Sie war die Fotografin des Nieskyer Waggonbaus

Nein, auf einer Mahnwache der Waggonbauer vor dem Werktor war sie nicht dabei. Obwohl sie eine von vielen Nieskyern ist, deren Leben über viele Jahrzehnte sehr eng mit dem Waggonbau verbunden ist. Lenchen Hoffmann war als Fotografin in Nieskys größtem Industriebetrieb angestellt. Sie dokumentierte wie zuvor schon der Nieskyer Martin Biele, was in dem Betrieb wichtig war. Und nicht nur das, auch Passfotos wurden mal schnell erledigt, wenn ein Kollege darum bat.
Es waren andere Zeiten vor der politischen Wende. Wie alle großen Betriebe und Kombinate, war auch der Waggonbau damals quasi eine Stadt in der Stadt. Es gab einen eigenen Kindergarten, ein Klubhaus, eine Apotheke, eine Bibliothek, eine Verkaufsstelle, eine Arztpraxis, eine Kantine, Paten-Schulklassen, Schulklassen kamen zum Unterricht, eine Lehrlingsausbildung mit eigenem Wohnheim und noch mehr. Damals arbeiteten noch 2.000 Werker und Angestellte im Waggonbau.
Es war auch die Zeit, als es noch einen zweiten Eingang gab - die Brücke über die Bahngleise von der Plittstraße aus - und als vor allen Dingen das heutige Gewerbegebiet Nord mit den vielen verschiedenen Firmen alles eins war. Der Nieskyer Waggonbau begann direkt an der heutigen Muskauer Straße. Und Lenchen Hoffmann war mittendrin.
Auch wenn es schon etliche Jahre zurückliegt, dass sich ihre Wege im Waggonbau kreuzten, an die Betriebsfotografin kann sich der Nieskyer Günter Aey, zuletzt Geschäftsführer für Produktion und Logistik im Waggonbau, noch gut erinnern. Sie war gewissenhaft, zuverlässig, hilfsbereit, wurde von den Kollegen geachtet und geschätzt und hat gute Qualität geliefert, sagt Günter Aey.
Es war ein ganzes Stück Weg bis zur Farbgebungshalle, in der sich das kleine Büro samt Fotolabor und Werbeabteilung befand. Hier war Lenchen Hoffmanns Reich, wenn sie nicht gerade auf Fototour war. Sie machte Aufnahmen von den Waggons, von den Arbeitern in den Hallen, von Besuchern aus Polen, den vietnamesischen Gastarbeitern, von den Ausflügen der Kita-Kinder und ihren Erzieherinnen, der Ausbildung der Kampfgruppen-Männer, den jungen Leuten bei der Messe der Meister von morgen. Viele ihrer Fotos wurden in der Betriebszeitung des Nieskyer Waggonbaus gedruckt. Die erschien von 1953 an bis zum Juli 1990 zweimal im Monat und hieß "Unser Weg".
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Aber auch für die Nieskyer Sächsische Zeitung fotografierte Lenchen Hoffmann. Da war sie im Waldbad, bei der Ernte, bei 1. Mai-Feiern und hielt das Leben auf dem Zinzendorfplatz fest. Selbst für die Jugendredaktion war sie im Einsatz. In ihrer Freizeit war sie am liebsten in der Natur unterwegs und in ihrem Garten, viel auch mit ihrem Mann Walter. Die Kamera hatte sie meist dabei, fotografierte gern am Stausee Quitzdorf und an den Ullersdorfer Teichen. Oder sie nahm sich die Zeit und beobachtete Bienen auf den Blüten beim Nektar sammeln. Von den gelungensten Aufnahmen machte sie großformatige Abzüge, die sie gern auch verschenkte.
Sie war eine aufmerksame, zugewandte Frau. In dem Mehrfamilienhaus, in dem sie viele Jahrzehnte mit ihrem Mann Walter und Katzen lebte, hatte sie nicht nur Nachbarn sondern auch Freunde. Gern lud sie ein, bekochte Gäste, kümmerte sich um das Grüne vorm Haus. Eine ehemalige Nachbarin betreute sie, als die dann im Altenheim leben musste. Lenchen Hoffmann sah genau hin, machte sich Gedanken, sagte ihre Meinung. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, wenn sie etwas ärgerte. Was mit dem Waggonbau geschah, das empörte sie - schon vor Jahren.
Zu ihrem 90. Geburtstag lud sie ihre Gäste in das Nieskyer Bürgerhaus ein. Sie bekam auch viel Hilfe und Zuwendung zurück von ihren Freunden und Nachbarn. Zuletzt war sie unzufrieden mit ihren Augen und Ohren. Die schienen viel älter, als sich Lenchen Hoffmann selbst fühlte. Alt werden ist nichts für Feiglinge, sagte sie manchmal. Und ermunterte zugleich, es ihr gleich zu tun. Im April feierte sie ihren 92. Geburtstag. Sie lebte bis zuletzt da, wo sie sich wohlfühlte. Jetzt hat sie die Kamera für immer weggelegt. An diesem Donnerstag wird Lenchen Hoffmann auf dem Nieskyer Waldfriedhof beigesetzt.