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Von Sachsen bis nach Afrika: Der lange Weg unserer Kleider

In Deutschland werden immer mehr Altkleider gesammelt. Nur wenige Teile dienen am Ende aber wieder als Kleidungsstück. Viele Sachen landen auf Mülldeponien - und zwar nicht in Deutschland.

Von Lucy Krille
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Angelika Stiebner sortiert Sachen in der Kleiderkammer. Was hier hängt, können Bedürftige für einen kleinen Preis kaufen. Ein großer Teil der gesammelten Kleidung in Deutschland geht aber woanders hin.
Angelika Stiebner sortiert Sachen in der Kleiderkammer. Was hier hängt, können Bedürftige für einen kleinen Preis kaufen. Ein großer Teil der gesammelten Kleidung in Deutschland geht aber woanders hin. © Matthias Schumann

Die Hose, die schon lange zu eng ist, der ausgeleierte Pullover und das längst vergessene Shirt – sie alle wurden plötzlich wieder hervorgekramt. Während der Corona-Pandemie verbrachten die Menschen mehr Zeit zu Hause und misteten dort ihre Kleiderschränke aus. Ein großer Teil der überflüssigen Kleider landete in Säcken und Containern.

So wie das blaue T-Shirt, das Angelika Stiebner jetzt in die Hand nimmt. Stiebner arbeitet in der Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes in Löbau und Ebersbach. Hier sortieren die Mitarbeiterinnen regelmäßig Kleidung, die abgegeben wurde. Für wenig Geld können andere die Second-Hand-Kleider dann erwerben.

„Jeder Sack ist eine Wundertüte“, sagt ihre Chefin Conny Ewald. Stiebner packt das T-Shirt nach kurzem Überlegen zurück in die Tüte. Auf dem Stoff haben sich Fussel und Knötchen gebildet, deswegen ist sie sich sicher, dass die Leute das Shirt nicht kaufen werden. „Es soll ja keiner sehen, dass ihre Sachen aus der Kleiderkammer kommen“, sagt Conny Ewald.

Die Müllhalde für die Wegwerfmode

Das blaue T-Shirt gehört zu den mehr als eine Million Tonnen Altkleider, die jedes Jahr in Deutschland gesammelt werden. Der Trend zum Weggeben hat nach Angaben des Fachverbands für Textilrecycling in Deutschland schon vor der Pandemie zugenommen. Grund sind die immer kürzeren Abstände, in denen Kleidung produziert wird und immer neue Trends, die die Kunden locken. Ein Trend löst den nächsten ab. Was gestern noch gefiel, ist heute nicht mehr angesagt. Durch Spenden an Organisationen haben die Menschen das Gefühl, mit ihrer alten Kleidung noch etwas Gutes zu tun. Doch nicht jedes abgegebene Kleidungsstück hilft.

Immer neue Trends und Kollektionen verführen die Kunden zum Einkaufen - so wie in der Prager Straße in Dresden.
Immer neue Trends und Kollektionen verführen die Kunden zum Einkaufen - so wie in der Prager Straße in Dresden. © Jürgen Lösel

Conny Ewald schätzt, dass etwa 70 bis 80 Prozent ihrer gesammelten Kleidung in die Kleiderkammer zum freien Verkauf kommen. Das wäre eine gute Quote. Internationalen Studien zufolge wird nur ein kleiner Teil von gespendeter Kleidung in Deutschland weiterverwendet, da die meisten Teile keine Abnehmer finden. Ein Großteil wandert über Verwertungsfirmen nach Osteuropa, Nahost oder Afrika.

Vor allem in Afrika gibt es nach der Nutzung allerdings kaum Entsorgungsmöglichkeiten, so dass viele Textilien auf Deponien oder in Flüssen landen. Umweltorganisationen wie Greenpeace kritisieren schon lange, dass der globale Süden als Müllhalde für die wachsenden Berge von ausrangierter Kleidung dient. Greenpeace beruft sich auf lokale Quellen in Kenia, denen zufolge bis zu 40 Prozent der Altkleider von so schlechter Qualität seien, dass sie nicht mehr verkauft werden können. Die Folge: 150 bis 200 Tonnen Textilabfall pro Tag.

