Leben und Stil
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Der mühevolle Weg zum glücklichen Schnitzel

Fast jeder wünscht sich mehr Tierwohl – auch Schweinemäster. Doch nur jedes 147. Schwein in Sachsen wächst so natürlich auf wie in Podemus. Das hat viele nachvollziehbare Gründe.

Von Katrin Saft
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Mit Auslauf, Stroh und Ringelschwanz: Bernhard Probst, Chef des Biohofs Vorwerk Podemus, hält seine Schweine nach den ökologischen Kriterien. Die Schwarz-Gescheckten sind eine Kreuzung von Landrasse & Edelschwein & Pietranteber.
Mit Auslauf, Stroh und Ringelschwanz: Bernhard Probst, Chef des Biohofs Vorwerk Podemus, hält seine Schweine nach den ökologischen Kriterien. Die Schwarz-Gescheckten sind eine Kreuzung von Landrasse & Edelschwein & Pietranteber. © Jürgen Lösel

In Podemus, hoch über Dresden, haben die Schweine Schwein gehabt. Sie leben dort ein glückliches Schweineleben, wie es sich viele Menschen für ein gutes Gewissen wünschen: mit Platz und Auslauf, mit Tageslicht und natürlicher Belüftung. Statt auf harten Spaltböden liegen sie auf frischem Stroh, in dem sie auch wühlen können. Ihr Futter stammt aus rein ökologischer Erzeugung: aus etwa 50 Prozent Gerste, 30 Prozent Winterackerbohnen, je zehn Prozent Erbsen und Körnermais plus einem Schuss Mineralfutter dazu. Zum Dank dafür wackeln sie mit ihren Schwänzchen. Denn im Gegensatz zu den meisten Schweinen in Deutschland wurden sie nicht vorsorglich kupiert.

Nur jedes 147. Schwein in Sachsen wächst allerdings so wie die Schweine in Podemus auf – nach Bio-Vorschriften. Während bio bei Obst und Gemüse schon verbreitet ist, ist Bio-Fleisch noch eine Nische. "Eine sehr anspruchsvolle", sagt Podemus-Chef Bernhard Probst. "Denn es reicht dafür nicht, einen schönen neuen Stall zu bauen. Man muss den gesamten Betrieb umstellen. Und man darf den hohen bürokratischen Aufwand für Dokumentation und Kontrolle nicht scheuen."

Mit der Ankündigung von Aldi & Co, bis 2030 nur noch Frischfleisch der besseren Haltungsformen 3 und 4 anzubieten, ist der Druck auf die Landwirte gewachsen, in mehr Tierwohl zu investieren. Zwar hat der neue Bundeslandwirtschaftminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) eine verbindliche und transparente Kennzeichnung der Tierhaltung angekündigt. Aber damit ist frühestens Ende des Jahres zu rechnen. Insofern gibt es noch keine gesetzlichen Vorgaben, wie mehr Schweinewohl überhaupt aussehen soll. Während der Lebensmittelhandel auf vier Haltungsformen setzt, sieht ein Entwurf der Bundesregierung drei Tierwohlstufen vor. Zudem existieren zahlreiche Label mit unterschiedlichen Kriterien. Bioland, Demeter und Naturland haben einen eigenen Tierwohl-Leitfaden entwickelt.

Bernhard Probst hält seine Schweine nach den EU-Richtlinien des ökologischen Landbaus, den strengsten Kriterien für Tierwohl. Für die Mast kommen nur Ferkel aus ökologischer Sauenhaltung infrage. Doch die sind rar. Nach den neuesten, zwei Jahre alten Zahlen des Landwirtschaftsministeriums gibt es in Sachsen nur 14 Öko-Sauenhalter. "Denn wer hier erfolgreich sein will, muss fast schon denken wie eine Sau", sagt Probst. "Während konventionelle Sauen Hormone gespritzt bekommen und pünktlich zum Eisprung besamt werden, nimmt eine Öko-Sau das Sperma nur auf, wenn sie sich wohlfühlt und Bock darauf hat." Das hinzubekommen, sei eine hohe Kunst.

In Sachsen gibt es nur 14 Öko-Sauenhalter.
In Sachsen gibt es nur 14 Öko-Sauenhalter. ©  pixabay.com (Symbolfoto)

Deshalb kauft Probst seine Öko-Ferkel vom Spezialisten. Bei täglich drei Kilogramm Futter nehmen sie pro Tag 720 Gramm zu und sind – wenn alles gut läuft – nach fünf Monaten schlachtreif. Und hier kommt das nächste Tierwohl-Problem. Nur etwa jedes vierte Schwein aus Sachsen kann auch in Sachsen geschlachtet werden. Denn es gibt im Freistaat nur noch einen größeren Schlachthof in Belgern, und der ist überlastet. Zehntausende Tiere werden jedes Jahr dem Stress einer kilometerlangen Fahrt nach Altenberg, Hof oder zu Tönnies in Weißenfels ausgesetzt.

