr in die Läden. Rund 70 Kleidungsstücke kauft jeder Bundesbürger im Jahr. Und jedes fünfte ausrangierte Teil landet nach Angaben des Instituts für Abfallwirtschaft und Altlasten der Technischen Universität Dresden im Restmüll. Fast Fashion nennt sich das. Der Gegentrend: Slow Fashion. Denn immer mehr Verbraucher achten darauf, dass ihre Kleidung umweltfreundlich und fair hergestellt wird. Design und nachhaltiges Material gehören zusammen, sagt Ellen Köhrer, Autorin des Buches „Fashion made fair“.

Frau Köhrer, was ist das Ungewöhnlichste auf dem Markt nachhaltiger Kleidung?

Taschen aus Kuhmägen, einem Abfallprodukt der Fleischindustrie, von einem holländischen Label. Ein umweltfreundlicher Lederersatz, der natürlich gegerbt wird.

Tragen Sie so etwas auch?

Nein. Ich trage heute eine Vintage-Bluse aus meinem Lieblings-Secondhandshop, einen Gürtel aus Rhabarberleder von Deep-mello aus Leipzig, der statt mit Chrom mit diesem pflanzlichen Stoff aus der Rhabarberwurzel gegerbt wurde, und eine geleaste Jeans von Mud Jeans. Für die neue Jeans bezahle ich einmalig 29 Euro und ein Jahr lang 7,50 Euro im Monat, also insgesamt 119 Euro. Danach kann ich die Jeans behalten oder zurückgeben. Die gebrauchten Jeans werden als Secondhandjeans wieder verkauft oder recycelt, und aus den recycelten Fasern werden zusammen mit neuen Fasern wieder Jeans hergestellt. Nach der Devise „Nutzen statt besitzen“, das Label bleibt Eigentümer der Materialien. Ein wichtiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft.

Sind die kleinen Firmen weiter als die großen Modekonzerne, was nachhaltige Kleidung betrifft?

Kleine Brands und mittelständische Unternehmen waren die Vorreiter. Seit 15 Jahren gibt es immer mehr junge nachhaltige Labels, die den modischen Aspekt neben fairer und umweltfreundlicher Produktion in den Mittelpunkt stellen. Nachhaltige Mode hat sich längst von ihrem Öko-Image emanzipiert. Große Fast Fashion-Händler wie H&M, Zara oder C&A stehen unter enormen Druck und ziehen nach. Der Einsturz einer Textilfabrik 2013 in Bangladesch mit über 1.100 Toten und rund 2.500 Verletzten hat weltweit für Entsetzen gesorgt und etwas im Bewusstsein geändert. Vor allem die junge Generation will von den Unternehmen wissen, wie und unter welchen Bedingungen sie produzieren.

Die Conscious Collection von H&M etwa macht nur einen minimalen Teil der gesamten Kollektionen aus. Kritiker monieren Greenwashing und Verbrauchertäuschung.

Große Fast Fashion-Anbieter haben zwar ihr Geschäftsmodell nicht geändert, produzieren aber vermehrt Kleidung aus Biobaumwolle, Recyclingfasern oder neuen nachhaltigen Stoffen wie Tencel. Letzterer wird aus natürlichem Eukalyptusholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft gewonnen. Klar sind diese nachhaltigeren Kollektionen noch klein im Vergleich zur Masse der verkauften Mode. C&A ist aber nach eigenen Aussagen der größte Abnehmer von Biobaumwolle weltweit. Damit steigt die Nachfrage nach Biobaumwolle enorm, und es wird mehr davon angebaut.

Michaela Schubert aus Zwönitz: Es müssen nicht immer die neuesten Klamotten sein! Ich schaue in erster Linie bei eBay & Co. Gebrauchte Dinge von anderen zu kaufen, finde ich eine tolle Sache. Bis jetzt habe ich durchweg gute Erfahrungen damit gemacht.
Michaela Schubert aus Zwönitz: Es müssen nicht immer die neuesten Klamotten sein! Ich schaue in erster Linie bei eBay & Co. Gebrauchte Dinge von anderen zu kaufen, finde ich eine tolle Sache. Bis jetzt habe ich durchweg gute Erfahrungen damit gemacht. © Georg Ulrich Dostmann

Laut Greenpeace ist die Textilindustrie eine der schmutzigsten Branchen überhaupt. Was ist denn das Umweltproblem der meisten herkömmlichen Kollektionen?

Am umweltschädlichsten sind laut Studien Baumwolle und Leder. Für die Herstellung einer Jeans vom Baumwollfeld bis zum Shop werden rund 7.000 Liter Wasser verbraucht. Zum Düngen der Baumwolle, zum Färben und der Behandlung des Stoffs werden außerdem unzählige Chemikalien eingesetzt. Leder wird mit giftigen Chemikalien gegerbt, damit es haltbar wird. Die Gerber stehen in Bangladesch teils barfuß und ohne Schutzkleidung in der giftigen Brühe. Alles Bilder, die wir nicht mit schöner Mode in den Schaufenstern und Onlineshops verbinden.

