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Sind Streiks in Corona-Zeiten möglich?

Die Gewerkschaften stellen sich auf die Pandemie ein: Sie beraten Betriebsräte in Görlitz und Niesky. Spielraum für Lohnforderungen sehen sie auch.

Von Frank-Uwe Michel
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Gewerkschaftsaktionen, wie hier der Warnstreik im Juli vor dem Nieskyer Waggonbau, sind in Corona-Zeiten nur mit erheblichem Aufwand durchführbar.
Gewerkschaftsaktionen, wie hier der Warnstreik im Juli vor dem Nieskyer Waggonbau, sind in Corona-Zeiten nur mit erheblichem Aufwand durchführbar. © André Schulze

Eileen Müller kann sich noch gut an den Warnstreik vor dem Nieskyer Waggonbau im Juli erinnern. Es ging um die Erhöhung von Lohn und Gehalt sowie um Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Deutlich mehr als 100 Personen standen vor dem Werktor und drückten lautstark ihren Unmut aus. In der momentan vierten Corona-Welle wäre eine solche Aktion allerdings nur schwer durchführbar.

"Unmöglich sind Streiks aber nicht", stellt die Gewerkschaftssekretärin der IG Metall Ostsachsen klar. Allerdings wären sie mit erheblichem Aufwand verbunden und der Öffentlichkeit wegen der geltenden Kontaktbeschränkungen nur schwer vermittelbar. Arbeitskämpfe unterlägen zwar nicht dem Versammlungsrecht, für das es aktuell gravierende Einschränkungen gibt. Allerdings müsse für jeden Streik ein Hygienekonzept erarbeitet werden. "Generell bewegen wir uns auf einem ganz schmalen Grat", räumt Müller ein. In Niesky spielt das derzeit keine Rolle. Offenbar sprechen alle Seiten miteinander. Über Inhalte wird in der jetzigen Phase aber nicht informiert.

Beschäftigte suchen zunehmend Hilfe

Die Corona-Krise stellt die Gewerkschaften vor "große Herausforderungen", wie es Eileen Müller formuliert. Denn: "Arbeitnehmerrechte müssen auch unter den aktuellen Bedingungen unangefochten erhalten bleiben." Außerdem gelte es, die Betriebsräte zu unterstützen. Der Klärungsbedarf habe eminent zugenommen. Zum Beispiel in Fragen zur Kurzarbeit oder zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. "Wenn die Unternehmen jetzt die Einhaltung von 3-G kontrollieren sollen, dann darf das nicht zum Nachteil der Beschäftigten passieren." Vor allem mit Großbetrieben wie Alstom in Görlitz und Bautzen, Birkenstock in Görlitz und Bernstadt sowie Siemens Energy in Görlitz sei man in ständigem Kontakt. Aber auch Beschäftigte aus kleineren Firmen würden zunehmend Interesse zeigen.

Für Eileen Müller und ihre Kollegen bedeutet das, sich nicht nur selbst permanent mit den wechselnden Verordnungen auseinanderzusetzen, sondern darauf auch schnell zu reagieren. Die geltenden Einschränkungen machen die Prozesse deutlich schwerer. "Wenn ich nur an die Betriebsratswahlen im nächsten Jahr denke. Da müssen Gespräche stattfinden, Schulungen durchgeführt werden. Momentan ist das absolut schwierig." Bauchschmerzen bereitet ihr, dass es in vielen Unternehmen noch immer keine Betriebsräte gibt, "die gerade jetzt eine enorme Verantwortung haben und eigentlich unverzichtbar sind." Zumal es oft technisch noch immer gar nicht möglich sei, digitale Versammlungen abzuhalten.

2022 Besserung in der Luftfahrtbranche?

Christian Göbel ist für die IG Metall ebenfalls in Ostsachsen unterwegs. Er schaut differenziert auf die Branchen, die er betreut. Bei Acosa und CCI Assembly, den Kodersdorfer Töchtern der Elbe Flugzeugwerke, ist erst einmal weiter Zurückhaltung angesagt. Wenngleich der Gewerkschaftssekretär auch hier im nächsten Jahr auf eine Erholung setzt. "Bis Mitte 2022 sollte es den Luftfahrtunternehmen wieder besser gehen", vermutet er. Dann werden Tarifgespräche auch da wieder möglich sein.

Insgesamt aber stellt er den Betrieben der Metall-, Elektro-, Holz- und Kunststoffbranche aus den Kreisen Görlitz und Bautzen in der Pandemie ein gutes Zeugnis aus. "Deshalb sind wir als IG Metall auch weiter mit ambitionierten Forderungen unterwegs." Die öffentlichkeitswirksame Aktionen nicht gänzlich ausschließen. Wie am Freitag bei der Bautzener Edding-Tochter V.D. Ledermann, deren Stifte überall in der Welt erhältlich sind. "Mit Abstand, Masken und wenigen Kollegen" habe man auf die notwendige Angleichung an den Bundestarif aufmerksam gemacht, von dem die aktuellen Bezüge 16 bis 18 Prozent entfernt seien.

Löhne müssen sich auch in Corona-Krise entwickeln

Der Kontakt zwischen den Betrieben und der Gewerkschaft ist in der Corona-Krise auch nach Göbels Meinung noch enger geworden. "Wir helfen, wenn es gilt, Lösungen zu finden. Wobei die Auffassungen zu manchen Themen naturgemäß recht unterschiedlich sind." Im Zweifelsfall ziehe man Juristen aus der IG Metall-Bezirksleitung mit heran und pflege den engen Kontakt zur Landesregierung. "Man kann sicherlich alles schwarz malen. Aber wir sollten den Kopf nicht in den Sand stecken. Fest steht: Die Löhne müssen sich auch während und nach der Corona-Krise weiterentwickeln."