Berlin. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat die Missstände bei der Visa-Vergabe an der Botschaft in Kiew offenbar früher gekannt, als er bisher eingeräumt hat.
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtete, Fischer habe die Visa-Stelle am 23. Juni 2000 besucht und die Probleme dort mit eigenen Augen gesehen. Während seines Besuches sei eigens eine Personalversammlung an der Botschaft in Kiew anberaumt worden, damit der Minister die Missstände mit eigenen Augen sehen sollte.
Nach dem Besuch habe Fischer die Aufstockung des Personals veranlasst. Das habe jedoch – ohne Revision des Erlasses – dazu geführt, dass sich die Ausgabe von Visa von 1999 bis 2001 auf fast 300 000 verdoppelt habe. Das Auswärtige Amt hat bislang angegeben, Fischer habe sich erst später mit der Visa-Problematik beschäftigt.
Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble sagte dem Blatt: „Es ist ganz offensichtlich, dass Fischers frühere Einlassung, er habe sich mit der Visa-Politik nicht beschäftigt, nicht stimmt.“ Der Grünen-Politiker habe früh um die Zustände gewusst, sich aber nicht darum gekümmert. Auch der FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, Hellmut Königshaus, kritisierte: „Wenn der Bericht stimmt, dann hat Fischer gelogen.“ Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach bezweifelte die Glaubhaftigkeit der Aussage Fischers, dass er über Jahre völlig uninformiert war. Fischer müsse jetzt schnell vernommen werden.
Die Bundesregierung wies unterdessen den Vorwurf zurück, vom Visa-Untersuchungsausschuss angeforderte Akten im Bundeskanzleramt vernichtet zu haben. Diesen Vorwurf hatte der Ausschussvorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) erhoben. Er hatte in der „Passauer Neuen Presse“ davon gesprochen, dass nur unvollständiges Material zur Verfügung gestellt worden sei: „Mir wurde gesagt, dass die fehlenden Berichte vernichtet worden sein könnten, weil sie nicht für archivierungswürdig gehalten wurden.“
„Es wurden keine Akten vernichtet“, betonte ein Regierungssprecher. „Alle angeforderten Akten stehen dem Ausschuss zur Verfügung.“ Auch der Grünen-Obmann im Ausschuss, Jerzy Montag, erklärte, der Vorwurf der Vernichtung von Beweismitteln sei eine „perfide Falschdarstellung“.
Das Nachrichtenmagazin „Focus“ berichtete, neben der Botschaft in Kiew habe auch die Botschaft in Bangkok Behinderungen bei der Prüfung von Visa-Anträgen kritisiert. Sie habe sich gegen Auflagen des Auswärtigen Amtes aufgelehnt, die eine ordnungsgemäße Prüfung von Visa-Anträgen verhinderten. (AP)