Gute Kleidung fehlt

„Auf den Märkten in diesen Ländern sieht man dann oft Fast Fashion, die eigentlich nicht von seriösen Händlern kommen kann“, sagt Thomas Fischer vom Fachverband Textilrecycling. Die Verkäufer in Deutschland hätten darauf keinen Einfluss. Oder anders ausgedrückt: „Da sind alle gleich, egal ob private oder karitative Einrichtungen.“ Die Kleidung zweiter Wahl, die vorher im globalen Süden billig produziert wurde, kommt also zurück. „Natürlich ist das paradox“, sagt Fischer.

Thomas Ahlmann vom Dachverband FairWertung findet es aus ökologischer Sicht dagegen sinnvoll, die Kleidung weiter zu verwerten. Die Kleidung erreiche all die Menschen, die wenig Geld haben, außerdem leben viele Menschen in Afrika von dem Textil-Handel. Doch zerstören die Billig-Importe nicht die heimische Industrie? Immerhin hatte die Afrikanische Union einmal geplant, selbst Textilien zu produzieren. Ahlmann sieht dafür wenig Chancen, solange China Billigware nach Afrika bringt.

Wie viel Kleidung in ärmere Länder exportiert wird, hängt letztlich davon ab, wie viel wir in Europa kaufen. Zwar wurde das Export-Geschäft in den letzten beiden Jahren durch die Corona-Pandemie etwas gestoppt, weil Container fehlten und der internationale Handel stockte.

Der Fachverband Textilrecycling erwartet aber, dass der Handel an Fahrt aufnehmen wird. Denn in Deutschland ist die Nachfrage nach Second-Hand-Kleidung geringer als das Angebot – es wird mehr abgegeben, als gebraucht gekauft wird. Das liegt auch daran, dass „gute Kleidung“, wie Thomas Fischer sie nennt, fehlt. „Schlechte Kleidung gibt es zu viel.“ Sie besteht aus minderwertigem Material mit dünnen Garnen, verliert schnell die Farbe und leiert aus.

Die Entsorgung von Altkleidern und Müll ist teuer

Wie viel Kleidung in den Säcken aussortiert werden muss, wie das blaue T-Shirt in Löbau, das wissen die Mitarbeiter erst nach der Sammlung. Das genannte Ziel des DRK ist es, gut erhaltene Kleidung zu retten und sie bedürftigen Menschen günstig zu verkaufen. Der Erlös fließt in soziale Projekte des DRK, sagt Sprecher Kai Kranich. Die Seniorin Gabi Hesse und der Hausmeister Ronny Albert sind regelmäßig bei Kleidersammel-Aktionen in Löbau dabei, so auch an einem warmen Mittwochmorgen in einer Ebersbacher Siedlung.

Gabi Hesse und Ronny Albert werfen Kleidersäcke in den Transporter. Sie sind in Ebersbach bei Löbau unterwegs. In der Region sammeln die beiden regelmäßig Altkleider.
Gabi Hesse und Ronny Albert werfen Kleidersäcke in den Transporter. Sie sind in Ebersbach bei Löbau unterwegs. In der Region sammeln die beiden regelmäßig Altkleider. © Matthias Schumann

Gabi Hesse hievt einen weißen Plastiksack vom Straßenrand in den Transporter. Mit einem dumpfen Aufprall gesellt er sich zu den anderen Säcken, die bereits in Dutzenden im Laderaum des DRK-Wagens liegen. „Das ist mein Morgensport“, sagt Hesse. Seit knapp 30 Jahren arbeitet sie ehrenamtlich für die Kleiderkammer. Die weißen Säcke hatte Hesse zwei Wochen zuvor mit einer Kollegin ausgeteilt. Nun stehen viele am Straßenrand, prall gefüllt mit bunten Stoffen. Aus einem Haus kommt eine ältere Dame heraus: „Ach, das ist aber schön, dass wieder gesammelt wird“, sagt sie.