Was machen nachhaltige Designer anders?

Sie produzieren fair und verwenden umweltfreundliche Stoffe aus Biobaumwolle, Tencel oder recyceltem Polyester. Sie achten bei der Produktion darauf, dass Jeans nicht sandgestrahlt werden, was Lungen krank macht, sondern dass sie mit Lasern gebleicht werden. Sie achten zudem auf Qualität und zeitlosere Farben, Muster und Schnitte, die nicht einem kurzen Trend folgen und in der nächsten Saison schon wieder out sind.

Laut Greenpeace basieren 70 Prozent aller eingesetzten Fasern auf Erdöl, nur 30 Prozent der Textilien sind aus Naturfasern. Vor 20 Jahren war es noch anders herum. Gerade bei Sport- und Outdoorkleidung sind synthetische Fasern jedoch nicht wegzudenken. Was ist ihr Problem?

Laut dem Branchenmagazin Business of Fashion stammen 20 bis 35 Prozent des Mikroplastiks in den Ozeanen von Kleidung. Und der CO2-Fußabdruck von Mode ist höher als der von internationalen Flügen und Shopping zusammengerechnet. Kunstfasern aus Erdöl sind im Vergleich zur Herstellung von Baumwolle vom Anbau über die Ernte, das Spinnen, Weben etc. viel billiger. Vermutlich einer der Hauptgründe, warum man heute kaum mehr ein Kleidungsstück findet, dem keine Kunstfasern wie Polyacryl, Polyamid oder Elasthan beigemischt wurden.

Farben sind auch ein großes Problem – gerade Schwarz belastet Gewässer sehr. Gibt es auch hier umweltfreundliche Alternativen?

In den letzten fünf Jahren wurde das Färben mit Naturfasern immer beliebter. Einige Labels färben Jeans wieder mit Naturindigo, einem blauen Farbstoff, der aus der Indigopflanze gewonnen wird. Das Cradle to Cradle-Institut hat eine schwarze Farbe entwickelt, die weder für Mensch noch Umwelt schädlich ist; die Marke trigema etwa färbt T-Shirts aus Biobaumwolle damit. Außerdem züchten Labore umweltfreundliche Farbstoffe aus Bakterien. Die Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle hat Naturfarbstoffe entwickelt, mit denen Textilien bedruckt werden können, ein Novum in der Branche.

Wo finden Kunden nachhaltige Mode?

In vielen Shops in den großen Städten, in Dresden etwa bei Populi oder Unipolar, in Chemnitz bei Kult-Design-Unikate, in Leipzig bei Deepmello & Friends, auch in Weltläden. Bei getchanged.org gibt es einen Shopfinder. Online bei Advocadostore, Glore oder raven collective, aber auch die großen Onlineanbieter nehmen immer mehr nachhaltige Labels in ihr Sortiment auf.

Ellen Köhrer ist Journalistin und schreibt seit Jahren über Nachhaltigkeit in der Mode und Textilwirtschaft. Sie lebt in Berlin.
Ellen Köhrer ist Journalistin und schreibt seit Jahren über Nachhaltigkeit in der Mode und Textilwirtschaft. Sie lebt in Berlin. © Kathrin Harms

Nur ein bis zwei Prozent der Textilien sind nachhaltige Marken. Wie können Verbraucher nachhaltiger Mode zum Durchbruch verhelfen?

Gerade junge Menschen der Generation „Greta“ wollen sich klimafreundlich und umweltbewusst kleiden. Die Nachfrage steigt, und im vergangenen Jahr war „Sustainability“, also Nachhaltigkeit, der Trend in Modemagazinen wie der Vogue. Damit ist das Thema im Mainstream angekommen. Die Nachfrage wird bestimmt auch durch die Coronakrise in den nächsten Jahren steigen.

Ist es nicht schwierig, alte Kauf- und Tragegewohnheiten abzulegen?

Wir müssen wieder lernen, dass Kleidung keine Wegwerfware ist, sondern einen Wert hat. Nicht nachhaltig wäre es, die komplette Kleidung in die Altkleidersammlung zu geben und nur noch nachhaltige Marken zu kaufen. Die Mischung macht’s. Also Kleidung von höherer Qualität kaufen, sie achten und pflegen und reparieren, wenn sie kaputtgeht. Man kann nachhaltige Kleidung auch leihen oder leasen, Kleidung mit Freunden tauschen und secondhand kaufen. Dazu dann neue Teile von nachhaltigen Brands oder aus nachhaltigen Materialien. Die sind zwar etwas teurer. Aber keiner braucht wirklich 70 neue Kleidungsstücke im Jahr!

Das Gespräch führte Martina Hahn.