Die Tierschutzorganisation Peta kritisiert regelmäßig, dass Schweine in Deutschland vor dem Schlachten massenhaft und kostengünstig mit CO2 betäubt werden und dabei qualvolle Erstickungsängste erleiden. "Das ist nichts anderes als ein Schweine-KZ", sagt Bernhard Probst. Er selbst lässt auf seinem Hof schlachten, Tier für Tier, vorher betäubt mit der Elektrozange. Freitag wird geschlachtet, Sonntagnachmittag zerlegt und Montagfrüh liegen Bio-Fleisch und -Wurst in den 13 Vorwerk Podemus-Läden. Das tierische Glück hat allerdings seinen Preis. Ein Kilogramm Bioschnitzel aus der Oberschale kostet 21,90 Euro, während es bei Lidl bei Haltungsform 2 nur 7,90 Euro sind.

Als Probst den Hof 2012 von seinem Vater übernahm, stand für ihn fest, dass er ihn von Anfang an ökologisch ausrichtet. Aus Überzeugung. "Alles, wo ein Totenkopf drauf ist, hat in Lebensmitteln nichts zu suchen", sagt er. "Ich verzichte auf chemische Pflanzenschutzmittel, verwende keinen Kunstdünger, sondern Gülle und nutze die natürlichen Fruchtfolgen." Inzwischen hat sein Betrieb 260 Mitarbeiter.

Ein Kilogramm Bioschnitzel aus der Oberschale kostet 21,90 Euro, während es bei Lidl bei Haltungsform 2 nur 7,90 Euro sind.
Ein Kilogramm Bioschnitzel aus der Oberschale kostet 21,90 Euro, während es bei Lidl bei Haltungsform 2 nur 7,90 Euro sind. ©  pixabay.com

Was so bilderbuchschön aussieht, ist längst noch nicht massenkompatibel. Zwar möchte kein Landwirt seine Tiere schlecht behandeln. Doch Sachsens Schweinebauern plagen ganz andere Sorgen als bio: wie sie selbst wirtschaftlich überleben sollen. "Viele Schweinehalter machen mit jedem gemästeten Tier Verlust", sagt Manfred Uhlemann, Hauptgeschäftsführer des Sächsischen Landesbauernverbands. "Sie sehen keine Perspektive mehr und geben auf." Laut Viehzählung Ende 2021 werden in Sachsen noch knapp 610.000 Schweine in 150 Betrieben gehalten. Das sind nur etwa 2,6 Prozent des deutschen Schweinebestands. Die Probleme kommen gleich von mehreren Seiten.

"Nur bessere Sterbehilfen"

Viele Jahre war der Preis für Schweinefleisch im Keller. Mit Corona und den lange Zeit geschlossenen Gaststätten und Kantinen sank die Nachfrage. Dann kam die Afrikanische Schweinepest, die Exportstopps, Sperrzonen und strenge Auflagen zur Folge hat. Schweine aus der Zone II beispielsweise – inzwischen der gesamte Landkreis Görlitz sowie Teile der Landkreise Bautzen, Meißen und der Stadt Dresden – dürfen sicherheitshalber keinen Auslauf mehr haben. Damit ist ein wichtiges Tierwohl-Kriterium nicht mehr umsetzbar. "Ich würde, wenn es soweit kommt, über meinem umzäunten Auslauf gern ein Vogelschutznetz anbringen", sagt Bernhard Probst. "Aber das Veterinäramt Dresden konnte mir bis heute nicht sagen, ob das ausreicht."

Schweine aus der Sperrzone II dürfen zudem nicht mehr außerhalb dieser Zone geschlachtet und verarbeitet werden – oder bloß mit einer Ausnahmegenehmigung. "Derzeit sind nur die Schlachthöfe von Tönnies in Kellinghusen und eingeschränkt von Vion in Perleberg zur Abnahme solcher Tiere bereit", sagt Burkhard Beyer, Referent im Landwirtschaftsministerium Sachsen (SMEKUL). Es entstehen erhebliche Zusatzkosten für Untersuchungen und Transport – obwohl, so ärgert sich Bauernchef Uhlemann, in Sachsen nur Wildschweine und kein einziges Hausschwein betroffen ist. Der Freistaat unterstützt die Halter zwar mit zwei Förderprogrammen. "Doch die sind im Prinzip nur Sterbehilfen", sagt Uhlemann.