Altkleider-Container stehen in der Region auch, aber keine mehr vom DRK. „Die wurden zu Entsorgungsstationen“, sagt Ronny Albert. Regelmäßig warfen die Menschen Möbelstücke oder Biomüll in die Altkleidercontainer. Albert erzählt von Maden in den Containern und stinkenden Kleiderbündeln. Das DRK wollte nicht mehr als Entsorgungsbetrieb dienen und 19 Euro pro Restmülltonne zahlen. Seit zwei Jahren holen die Mitarbeiter in Löbau nur noch über Straßensammlungen Kleidung ab.

Modisch, billig, nachhaltig?

Das DRK macht transparent, was mit den gesammelten Sachen passiert. In der Branche gibt es aber auch Sammler, die nicht offenlegen, was sie mit dem Umsatz aus den Altkleidern machen. Wird Ware gesucht, stellen sie ihre Container etwa auf Parkplätzen ab und greifen die Ware ab. Wer Sachen entsorgen will, kann solche Anbieter vermeiden, in dem er Kleidung nur in Container wirft, auf denen eine deutsche Festnetznummer steht, unter der jemand erreichbar ist, rät Sebastian Fischer vom Textilverband.

In Sachsens Altkleidercontainern entsorgen die Menschen immer mehr Müll. Deswegen haben manche Sammelstellen wie das DRK in Löbau ihre Container schon abgebaut.
In Sachsens Altkleidercontainern entsorgen die Menschen immer mehr Müll. Deswegen haben manche Sammelstellen wie das DRK in Löbau ihre Container schon abgebaut. © André Schulze

Zurück in Löbau in der Kleiderkammer, wo mehrere Hundert Teile auf meterlangen Kleiderstangen hängen und sich Kinderschuhe und Bettwäsche stapeln. Die Mitarbeiterinnen bringen die gesammelten Säcke ins Lager. Berge von Kleidersäcken liegen an den Wänden des kleinen Hinterzimmers übereinander. Neben den neu gesammelten stehen mehrere dutzend Säcke mit Winterkleidung, die in der Kleiderkammer aufgehängt wird, wenn die Temperaturen wieder fallen. Gute Ware ist immer gefragt. Neben Shirts und Herrenkleidung sind vor allem Bettwäsche und Handtücher begehrt.

Es sind unvorstellbare Massen an Textilien, die verwertet, verkauft oder entsorgt werden müssen. Wer wissen will, woher sie kommen, findet zumindest einen Teil der Antwort knapp 100 Kilometer weiter westlich, in der Dresdner Innenstadt. Im Klamottenladen Primark hängen über drei Etagen Kleider, T-Shirts, Bademode und Hosen in allen denkbaren Farben an den Kleiderstangen. Auf Wühltischen liegen Bikinis, darüber auf einem Plakat der Schriftzug „Amazing Fashion, Amazing Prices“.

Die Kunden und Kundinnen wühlen in der Kleidung, halten die Teile vor sich, manche landen in den schwarzen Rollkörben oder Beuteln, die zum ausgiebigen Shoppen einladen. Bei vielen Artikeln stehen die Preise in Kronen und Zloty. Touristen aus Tschechien, Polen oder anderen Ländern kommen zum Einkaufen in den Primark. Kathrin Frank hat ihren Korb mit einigen Teilen gefüllt. Sie kommt aus Senftenberg und wollte sich den Klamotten-Discounter schon immer mal anschauen. „Es ist schöngeräumig, die Auswahl ist groß“, sagt sie. Zwischen 2000 und 2015 hat sich der Verkauf von Kleidung weltweit verdoppelt. Läden bringen bis zu 24 Kollektionen im Jahr heraus – und alles wird immer billiger.

Ein ganz normaler Primark-Einkauf in Dresden. Die Modekette wirbt mit aufregender Mode zu aufregenden Preisen– wie nachhaltig ist das?
Ein ganz normaler Primark-Einkauf in Dresden. Die Modekette wirbt mit aufregender Mode zu aufregenden Preisen– wie nachhaltig ist das? © Symbolfoto: Jürgen Lösel

Die Preise für Altkleider sinken

Was aber passiert mit all diesen Klamotten, wenn sie nicht mehr dem Geschmack entsprechen, abgetragen aussehen und auch für den Weiterverkauf in Kleiderkammern oder Second-Hand-Shops nicht geeignet sind? In Löbau bringt Ronny Albert sie zu einem Container, der an diesem Mittwochmorgen etwa zur Hälfte gefüllt ist. Einmal im Quartal, wenn der Container voll ist, kommt die Verwertungsfirma „ProfitTex“. Das DRK ist froh, wenn die aussortierte Kleidung abgekauft wird. Ein finanziell lohnendes Geschäft sei das aber nicht, erzählt Kreisverbandschefin Silke Seeliger.

