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Sexy und nachhaltig - Dresdner Spitze ist spitze

Eine Manufaktur in Dresden ist Vorreiter für nachhaltige Produktion - und hat sich das schon in mehreren Zertifikaten erfolgreich bescheinigen lassen.

Von Nora Miethke
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Katja Bastian arbeitet seit zwei Jahren als Wirkerin in der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur M & S. Schröder GmbH & Co. KG.. Die Manufaktur produziert zertifiziert nachhaltig.
Katja Bastian arbeitet seit zwei Jahren als Wirkerin in der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur M & S. Schröder GmbH & Co. KG.. Die Manufaktur produziert zertifiziert nachhaltig. © ronaldbonss.com

Wer Wäsche von Calida im Schrank hat, kann sie guten Gewissens anziehen. Denn die Unterhemden, Slips, Büstenhalter und Tops der Schweizer Marke sehen nicht nur schön aus, sondern sind auch umweltfreundlich produziert – zumindest die Spitze. Diese kommt von der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur M & S Schröder GmbH & Co. KG.Das traditionsreiche Unternehmen – 1884 gegründet und vor dem Zweiten Weltkrieg die größte Spitzenmanufaktur der Welt – ist ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit in der Textilbranche wie in der sächsischen Wirtschaft überhaupt. Erkennbar an der Liste der Zertifikate.

Mit Standard 100 by Oeko-Tex wird nachgewiesen, dass alle Produkte die geltenden humanökologischen Anforderungen an Textilien mit Hautkontakt erfüllen. Bei Oekotex Step, dem Zertifizierungssystem für nachhaltige Textilproduktion, wurde die beste Bewertung, Level 3, erreicht. "Damit sind wir ein zuverlässiger Partner für Kunden, die ein Made-in-Green–Label für ihre Produkte anstreben oder bereits besitzen", heißt es auf der Homepage. Als vorerst letztes kam "Cradle to Cradle" hinzu, das Zertifikat zur Bescheinigung einer Kreislaufwirtschaft.

Dabei begann alles aus der Not heraus. Im Jahr 2004 beteiligte sich die Dresdner Spitze als eines der ersten Unternehmen an der Initiative Ökoprofit im Freistaat, um unter Anleitung Maßnahmen zum Sparen von Energie, Wasser und anderen Ressourcen umzusetzen. Nicht vordergründig wegen der Umwelt, sondern um die eigenen Standortbedingungen im Wettbewerb zu verbessern. "Um die Jahrtausendwende forderten unsere Kunden uns auf, die Produktion nach Asien zu verlagern. Diesen Prozess hätten wir gar nicht stemmen können", erinnert sich Geschäftsführer Sascha Schröder. Heute ist er froh, denn der Großteil der Hersteller, die der Aufforderung nachkamen und nach Asien gingen, sind heute vom Markt verschwunden. Denn es wurde erwartet, dass sie ihre Produkte auch zu asiatischen Preisen verkauften.

Der Prozess war extrem aufwendig

Schröder, der gemeinsam mit seinem Vater das Dresdner Werk des VEB Plauener Spitze 1994 der Treuhand abkaufte, suchte andere Wege, um das Überleben der Manufaktur zu sichern. Im Rahmen von "Ökoprofit" wurden für 75.000 Euro Investition die Produktionsfläche konzentriert, die Heizungsanlage umgebaut und die Maschinenbettheizung um 10 Grad Celsius gesenkt. Das reduzierte den jährlichen Stromverbrauch um 132.000 Kilowattstunden und den jährlichen Ölverbrauch um 22.500 Liter – eine Ersparnis von 40 .000 Euro im Jahr. Die Wärmerückgewinnung des Kühlwassers spart 40.000 Liter Heizöl ein, das sind 18.000 Euro pro Jahr. Und die Erneuerung der Fensterdichtungen spart im Jahr 8.500 Liter Heizöl. Das sind nur die größten Maßnahmen von damals. Letztendlich wurde seitdem der gesamte Maschinenpark auf den neuesten Stand gebracht.

Der Impuls, nicht nur Kosten sparen zu wollen, sondern sich aus Überzeugung auf den Weg zu einem nachhaltig agierenden Unternehmen zu machen, kam jedoch von Calida. Die Schweizer Firmengruppe, zu der auch die französische Luxusmarke Aubade gehört, forderte seine Lieferanten auf, den STeP-Zertifizierungsprozess zu starten, da Calida nur noch hochpreisige, aber langlebige Produkte verkaufen will. Die Dresdner Spitzenmanufaktur ist einer der Hauptlieferanten der Schweizer. "Es war nicht damit getan, einfach nur ökologische Garne zu kaufen, der Prozess war extrem aufwendig", sagt Schröder und zählt nur einige Schritte auf: Alle Bau- und Betriebsgenehmigungen mussten überprüft werden wie auch alle Arbeitsverträge, ob sie rechtlich und sozial ausgeglichen sind. Die Sicherheitsdaten für alle Chemikalien mussten aktualisiert werden. Die 45 Mitarbeitenden in Dresden wollten motiviert werden, das Projekt nicht nur als zusätzliche Arbeitsbelastung zu sehen. Und international hatte Schröder mit unterschiedlichen Auffassungen von Nachhaltigkeit und divergierenden Interessen in der Lieferkette zu kämpfen.

