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Warum die Glocken verstummen

Die Brüderkirche in Niesky läutet nur noch eingeschränkt. Auch in Diehsa und Petershain ist der volle Klang nicht mehr zu hören. Das hat eine Ursache.

Von Steffen Gerhardt
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Helmut-Andreas Spengler zeigt die drei Glocken im Kirchturm von Diehsa. Ihre Aufhängung an einem Stahlgerüst macht dem Pfarrer Sorgen.
Helmut-Andreas Spengler zeigt die drei Glocken im Kirchturm von Diehsa. Ihre Aufhängung an einem Stahlgerüst macht dem Pfarrer Sorgen. © André Schulze

"Die Menschen merken es zuerst, wenn etwas mit den Kirchenglocken in ihrem Dorf nicht stimmt", sagt Pfarrer Helmut-Andreas Spengler . Er blickt hinauf zur Kirchturmspitze in Diehsa. Unter der Turmhaube befinden sich drei Glocken - und die machen dem Pfarrer Sorgen. Zum einen, was deren Zustand betrifft, aber auch ihre Befestigung. Hier muss etwas getan werden, um größeren Schaden zu verhindern, sagen Pfarrer und Gemeindekirchenrat.

Vermutlich eine Panzergranate hat die Dorfkirche 1945 in Schutt und Asche gelegt. Das Gotteshaus wurde trotz knapper Baustoffe in vier Jahren aufgebaut, so gut es ging. Die Glocken bekamen ihren Platz im Turm zurück und wurden wieder geläutet, gut 70 Jahre lang. Doch in jüngster Zeit zeigt sich, dass der Zahn der Zeit sich nicht nur an den drei Glocken festgebissen hat, sondern auch an ihrer Befestigung, der sogenannten Glockenjoche. Einem U-förmigen Verbund aus Stahlträgern, eingebettet in einem hölzernen Glockenstuhl.

Diehsa wirbt um Spenden

Pfarrer Spengler sagt, dass das Geläut einem normalen Alterungsprozess unterliegt. Fachleute geben der Stahlkonstruktion für die Glocken in der Regel 70 Jahre, dann muss sie erneuert werden. In Diehsa ist das jetzt der Fall, zumal die Glocken bereits im Notbetrieb läuten. Das kostet aber Geld. Auf 7.500 bis 8.000 Euro kommt die Kirchgemeinde mit dem ihr vorliegenden Kostenvoranschlag. Dazu hat sie eine Spendenaktion in Diehsa ins Leben gerufen, von der der Pfarrer erzählt: "Jedem Haushalt haben wir eine Zwiebel für eine Glockenblume überreicht, die symbolisch für die Kirchenglocken steht. Dazu einen Brief mit dem Spendenaufruf. Wir sind angenehm überrascht, welche Resonanz das bisher gefunden hat." Zu Ostern wurde mit der Aktion begonnen. Ende April sind bereits über 3.000 Euro eingegangen.

Damit ist dem Pfarrer nicht bange, das Geld zusammenzubekommen, zumal ein anonymer Spender seine Zusage gegeben hat, den bis Pfingsten gespendeten Betrag zu verdoppeln. "Manchmal gehört auch ein bisschen Glück dazu", freut sich der Pfarrer über diese Zusage und ist allen bisherigen Spendern sehr dankbar.

Brüderkirche ebenfalls betroffen

Über drei Tonnen Glocken-Gewicht hängen an dem vernieteten Glockenstuhl der evangelischen Kirche der Brüdergemeine in Niesky. Das Läuten über Jahrzehnte hat seine Spuren hinterlassen und das Stahlgerüst in seiner Befestigung gelockert.
Über drei Tonnen Glocken-Gewicht hängen an dem vernieteten Glockenstuhl der evangelischen Kirche der Brüdergemeine in Niesky. Das Läuten über Jahrzehnte hat seine Spuren hinterlassen und das Stahlgerüst in seiner Befestigung gelockert. © André Schulze

Bei der evangelischen Brüdergemeine in Niesky hofft man ebenso auf großzügige Spender für die Glockenanlage in der Kirche am Zinzendorfplatz. Auch hier läuten nicht mehr alle drei Glocken, weil die Stahlkonstruktion des Glockenstuhles den Schwingungen nicht mehr gewachsen ist. Aber im Gegensatz zu Diehsa ist in Niesky mehr als das Zehnfache an Geld notwendig, um die Kirchenglocken wieder klingen zu lassen. Die Brüdergemeine schätzt die Kosten auf 80.000 bis 100.000 Euro und bittet dafür um Spenden.

Niesky und Diehsa teilen sich in das gleiche Glockenschicksal. Beide Kirchgemeinden mussten ihr Geläut im Ersten Weltkrieg für das Gießen von Kanonen hergeben. Statt Bronzeglocken wurden in den 1920er Jahren Glocken aus Gussstahl in die Kirchtürme gehangen. Diese reagieren auf Umwelteinflüsse empfindlicher als Bronze.

