Von Mario Heinke
Zittau. Beschwerlich ist der Aufstieg zur Glocke. Die alten Holztreppen ächzen und knarren, als müssten sie Schmerz erleiden, wenn Menschen über sie gehen. Der steile, staubige Weg zum Glockenstuhl im Satteldach führt über Podeste und Leitern innerhalb des riesigen Dachstuhls, dessen Schräge beachtlich ist. Der Straßenlärm vom Stadtring ist hier oben besonders gut zu hören. „Die Glocke wird es wohl nicht leicht haben, sich mit ihrem Geläut gegen den Krach durchzusetzen“, sagt Felix Weickelt, Türmer von St. Johannis. Vermutlich seit 363 Jahren hängt die Glocke in der Kirche zum Heiligen Kreuz, so Weickelt. Er hat sich als Initiator der Revitalisierung des Zittauer Stadtgeläuts gemeinsam mit dem Fastentuchverein darum gekümmert, dass die historische Bronzeglocke künftig als Teil des Zittauer Stadtgeläutes erklingt. Das Besondere daran: Die Kreuzkirche wurde 1972 entwidmet, seither schweigt die Glocke. Trotzdem wird die Museumskirche nun wieder eine eigene Stimme bekommen und in das Geläut zum alltäglichen Gebet einstimmen. Die großzügige Auslegung von Regeln hat in der Oberlausitz eine lange Tradition, wie die Geschichte und der Umgang mit den katholischen Fastentüchern zeigt, die viele Jahre lang in evangelischen Kirchen benutzt wurden. Um die Bronzeglocke auf die Sekunde genau zum Klingen zu bringen, waren 10 000 Euro für eine elektronische Steuerung und den Brandschutz nötig. Die üppige Brandschutztechnik ergab sich vor allem aus der Nutzung der Kirche als Museum, für selbige gelten strengere Sicherheitsbestimmungen als für eine Kirche.
Anlässlich der Inbetriebnahme der Glocke als Teil des Zittauer Stadtgeläuts wird auch die bundesweite Kampagne „Hörst du nicht die Glocken?“ im Europäischen Kulturerbejahr „Echy 2018“ vorgestellt. Das Ziel der Hüter der Kulturgüter ist es, die über ein Jahrtausend alte abendländische Tradition des Glockenläutens wieder in das Bewusstsein der Menschen zu bringen und sie dafür zu gewinnen, Glocken nicht nur als tönendes Erz oder klingende Schelle wahrzunehmen, sondern als Signale eines lebendigen Ortes, als Puls der Stadt. Die Erinnerung ist notwendiger denn je, denn Klagen gegen Kirchengeläut nehmen vor allem in den alten Bundesländern zu, obwohl das Glockengeläut vom Gesetzgeber besonders geschützt ist, erzählt der Türmer.
Die Stadt Zittau ist außergewöhnlich reich an historischen Bronzeglocken. Weil etliche Kirchen in Zittau nur eine Glocke haben, blieben sie erhalten und wurden nicht, wie einige Glocken der Johanniskirche oder der Marienkirche, während der zwei Weltkriege zur Waffenproduktion eingeschmolzen. Schritt für Schritt werden alle Glocken aufgearbeitet, einzeln und gemeinsam wieder hörbar gemacht, von der Johanniskirche aus zentral gesteuert. Nachdem das Porzellanglockenspiel an der Blumenuhr im vergangenen Jahr saniert werden konnte und bevor die große Friedensglocke für die Johanniskirche im Herbst dieses Jahres geweiht werden kann, wird am kommenden Sonntag bei einer Festveranstaltung mit der Glocke der Museumskirche, den Zittauer Musikhelden der Kreismusikschule Dreiländereck und dem Collegium musicum ein neuer Ton für Zittau angestimmt.
Der Verein Zittauer Fastentücher feiert aber nicht nur die Inbetriebnahme der Glocke nach erfolgreicher Sanierung und Elektrifizierung, sondern auch die Rückkehr des restaurierten Epitaphs für Johann Christian Körner von 1729, das zu den prachtvollsten Stücken des Zittauer Epitaphienschatzes zählt und nun den gotischen Einstützenraum ziert. Ermöglicht wurden beide Arbeiten durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und den Mäzenen Renate und Franz Knippenberg aus Düsseldorf. Die aufwendige Restaurierung des Epitaphs wurde großenteils durch die Kulturstiftung der Länder im Rahmen der Initiative „Kunst auf Lager“ gefördert.
Festveranstaltung: Museum Kirche zum Heiligen Kreuz – Großes Zittauer Fastentuch, Sonntag, 29. April um 17 Uhr.