Verschiedene Stoffmuster in der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur.
Verschiedene Stoffmuster in der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur. © ronaldbonss.com

Doch der Aufwand und die Investitionen haben sich gelohnt. Der Textilunternehmer sieht vor allem zwei positive Effekte. "Erster Vorteil, wir halten uns die Konkurrenz vom Hals, die diese Zertifizierung scheuen", sagt er. Die Manufaktur konnte der kostengetriebenen Preisspirale entkommen und beliefert nur noch Kunden im hochpreisigen Segment, wo die Margen für die Zulieferer höher sind. "Für uns rechnet sich nachhaltiges Produzieren, weil wir weniger Qualitätsmängel haben und daher höhere Preise verlangen können", so Schröder. Die Manufaktur macht im Jahr zwischen 6 und 6,5 Millionen Euro Umsatz und beliefert 20 Hauptkunden. Hinzu kommen noch die Kostenersparnisse durch den geringeren Ressourcenverbrauch. Seit Mitte 2020 ist eine eigene Fotovoltaik-Anlage in Betrieb, mit der 40 Prozent des Energiebedarfs gedeckt werden können. Das Wasser für die Produktion kommt zu hundert Prozent aus zwei eigenen Brunnen. Sascha Schröder vergleicht den Prozess mit einem Sportler, der ständig seine Kondition trainiert, um leistungsfähiger zu sein. "Alles hat sich verbessert, die Qualität der Produkte, die Arbeits- und Produktionsbedingungen, die Wirtschaftskennzahlen."

Sascha Schröder, Geschäftsführer der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur
Sascha Schröder, Geschäftsführer der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur © ronaldbonss.com

Den zweiten Effekt, die positive Wirkung auf die Beschäftigten, hätte er so gar nicht erwartet. "Die Fluktuation ist gering, und der Fokus auf Nachhaltigkeit hilft, Nachwuchs zu finden und zu halten, weil die jüngere Generation stärker nach dem Sinn ihrer Arbeit sucht, um sich damit zu identifizieren", sagt Schröder. Mit Freude beobachtet er, wie die Mitarbeitenden – Durchschnittsalter 40 Jahre – diesen stetigen Verbesserungsprozess mit großer Überzeugung und Begeisterung umsetzen.

Heike Graf-Neumann, die Leiterin der Wirkerei, kann das bestätigen. Es sei sehr schwierig, Nachwuchs zu finden, weil es vielen "zu laut und zu warm" sei, sagt Graf-Neumann und schreit gegen das laute Rattern der Wirkmaschinen an. Noch mehr würden sich aber am Drei-Schicht-System stören. Doch das sei notwendig, weil die Maschinen rund um die Uhr laufen müssen und die Auftragsbücher voll sind. Bei ihrem elfköpfigen Team beobachtet die Wirkerei-Chefin, dass die älteren Mitarbeiterinnen die jüngeren mitziehen. "Aus DDR-Zeiten sind sie gewohnt, sparsam zu produzieren. Diese Denkweise bringen sie aus der Vergangenheit mit."

Nachhaltige Materialien sind weniger belastbar

Die Dresdner Spitze ist noch nicht am Ende des Weges. Großen Entwicklungsbedarf sieht Schröder bei Materialien. Noch gibt es keine regenerativen Garne, wird in der Textilproduktion viel mit synthetischen Garnen gearbeitet, die guten Tragekomfort bringen und pflegeleicht sind. Schröder befürchtet, dass etwa Sportbekleidung aus nachhaltigen Stoffen den Konsumenten Einschränkungen abverlangen würden. Auch sind nachhaltige Materialien weniger belastbar. Wenn der Faden ständig reißt und die Maschine deshalb stehen bleibt, werden das die Kunden nicht akzeptieren. Auf dem großen Fabrikgelände ist auch das Institut für Textilmaschinen- und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden untergebracht. Noch mit anderen Partnern sei ein richtiges "Textiles Kompetenzzentrum" entstanden. Gemeinsam werden diese neuen Materialien entwickelt und erprobt.

Schröders Fazit zum Engagement in Sachen Nachhaltigkeit: "Die anfängliche Skepsis löst sich auf, und damit kommt die Begeisterung." Die Dresdner Spitze sei aus der reservierten Rolle in eine Vorreiterrolle gewachsen. "Wir sind als Betrieb weit gekommen, aber die gesamte komplexe Wertschöpfungskette nachhaltig in den Griff zu bekommen, ist noch ein weiter Weg", sagt der Manufakturchef.

  • Auf der Internetseite "nachhaltige-kleidung.de" lässt sich ein Überblick finden, welche Gütesiegel und Zertifikate darauf hinweisen, dass Kleidung unter nachhaltigen Aspekten hergestellt wurde. Zu den wichtigsten Zertifikaten gehört Cradle to Cradle Certified Product Standard, Made in Green by Oeko Tex, die die Dresdner Spitze erzielt hat.