Frau Kraft, Sie haben viel Ärger bekommen für die Forderung, Solidarpaktgeld Ost auch für arme Regionen im Westen zu nutzen. Ist das Thema jetzt endgültig durch?
Meine Forderung war immer, dass wir Förderung grundsätzlich nicht nach Himmelsrichtungen, sondern nach Bedürftigkeit ausrichten. Das ist etwas anderes. Ich wollte nie dem Osten was wegnehmen.
Ihr Beispiel hieß: Dresden bekam 300 Millionen Euro Osthilfe auch von Kommunen im Ruhrgebiet, die dafür Kredite aufnehmen mussten.
Das stimmt auch. Es gibt mehrere Städte im Ruhrgebiet, die den Betrag, den sie für den Aufbau Ost überweisen, über neue Schulden finanzieren müssen. Das muss man sehen. Es gibt unabhängig von Ost und West bedürftige Regionen und Städte, die Unterstützung brauchen. Danach muss sich Förderung ausrichten. Dabei bleibe ich.
Sogar Kanzlerin Angela Merkel, die selbst aus dem Osten kommt, hat kürzlich vergeblich gemeint, jetzt sei mal der Westen dran. Das scheint ein Tabu-thema zu sein, oder?
Nein. Dass es inzwischen auch im Westen Nachholbedarf bei der Infrastruktur gibt, darf kein Tabuthema sein. Förderprogramme dürfen künftig nur noch danach ausgerichtet werden, wer wirklich etwas braucht. Ich weiß, dass im Osten noch viel zu tun ist. Aber es macht keinen Sinn und ist bei uns im Westen auch nicht zu erklären, dass Fördergeld in Regionen fließt, wo schon sehr viel geschehen ist, und stattdessen bei uns dann die maroden Straßen und öffentlichen Gebäude nicht renoviert werden können. Das schadet letztlich auch der Einheit und wäre gefährlich.
Neuerdings gibt es die Linke auch in NRW. Hat sich die Lafontaine-Partei inzwischen als fünfte Kraft im Westen dauerhaft etabliert?
Das kann man noch nicht wirklich sagen. Nach allen Umfragen liegen die in Nordrhein-Westfalen knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Ziel der NRW-SPD ist es, bei den nächsten Landtagswahlen 2010 stärkste Fraktion zu werden und die Linkspartei unter fünf Prozent zu drücken. Was ich bisher von dieser Partei in NRW kenne, ist eine realitätsfremde Wünsch-dir-was-Politik.
So fing das mit Andrea Ypsilanti in Hessen auch an ...
Unsere Perspektive ist völlig klar: Wir suchen die Auseinandersetzung, nicht die Zusammenarbeit.
Und wie soll die SPD wieder aus dem Umfragekeller kommen?
Wir müssen beim Thema soziale Gerechtigkeit Ernst machen mit dem, was wir versprochen haben. Dazu gehört, bei der Rente mit 67 nun auch flexible Übergänge für die Menschen zu schaffen, die nicht bis 67 arbeiten können.
Ist soziale Gerechtigkeit überhaupt noch ein Markenzeichen der SPD?
Ja natürlich. Wir sind die Partei, die konkret für soziale Gerechtigkeit sorgt. Das geht ganz wesentlich über Chancengerechtigkeit.
Eigentlich erzählen das alle.
Wir unterscheiden uns da schon deutlich von den anderen mit einer gerechten Bildungspolitik ohne Studiengebühren und Förderung aller Kinder statt einem starren Schulsystem der Auslese. Doch dazu gehört auch der Mut zu Korrekturen, wo sie notwendig sind. Wir führen im Moment bei Hartz IV eine Diskussion um die Regelsätze für Kinder. Wir müssen hier die Regelungen an die Realität anpassen. Ich bin selber Mutter und habe erlebt, dass ein Kind in wenigen Wochen aus zwei Schuhgrößen rauswächst. Da kommt man nicht klar, wenn der Hartz-IV-Regelsatz für Schuhe von Kindern bis 13 Jahre bei 4,48 Euro im Monat liegt. Grundsätzlich wollten wir mit den Regelsätzen erreichen, dass die Menschen nicht mehr Bittsteller auf dem Sozialamt sein sollten und für vieles einen Antrag stellen mussten. Doch wir müssen auch so ehrlich sein und sagen, das funktioniert so leider nicht. Wir müssen bei den Kindern zurück zum alten System der einmaligen Beihilfen etwa für Kleidung, Schulsachen und Ähnliches.
Und auf der anderen Seite die Managerabfindungen senken?
Richtig. Am unteren Ende der Lohnskala brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn und oben müssen wir die Gier eindämmern. Wir wollen bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Managergehältern, Abfindungen und Boni einen Riegel vorschieben. Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass wir Steuerzahler auch noch die Millionenabfindungen für Versager in Chefetagen mitbezahlen. Aufsichtsräte und Manager müssen außerdem stärker haftbar gemacht werden. Sie dürfen sich nicht mit Versicherungen vollständig ihrer Verantwortung entziehen. Und wir müssen Manager dazu verpflichten, ihre Entscheidungen nicht nur an Unternehmensinteressen, sondern auch am Allgemeinwohl auszurichten.
Gespräch: Peter Heimann