Viele Sammler spüren bereits die sinkenden Preise für Altkleider. Im Jahr 2010 zahlten Verwerter für eine Tonne Altkleider in Deutschland noch 400 Euro, heute sind es um die 200 Euro. Auch beim DRK steigen Personal- und Energiekosten. Ohne ehrenamtliche Helferinnen gehe das nicht. „ProfitTex“ zahlt dem DRK in Löbau 15 Cent pro Kilo, also 150 Euro für eine Tonne Altkleider. „Früher waren es mal 30 Cent pro Kilo, aber die Zeiten sind lange vorbei“, sagt Seeliger. Das liegt an der Qualität, aber auch an dem Überfluss der Kleidung.

Was in dem Verwertungsunternehmen mit den aussortierten Sachen passiert, ist schwer nachzuvollziehen. Mehrere Anfragen der SZ bleiben unbeantwortet. Eine Möglichkeit – für die Unternehmen in Deutschland die teuerste – ist die Verbrennung. Im Sortierbetrieb und Recyclingunternehmen SOEX müssen bis zu zehn Prozent der Altkleider entsorgt werden. Eine neue Sortieranlage soll den Anteil weiter senken. Die Unternehmensgruppe hat Standorte in fünf Ländern, darunter auch in Sachsen-Anhalt.

Ronny Albert stapelt Säcke mit aussortierter Kleidung in einen Container, der von einer Verwertungsfirma geleert wird. Was danach passiert, bleibt oft nur zu erahnen.
Ronny Albert stapelt Säcke mit aussortierter Kleidung in einen Container, der von einer Verwertungsfirma geleert wird. Was danach passiert, bleibt oft nur zu erahnen. © Matthias Schumann

Warum kaum ein Pullover wieder zum Pullover wird

Sind die Fasern in den Textilien noch geeignet, um wieder verwendet zu werden, kommen sie in Recycling-Anlagen. Nach Angaben von SOEX werden acht Prozent ihrer gesammelten Textilien recycelt. Wobei das Wort „Recycling“ in der Modebranche aber eher irreführend ist. Denn nur eins von hundert Kleidungsstücken weltweit, so sagt Johannes Leis vom Textilforschungsinstitut Chemnitz, bleibt im Kleidungs-Kreislauf.

Schuld an der schlechten Bilanz ist auch die Zusammensetzung der Textilien. Die meisten werden aus Mischgarnen hergestellt, mehr als die Hälfte aus Polycotton, einer Mischung aus Baumwollfasern und Kunststofffasern wie Polyester. Die zu trennen sei durch mechanische Verfahren schwer möglich und außerdem teuer, so Leis. Deswegen werden aus Altkleidern häufig keine neuen Kleider, sondern Putzlappen, Polsterungen, Isolatoren oder Malervliese.

Leis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sächsischen Textilforschungsinstitut im Bereich Textilrecycling. Er zeigt auf eine Sammlung von bunten Stofffetzen, die früher einmal als T-Shirt, Socke oder Unterwäsche dienten. Nachdem sie geschnitten wurden, gehen die Stoffe in eine Reißanlage. In Chemnitz steht eine davon zu Forschungszwecken. Im Inneren der blauen Maschine reißt eine Nadelwalze das Material auf. In den großen Recyclingfirmen stehen sieben solcher Geräte hintereinander, in denen die Nadelwalzen dann mit unterschiedlichen Abständen und Geschwindigkeiten arbeiten. Leis zeigt auf die übriggebliebenen Fasern, aus denen später ein Garn wird. „Man wird immer sehen, dass es recycelt ist“, sagt Leis. Selbst wenn man die Stoffe vorher nach Farben trennt, haben weiße Shirts am Ende einen Graustich.