Akutes Problem in Diehsa

Pfarrer Spengler sagt, dass das Problem vorwiegend Nachkriegskirchen haben, also Kirchen, die nach dem Krieg wieder aufgebaut wurden. Oft kam ein Glockenstuhl aus Stahlträgern zum Einsatz und Experten vertreten die Meinung, dass so ein Metallgestell nach rund 70 Jahren ausgedient hat aufgrund der mechanischen Beanspruchung durch das Schwingen der Glocken. Die Kirche Diehsa ist eines von acht Gotteshäusern im Pfarrsprengel Waldhufen-Vierkirchen. So akut wie in Diehsa sei das Problem in den anderen Kirchen nicht. Das geht aus den jährlichen Kontrollen des Glockensachverständigen hervor.

Die Kirche in Diehsa ist als Fahrradkirche über Sachsen hinaus bekannt. Seit Sonntag ist sie wieder eine offene Kirche für Radler und Touristen.
Die Kirche in Diehsa ist als Fahrradkirche über Sachsen hinaus bekannt. Seit Sonntag ist sie wieder eine offene Kirche für Radler und Touristen. © André Schulze

Wackelnde Glockenstühle sind nicht das einzige bauliche Problem, dass der Evangelische Kirchenkreis Schlesische Oberlausitz mit seinen Gotteshäusern hat. Dieser Kreis ist 2014 aus der Vereinigung der beiden Kirchenkreise Niederschlesische Oberlausitz und Hoyerswerda hervorgegangen. In diesem Gebiet besitzt die evangelische Kirche 87 Gebäude, von der Kirche bis zum Kindergarten. 62 Kirchgemeinden werden nur noch von 39 Pfarrern vertreten. Damit macht Superintendent Thomas Koppehl auf ein personelles Problem aufmerksam. Der Rückgang der Pfarrstellen hängt eng mit der geringer werdenden Anzahl an Kirchengliedern zusammen.

Weniger Kirchenmitglieder, weniger Geld

35.369 Kirchenmitglieder zählte die Schlesische Oberlausitz Ende 2020. Das entspricht nur rund 17 Prozent der Gesamtbevölkerung. Für die Einnahmen der Kirche bedeutet das, dass nur jeder sechste Bürger seine Kirchensteuer zahlt. "Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Kirchenglieder jedes Jahr um eineinhalb bis zwei Prozent geringer wird", sagt der Superintendent.

Somit fällt es schon schwer, die eigene Verwaltung finanziell aufrechtzuerhalten. Seit Kurzem müssen die Kirchenkreise eine sogenannte Substanzerhaltungsrücklage bilden, um für den Fall eines kaputten Glockenstuhls Geld für dessen Reparatur zu haben. Aber auch diese Finanzen müssen erwirtschaftet werden. In der Regel, so Thomas Koppehl, greift der Kirchenkreis den Pfarrgemeinden dahingehend finanziell unter die Arme, dass der Eigenanteil für die Fördermittel aufgebracht werden. Ohne finanzielle Förderung gelingt heute kein größeres Bauvorhaben an den Gotteshäusern mehr.

Kirchbauverein gründet sich in Petershain

Die Kirche in Petershain hat ebenfalls das Problem eines instabilen Glockenstuhls. Dazu muss dringend der 500 Jahre alte Altar restauriert werden. Zwei große Aufgaben für den neu zu gründenden Kirchbauverein.
Die Kirche in Petershain hat ebenfalls das Problem eines instabilen Glockenstuhls. Dazu muss dringend der 500 Jahre alte Altar restauriert werden. Zwei große Aufgaben für den neu zu gründenden Kirchbauverein. © André Schulze

Vor diesem steht jetzt der Kirchenrat von Petershain. Pfarrer Christian Huth von der Trinitatisgemeinde am See sagt, dass den Petershainern ebenfalls der Glockenstuhl große Sorgen macht. Zum einen ist es das Alter, aber auch die falsche Befestigung durch Sanierungsarbeiten in den 1960er Jahren. Da kam man auf die Idee, den hölzernen Glockenstuhl mit dem Mauerwerk zu verbinden. Doch über die Jahrzehnte führte diese Versteifung zu Rissen im Mauerwerk, die zu beheben sind. Drei Glocken hat die Petershainer Kirche. Sie können im vollen Umfang nicht mehr geläutet werden.

Der Kirchenrat von Petershain hat aufgerufen, einen Kirchbauverein zu gründen, um mit ihm das Turminnenleben sanieren zu können. Die Gründungsveranstaltung ist für den 28. Mai, 19 Uhr in der Kirche geplant. Mitstreiter über Petershain hinaus sind gern gesehen, sagt Pfarrer Huth. Denn der Glockenstuhl ist in Petershain nicht die einzige Baustelle. Auch der gut 500 Jahre alte Altar braucht dringend eine Werterhaltung. Für ihn liegt schon eine Kostenschätzung vor: 60.000 bis 70.000 Euro.

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