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Nebenberuflich Terrorist

Terrorismus. Der BGH bestätigt das vorerst letzte Urteil gegen Mitglieder der „Revolutionären Zellen“.

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Von Wolfgang Janisch

Karlsruhe/Berlin - Man nannte sie „Feierabendterroristen“, weil sie nur nebenberuflich zu Waffen und Sprengstoff griffen. Hinter einer bürgerlichen Fassade begingen die Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ (RZ) Terroranschläge - weniger mörderisch als die „Rote Armee Fraktion“ (RAF), aber mit einer Penetranz, die sie zu einer der gefährlichsten Terrorgruppen der 70er und 80er Jahre werden ließ. Mindestens 186 Anschläge gehen laut Bundesanwaltschaft auf ihr Konto. Am Freitag hat der Bundesgerichtshof (BGH) das vorerst letzte Urteil gegen einen RZ-Terroristen gesprochen.

Die „Revolutionäre Zelle“, wie sie sich Anfangs noch im Singular nannte, gründete sich Anfang der 70er Jahre in der radikalisierten linken Szene, in der man sich kritisch mit der RAF auseinandersetzte, weil „Unbeteiligte“ Opfer von Anschlägen geworden waren. Die RZ- Terroristen verstanden sich als Sozialrevolutionäre, ihre Ziele waren staatliche, industrielle und militärische Institutionen sowie deren Vertreter. Die Strategie: Autonome Zellen mit drei bis fünf Mitgliedern sollten unabhängig voneinander agieren. „Was wir wollen, ist die Gegenmacht in kleinen Kernen zu organisieren... Wenn wir ganz viele Kerne sind, ist die Stoßrichtung für die Stadtguerilla als Massenperspektive geschaffen“, formulierten die RZ 1975.

Was fast schon sozialromantisch klang, war in Wirklichkeit eine Rechtfertigung zur Anwendung von Gewalt. Und der Kontakt zum internationalen Terrorismus führte rasch zur Eskalation. 1975überfiel ein Terrorkommando unter Führung von Ilich Ramírez Sánchez - genannt „Carlos“ - die OPEC-Konferenz in Wien. Mit dabei: Das RZ-Mitglied Hans-Joachim Klein, der sich kurz darauf vom Terrorismus lossagte und jahrzehntelang in Frankreich untertauchte. Erst 2001 wurde er verurteilt, inzwischen hat man ihn begnadigt.

Auch der wichtigste „Carlos“-Genosse stammte aus den Reihen der RZ: Johannes Weinrich, die rechte Hand des Topterroristen, im Jahr 2000 wegen des Anschlags auf das Berliner „Maison de France“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch bereits Mitte der 70er Jahre lösten sich die „Zellen“ von ihrem internationalen Flügel.

Nach der RZ-Strategie galt es, gezielte Tötungen zu vermeiden. Allerdings gehörten neben Brand- und Sprengstoffanschlägen auch so genannte Knieschussaktionen zum revolutionären Programm. 1987 schoss der inzwischen als Rädelsführer verurteilte Rudolf Schindler einem Bundesverwaltungsrichter in die Beine, im Jahr zuvor hatte es den Chef der Berliner Ausländerbehörde getroffen - vermeintliche Repräsentanten einer rigiden Flüchtlingspolitik. Unter diesen Berliner Komplex, zu dem auch der Anschlag auf die Berliner Siegessäule (1991) gehört, hat der BGH mit seinem Urteil vom Freitag vorerst einen Schlussstrich gezogen.

Es war ein Kronzeuge, der bei den Ermittlungen die entscheidende Wende gebracht hatte: Tarek Mousli, zwei Meter groß, zu seiner Zeit einer der besten Karatekämpfer Deutschlands, erkaufte sich im Jahr 2000 mit einer umfassenden Aussage eine Bewährungsstrafe. Er deckte die Strukturen der Berliner Zelle auf und nannte die Namen.

Und Mousli war es auch, der Schindler in Verbindung mit dem einzigen Todesopfer eines RZ-Anschlags innerhalb Deutschlands brachte. Am 11. Mai 1981 erschossen Unbekannte in Frankfurt/Main den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry - ein überzeugter Marktwirtschaftler, der sich für Kernenergie den Bau der umstrittenen Startbahn West stark machte. Die RZ übernahm die Verantwortung, stellte den Tod aber als Versehen dar. Das Verbrechen blieb ungeklärt: Vor vier Jahren stellte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen Schindler und seine Frau Sabine Eckle ein. Polizeiliche Ermittlungserfolge und eine bröckelnde gesellschaftliche Basis, aber auch wachsende Zweifel am Sinn gewaltsamer Aktionen befördern das Ende der „Revolutionären Zellen“. (dpa)