Kosten für Energie und Futtermittel sind gestiegen

Langsam, aber sicher macht sich bei der Nachfrage auch die wachsende Fangemeinde der Vegetarier, Veganer und der Flexitarier bemerkbar, die ihren Fleischkonsum reduzieren. Inzwischen mahnt nicht mehr nur die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, weniger Fleisch zu essen. Und jetzt kommt auch noch der Ukraine-Krieg. Eine Folge sind erheblich gestiegene Kosten für Energie und Futtermittel, vor allem für Getreide. "Zwar ist auch der Preis für das Kilo konventionelles Schlachtschwein in den letzten Wochen von 1,20 auf 1,84 Euro explodiert", sagt Bauernverbands-Chef Uhlemann. Doch das bedeute nicht, dass dem Landwirt automatisch mehr Geld bleibe. Uhlemann: "Er kann aber nur in mehr Tierwohl investieren, wenn er auch etwas verdient."

Viele Schweinehalter in Sachsen hätten Ställe gebaut, für die sie noch Kredite abzahlen müssten. Sie könnten doch nicht alle paar Jahre auf neue Wünsche reagieren. "Der Stall von heute ist das Produkt einer Entwicklung, bei der Produktivität und tierische Leistungen im Vordergrund gestanden haben", so das Fazit auf dem Mitteldeutschen Schweinetag im November. "Sollen Tierwohl und Umweltschutz künftig so viel höher bewertet werden, werden die Kosten weiter steigen, ohne dass Produktivitätsfortschritte möglich sind." Denn Tierwohl-Ställe bedeuten automatisch weniger Tiere.

Dabei sperren sich viele Schweinehalter nicht generell gegen einen entsprechenden Umbau. Sie fordern nur endlich langfristige Planungssicherheit, ein vereinfachtes Baurecht und eine Aussage, wer die Mehrkosten bezahlen soll. Bio-Landwirt Probst schätzt die Kosten für einen Platz im Tierwohl-Schweinestall auf 600 bis 1.100 Euro, für einen Sauenplatz sogar auf bis zu 5.000 Euro. Burkhard Beyer, Referent im SMEKUL, verweist auf zusätzliche Fördergelder vom Land, die es neben den Programmen des Bundes gebe.

Klar ist aber auch, dass sich mehr Tierwohl auch preislich im Laden bemerkbar machen wird. Landwirtschaftsminister Özdemir will bis Jahresende ein "solidarisches Abgabemodell auf Fleischprodukte" vorlegen. Im Gespräch sind eine Tierwohl-Zulage, eine von sieben auf 19 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer sowie staatliche Subventionen.

Nicht genügend Bio-Nachfrage

Noch können Kunden schwer erkennen, wie viel Tierwohl wirklich in ihrem Schnitzel steckt. Die Schweinehalter wünschen sich eine nationale 5 D-Kennzeichnung, wobei die Ds für Geburt, Aufzucht, Mast, Schlachtung und Verarbeitung der Tiere in Deutschland stehen. Die Herkunft des Fleischs, so die Forderung von Verbraucherschützern, soll aber nicht mehr nur im Laden, sondern künftig auch in Restaurants und Kantinen ausgewiesen werden müssen. In Frankreich ist das seit März schon Pflicht. Doch der Bund will auf die EU-Kommission warten, die bis Ende 2022 Vorschläge für eine europaweite Haltungskennzeichnung verspricht.

"Uns geht es nicht darum, dass jetzt alle konventionellen Betriebe gleich auf bio umsteigen", sagt Bauernchef Uhlemann. Denn für das teurere Biofleisch sehe er noch nicht genügend Nachfrage. Schon gar nicht angesichts des Ukraine-Kriegs, der ohnehin viele Lebensmittelpreise steigen lässt. Sachsens Bauernverband setzt dagegen auf Regionalität, auf mehr handwerklich erzeugtes Fleisch. "Dafür steht heute schon die Marke Sachsenglück", sagt Uhlemann, "auf deren Webseite Erzeuger, Verarbeiter, Händler und Gastronomen transparent aufgeführt sind." Damit es noch mehr werden können, müssen vor allem neue regionale Schlachtmöglichkeiten her. Der Freistaat fördert deshalb vier Projekte, darunter eine Studie des Bauernverbands, die zum Beispiel Möglichkeiten für mobiles, hofnahes Schlachten untersucht. Bis Herbst soll sie auf dem Tisch liegen.

Biolandwirt Probst schlachtet wöchentlich etwa 50 Schweine auf seinem Hof. "Glückliche Tiere schmecken besser", versichert Andrea Franke, Fleisch-Sommeliere aus Weinböhla. Sie erkenne die bessere Haltung schon optisch an Struktur und Fettgehalt des Fleisches. Noch bleibt den Schweinen in Podemus etwas Zeit, um im Stroh zu wühlen und mit ihren Schwänzchen zu wackeln. Schwein gehabt.