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Neustart auf dem Lindenhof

Fünf junge Menschen haben den Öko-Hof in Pfaffendorf übernommen. Auch anderswo blüht das Landleben auf.

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© nikolaischmidt.de

Von Frank Seibel

Pastinaken sind auch lecker. Oder Rote Beete. Oder Zwiebeln, Kartoffeln, Sellerie. Es ist eine Weile her, seit Daniel Hüning frische Tomaten gegessen hat. Oder Grünen Salat. Aber er weiß, dass die Speisekarte bald wieder länger wird.

Das Leben ist kein Supermarkt für den 24-Jährigen. Es muss nicht immer alles geben und das auch noch möglichst billig. Daniel Hüning hat sich entschieden, einem anderen Rhythmus zu folgen und seinem Leben einen anderen Sinn zu geben. Vor drei Monaten hat er die Großstadt verlassen und ist auf diesen Hof gezogen. Die dunklen und kalten Wintermonate hat der junge Landwirt überstanden – und freut sich nun über einen Bilderbuchstart in den Frühling. Die Sonne strahlt, viele Dutzend Menschen strömen herbei, die jüngsten ein paar Monate alt, die ältesten über achtzig Jahre. Der Lindenhof hat zum ersten „Kuh-Café“ des Jahres eingeladen, und spätestens jetzt sieht Daniel Hüning, dass dies hier nicht das Ende der Welt ist.

Martin Lammert weiß das schon lange. Mit seinen „Fleischertunneln“ in den Ohrläppchen, den Rasta-Locken unter einer zerknautschten Kappe, und vor allem mit den dunkel tätowierten Unterarmen sieht er nun nicht gerade aus wie der Bauernbursche aus Omas Bilderbuch. Aber er ist schon seit neun Jahren hier in Pfaffendorf, obwohl er erst 27 Jahre alt ist. Auf dem Lindenhof arbeitet er bislang als Gärtner und hilft in der Bäckerei. Was den jungen Dresdner mit dem jungen Oderwitzer verbindet, ist eine tiefe Überzeugung: „Wir wollen gesunde, natürliche Lebensmittel erzeugen und dabei auch darauf achten, dass es den Tieren gut geht.“ Öko halt. Bio-dynamisch. Aber auch noch viel mehr.

Matthias Mütze, Maria Käsche, Martin Lammert, Anne Soppart und Daniel Hüning sind die neue Generation auf dem Lindenhof. Zu Beginn des Jahres haben sie die Landwirtschaft von Tatjana Lamerdin übernommen, die den Lindenhof zwei Jahrzehnte lang geprägt hat.

Die fünf neuen Lindenhof-Betreiber setzen nicht nur die Tradition des biologisch-dynamischen Landbaus fort, sie wollen auch eine neue Form des Wirtschaftens auf den Hof bringen. „Solidarische Landwirtschaft“ heißt das Modell, das beispielsweise schon der Sohländer „Heckenhof“ praktiziert. Grundgedanke ist eine Art Genossenschaft, deren Mitglieder feste monatliche Beiträge bezahlen und nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten auch auf dem Hof mit anpacken. Im Gegenzug erhalten sie Obst, Gemüse, Fleisch, Eier und Wolle – was die Natur hergibt. Den Landwirten gibt das eine gewisse Sicherheit. Und die Mitglieder einer solchen „Sowila“ bekommen nicht nur gesundes Essen, sondern den sozialen „Mehrwert“ einer Gemeinschaft. Mit 50 Mitgliedern will das neue Lindenhof-Team im Sommer starten und die Zahl langsam bis auf 100 aufstocken.

Daniel Hüning weiß, worauf er sich einlässt. Viel Arbeit – wenig Parties, Reisen und andere Annehmlichkeiten, die andere 24-Jährige gerne genießen. Ein Leben, dem die Natur Struktur gibt, Tagesabläufe, deren Takt die 50 Kühe, 30 Schafe und zehn Hühner vorgeben. Das klingt nach „Back to the roots“ – zurück zu den Wurzeln –, aber als Rückwärtsbewegung betrachten die fünf jungen Frauen und Männer ihr Leben auf dem Öko-Hof nicht. „Wir haben alle Handys, sind sozial vernetzt und haben überall in Deutschland Freunde“, sagt Daniel Hüning.

