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Napoleons vergessene Karte

Großenhains Pfarrer Konrad Adolph hat eine Entdeckung gemacht. Und hofft auf die nächste in irgendeinem Dachboden.

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© Kristin Richter

Großenhain. Noch heute sieht er sich da sitzen. Auf dem altehrwürdigen Stuhl vor dem Büro des Superintendenten. 2003 ist es gewesen, und Konrad Adolph war gerade als Praktikant in der Kirchgemeinde Skäßchen-Oelsnitz-Strauch tätig.

Dass er im Januar 2017 selbst eine Stelle als Pfarrer in Großenhain antreten würde, ahnte der heute inzwischen 39-Jährige damals freilich noch nicht. Was er indes wusste, war, dass das, was er an der Wand gegenübersah, etwas ganz Besonderes sein musste. „In einem edlen hölzernen Rahmen hing nämlich eine große Karte. Darauf abgebildet war ein Grundriss vom Königreich Sachsen. Dass sie von der Amtshauptmannschaft Großenhain stammte, sollte mir erst kürzlich mein Pfarrerkollege Pohl berichten“, erzählt Konrad Adolph.

Schon immer habe er sich für Geschichte interessiert und erst recht für alte Karten wie diese. Immerhin berichteten sie ja schließlich aus einer Zeit, die gewissermaßen nur rückblickend erkundet werden könne.

Im Laufe der vergangenen Jahre habe er sich dann immer mal wieder an die Karte in der Meißner Suptur erinnern müssen. Kein Wunder also, dass Adolph im letzten Winter nach seiner Ernennung zum Pfarrer in Großenhain sofort nach ihr und deren Historie auf die Suche ging. Eine gesunde Neugierde, die es auch durchaus wert sein sollte. Denn was Konrad Adolph bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen konnte: In einer Kiste auf dem Boden der Suptur lagerten noch mehrere solche Zeugnisse der Vergangenheit. „Ich erkundigte mich dort nach dem Verbleib der Karte, die ich damals 2003 gesehen hatte. Zu meiner großen Überraschung wurde mir dann jedoch eine ganz andere zugeschickt.“

Ein Dokument aus der Zeit um 1750 bis 1800, vergilbt und in zeitgemäßem Originalzustand, versehen mit verschiedenen Wappen, filigranen Zelten und der Anordnung eines Feldlagers im Raum Großenhain. Nicht irgendeines. Bei näherer Betrachtung hatte die Karte ganz offensichtlich den Mitgliedern des französischen Heeres um Kaiser Napoleon 1813 als Orientierung gedient. Genau in jenen Tagen, als es auch im Großenhainer Land wieder einmal um alles gehen sollte.

„Wir müssen bedenken, wie die Situation damals war“, sagt Christoph Rechenberg. Der 57-Jährige ist Pfarrer in der Kirchgemeinde Röhrsdorf und ebenso wie sein jüngerer Kollege aus der Röderstadt sehr geschichtsinteressiert. Seit Jahren beschäftigt er sich mit sächsischer Heimatgeschichte, die untrennbar mit dem Wirken des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte verbunden ist. Gestützt auf die Armee, herrschte dieser in seinen Glanzzeiten über weite Teile Europas.

Nach dem katastrophalen Ausgang des Feldzugs gegen Russland 1812 stellte der sichtlich geschwächte General eine neue Armee auf. Mit dieser, mehr oder minder schlecht ausgebildet und an der Kavallerie mangelnd, marschierte Bonaparte nach Deutschland. Noch einmal zeigten sich seine militärischen Fähigkeiten und er konnte im Mai zunächst Siege bei Großgörschen und in der Nähe von Bautzen einfahren.

„Ab dem Frühherbst verlagerte er jedoch seine Truppen. Das heißt, am 7. Oktober 1813 verließ er Dresden mit dem sächsischen Kurfürsten im Status eines Gefangenen und übernachtete in der Nähe von Riesa.“ Sieben Tage später habe Napoleon dann seine 200 000 Mann gesammelt. Überstürzt wäre er in Richtung Leipzig aufgebrochen, wo vom 16. bis 19. Oktober die legendäre Völkerschlacht stattgefunden hat.

Da es in dieser Phase auch im Großenhainer Land voller französischer Soldaten wimmelte – Napoleon hatte in der Röderstadt bereits am 10. Juli 1813 eine Parade abgehalten – sei für Pfarrer Rechenberg das Zurückbleiben der militärischen Karten gut nachvollziehbar. Gemeinsam mit Konrad Adolph habe er gefachsimpelt und nicht zuletzt darüber spekuliert, ob nicht vielleicht noch in irgendeinem Großenhainer Dachboden verstaubt der dazugehörige Kartentisch in der Ecke stehe. Die bisherigen Fundstücke, so Konrad Adolph, befänden sich jedenfalls mittlerweile im Archiv des sächsischen Landeskirchenamtes. „Aber wir haben noch immer einige Zeitzeugnisse, die es aufzuarbeiten gilt.“