Mehr als die Hälfte der gesammelten Kleidung in Deutschland lässt sich noch tragen. Viel davon geht in den Export und landet meist auf Mülldeponien.
Mehr als die Hälfte der gesammelten Kleidung in Deutschland lässt sich noch tragen. Viel davon geht in den Export und landet meist auf Mülldeponien. © SZ-Grafik

Neu ist günstiger als alt

„Viele Anbieter wagen nun aber die Flucht nach vorn“, sagt Leis. Für manche Kunden ist recycelte Mode ein Kaufargument. Durch neue chemische Verfahren könnten die Recyclingprozesse außerdem optimiert werden. Doch der Einsatz von Wasser und Energie ist hoch. „Das ist dann auch nicht mehr so nachhaltig“. Experten fordern deshalb, Recycling so weiterzuentwickeln, dass es sich für Produzenten lohnt, auf recycelte Fasern zu setzen.

Noch sind neue Kunststofffasern so günstig, dass viele Kleidungsproduzenten diese bevorzugen. Recycelte Ware kann nicht mithalten mit Preisen von 1,80 Euro pro Kilogramm Polyester. Erst recht nicht, wenn der Druck zu produzieren so hoch ist wie in der Kleidungsbranche, in der Kunden permanent neue Kollektionen fordern. Solange das so bleibt, werde sich kaum was ändern, sagt Leis. „Recycling lebt von Mangel“.

Angesichts der eher mageren Recyclingbilanz und dem Überfluss an Kleidung auf dem Markt ist es nicht unwahrscheinlich, dass das blaue T-Shirt aus dem Kleidersack in Löbau exportiert wird. Im letzten Jahr verkaufte Deutschland eine halbe Millionen Tonnen Altkleider ins Ausland, viele davon in Schwellen- und Entwicklungsländer. Damit ist Deutschland das viertgrößte Exportland. Nach Angaben von „The Observatory of Economic Complexity“ machten nur die USA, China und Großbritannien noch mehr Umsatz. Die meiste Kleidung geht nach Ghana, in die Ukraine, nach Nigeria, Kenia und Tansania. Thomas Ahlmann vom Dachverband FairWertung beobachtet, dass in den letzten Jahren wesentlich mehr Second Hand Bekleidung beispielsweise nach Ostafrika verkauft wurde.

Noch mehr Kleidung - noch mehr Müll

Die Müllberge wachsen also eher, als das sie schrumpfen. Ahlmann macht dafür vor allem die Konsumenten in Europa verantwortlich. „Wir kaufen 60 Kilogramm Textilien jedes Jahr neu, schmeißen zwölf Kilogramm weg. Wer sind wir, dass wir den Ländern sagen, was gut ist und was nicht?“

Bald wird vielleicht auch einer der Pullover dort landen, die im Primark angepriesen werden. „Hergestellt mit recyceltem Plastik“, steht darüber. Die Stapel verdecken den kleingedruckten Hinweis, dass es sich dabei um lediglich 30 Prozent Recycling-Anteil handelt. Primark ist nur ein Beispiel für Unternehmen, die mit nachhaltiger Mode werben und gleichzeitig Fast-Fashion am Fließband produzieren. Experten rechnen gar damit, dass in den kommenden Monaten noch mehr Kleidung auf den Markt kommen könnte, da Kollektionen durch Corona nicht geliefert wurden.

„Doch auch Rohstoffe sind endlich“, sagt Recyclingexperte Johannes Leis. Kunststofffasern basieren auf Erdöl, auch die Vorräte an Baumwolle sind begrenzt. Das System umzukehren sei schwer, sagt Leis, schon beim Design müsse Recycling neben der Performance und dem Preis eine Rolle spielen. Aber es könne gelingen, wenn Produzenten mehr in die Verantwortung genommen werden und beispielsweise draufzahlen müssen, wenn sie weniger recycelte Fasern nutzen.

In der ersten Etage im Primark liegen braune, violette, weiße und grüne Tops auf einem Tisch. „Hergestellt mit nachhaltiger Baumwolle“, steht darüber. Der Preis ist fettgedruckt: „2,30 Euro“. Bis zu einem nachhaltigen Umgang mit Kleidung ist es noch ein langer Weg.