„Mainstream“ sind die fünf neuen Lindenhof-Betreiber nur in einer Hinsicht: Sie werden keine Eigentümer sein, sondern lediglich Pächter. Das ist für die Landwirtschaft in der DDR typisch, heißt es in einer aktuellen Studie des „Berlin-Instituts“ über neue Lebensformen auf dem Land. 70 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe werden in Ostdeutschland von Pächtern geführt; im Westen sind vier von fünf Bauernhöfen im Familienbesitz.

Aber der Lindenhof ist seit einem Vierteljahrhundert ganz anders als ein gewöhnlicher Pachtbetrieb. Hier ist der Idealismus die Geschäftsgrundlage für alles. So waren beim ersten Hoffest des neuen Jahres auch die Menschen dabei, die sich den Öko-Hof an der Landeskrone einst ausgedacht haben: Erika und Reinhard Mäder. Er ist ein Enkel des früheren Besitzers Paul Ritter, lebte aber mit seiner Frau nach dem Krieg für Jahrzehnte im Ruhrgebiet. Schon dort, in Wuppertal, hatten Mäders einen Verein für Öko-Landwirtschaft mit aufgebaut.

Als die DDR zusammenbrach und die Heimatregion auf einmal wieder näher rückte, wurde eine fast vergessene Frage aktuell: Was machen wir eigentlich mit dem alten Hof in Pfaffendorf? Die damals noch lebenden Geschwister von Paul Ritter verzichteten mehrheitlich auf ihre Anteile, und so konnten Mäders hier einen Verein nach Wuppertaler Vorbild gründen. Dabei war immer klar, dass sie und niemand im Verein je würden selbst den Hof betreiben, der damals noch Niederhof genannt wurde.

Sie waren damals schon Mitte und Ende Fünfzig. So wurde der Verein zum Eigentümer, und drei junge Landwirte bauten als Pächter den alten Hof zu einer Bio-Landwirtschaft um. Von den dreien ist heute nur noch Tatjana Lamerdin auf dem Hof, die die Geschäfte in den vergangenen Monaten Schritt für Schritt an ihre fünf jungen Nachfolger übergeben hat.

Beim ersten Fest im neuen Jahr sind Erika und Reinhard Mäder glücklich. Nicht nur, weil der Hof mit seiner Landwirtschaft und den Ferienwohnungen wirtschaftlich funktioniert und weiterlebt. Glücklich sind sie auch, weil so viele Menschen zum Lindenhof strömten, darunter viele der Dorfbewohner. So ist der Lindenhof nicht nur ein Ökologie-Projekt, sondern eine Institution im öffentlichen Leben auf dem Land. In der Stadt sagt man dazu: „soziokulturelles Zentrum“. Es sind solche Zentren, die nach Überzeugung des „Berlin-Instituts“ neue Impulse für das Leben im ländlichen Raum setzen – und die dem allgemeinen Trend entgegenwirken, dass Menschen zunehmend in städtische Ballungsräume ziehen, weil sie dort Arbeit finden.

Der Lindenhof ist nur eines von mehreren Beispielen in der Görlitzer Region, die von einem neuen Landleben erzählen. Im Schöpstal ist es die Familie, die den Schröterhof in Ebersbach und den Landgasthof in Kunnersdorf betreibt; zum jährlichen Hoffest kommen mittlerweile einige Hundert Menschen, und der „Gerichtskretscham“ ist für die Menschen in den Dörfern am Schöps (und darüber hinaus) längst wieder so eine Institution wie die Stadthalle es für Görlitz war. Ein Vereinsfest im Königshainer Schlosspark führt seit einigen Jahren die Dorfbewohner zusammen; am südlichen Rand von Görlitz hat sich das Fest am Alt-Weinhübeler Dorfanger etabliert, und auch das Kunnerwitzer Herbstfest lenkt seit 2015 den Blick auf die besondere Lebensqualität auf dem Land.

Doch der Idealismus weniger und die Feste für viele reichen noch nicht aus, die Dörfer dauerhaft neu zu beleben, schreiben die Forscher des „Berlin-Instituts“ in ihrer aktuellen Studie. Damit junge Familien ihre Perspektive abseits der Städte sehen, sei eine gute Infrastruktur nötig. Schulunterricht für die Kinder zum Beispiel – auch in Miniklassen oder per Fernunterricht.

Vielleicht kommt dieses Thema auch noch auf die fünf neuen Macher des Lindenhofes zu. Denn zu einer lebendigen und solidarischen Landwirtschaft gehören ja eigentlich auch Kinder ...

www.gemeinschaft-lindenhof.de

Mitarbeit: Anja Gail, Ingo Kramer und Daniela Pfeiffer