Warum in den Hospizen Plätze frei bleiben

Der vergangene Mittwoch war für die Mitarbeiter des Nieskyer Hospiz' "Haus am Wege" mal ein ganz anderer Tag. Das Gros der Beschäftigten traf sich zusammen mit ihren Familien in einem Waldstück bei Daubitz. Dort wurde mit einer Baumpflanzaktion den im vergangenen Jahr in der Einrichtung Verstorbenen gedacht.
"Wir denken, dass diese Anteilnahme nicht nur bei Geburten, sondern auch beim Ableben geliebter Menschen passend ist. Beides ist eine Art Neuanfang", erklärt Hospiz-Leiterin Friederike Salewski die Idee hinter der Aktion. 72 Gäste haben 2020 im Nieskyer Hospiz die letzten Tage ihres Lebens verbracht. Ihrer zu gedenken wurden jetzt 300 vom Kreisforstamt organisierte Stieleichen in die Erde gesetzt.
Der Alltag in der zur Diakonissenanstalt Emmaus gehörenden Einrichtung sieht aktuell beschaulicher aus als sonst üblich. Seit dem Spätherbst hat das "Haus am Wege" mit der Auslastung zu kämpfen. Mehrere der zwölf Plätze sind derzeit frei. Die Gründe dafür sind offenbar vielfältiger Natur. Friederike Salewski und ihre Mitstreiter vermuten, dass dies auch eine Folge der Corona-Krise ist.
Früher habe man deutlich mehr Einweisungen aus Krankenhäusern als Anfragen aus dem Privatbereich bekommen. Aber: "Wegen der Betreuung der vielen Covid-Patienten wurden die Palliativabteilungen in den Kliniken meist frühzeitig geschlossen. Das hatte sicher Auswirkungen auf diesen Bereich." Im Nieskyer Hospiz wurden - nach Absprache mit den jeweiligen Krankenkassen - Palliativpatienten vor allem aus den Krankenhäusern Emmaus, Weißwasser, Bautzen, den beiden Görlitzer Einrichtungen, aber auch aus Spremberg sowie Zittau und Ebersbach untergebracht.
In den Hospizen "Siloah" Herrnhut und Bischofswerda, die unter dem Dach des Christlichen Hospiz Ostsachsen betrieben werden, sieht die Situation ganz ähnlich aus. "Die Auslastung ist merklich geringer als in früheren Monaten", sagt der Leiter für stationäre Hospizarbeit, René Rixrath. Momentan sei nur die Hälfte aller 24 möglichen Plätze belegt. In seinen beiden Häusern kamen bisher rund 90 Prozent der Gäste aus Kliniken, lediglich zehn Prozent aus der Häuslichkeit.
Auch Rixrath sieht den Hauptgrund für die rückläufigen Belegungszahlen in den veränderten Strukturen der Krankenhäuser während der Corona-Krise. Schwerkranke Menschen würden zudem länger zu Hause bleiben, um sich nicht mit dem Virus anzustecken. Darüber hinaus seien in der jüngeren Vergangenheit Hospizkapazitäten hinzugekommen, vor allem Richtung Dresden. Auch "Siloah" Bischofswerda wurde erst im Juli 2020 in Betrieb genommen.

Gerade der letzte Punkt ist es, den auch Dr. Mathias Ansorge ins Feld führt. Und der Facharzt für Inneres mit der Zusatzrichtung Palliativmedizin kann das an Zahlen belegen. "Das Krankenhaus Emmaus in Niesky hat im ganzen Jahr 2020 insgesamt zehn Patienten in das hiesige Hospiz überwiesen. In den ersten dreieinhalb Monaten 2021 waren es zwei. Das ist hochgerechnet in etwa die gleiche Größe. Man kann also nicht sagen, dass Corona eine große Rolle gespielt hätte."
Ansorge, der sich im "Haus am Wege" auch um die palliativärztliche Versorgung kümmert, kennt sich aus mit der speziellen Situation im Landkreis-Norden. "Wir haben hier ein sehr gutes SAPV-Team, auf das in der häuslichen Betreuung der Patienten sehr gern zurückgegriffen wird." SAPV bedeutet spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Die Entscheidung - Hospiz oder die eigenen vier Wände - falle mit der SAPV-Unterstützung eben meist für das gewohnte Umfeld aus.
Gibt es zu viele Hospizplätze in der Region?
Zugleich weist der Spezialist darauf hin, dass die Wahlmöglichkeiten unter den stationären Hospizen in den vergangenen Monaten deutlich größer geworden sind. "Anfangs gab es nur Herrnhut, dann kam Niesky hinzu. Jetzt gibt es auch Bischofswerda - wenn man nur die Oberlausitz nimmt." Das Klinikum Bautzen habe früher zum Beispiel sehr gern nach Niesky überwiesen. Jetzt gingen die Patienten - wohnortnäher - meist nach Bischofswerda. Gibt es mit insgesamt 36 also zu viele Plätze? Dies wiederum sieht Dr. Ansorge so deutlich nicht. Die Situation könne sich auch wieder ändern. Potenzial, meint er, gebe es bei den Hausärzten. "Wer nur ab und zu die Formalitäten eines solchen Falles abwickeln muss, schreckt vielleicht vor häufigeren Überweisungen zurück und versucht, andere Wege zu gehen." Denn SAPV-Teams könnten ebenso ins Pflegeheim kommen.
Auch die anderen Kliniken im Landkreis zeichnen ein eher differenziertes Bild. "Gründe für die geringeren Belegungen in den Hospizen können wir nur vermuten", sagt Katja Pietsch. "Möglicherweise werden weniger Krebserkrankungen erkannt, weil weniger Menschen einen Arzt aufsuchen und
daher weniger Diagnosen
und weniger Operationen erfolgen", erklärt die Sprecherin des Städtischen Klinikums Görlitz. Laut Prof.
George Manolakis, der in der Neißestadt Oberarzt in der Klinik für
Onkologie, Hämatologie, Strahlentherapie und Palliativmedizin ist, wird der Rückgang von Tumordiagnosen auch international erwähnt. "Außerdem", so Pietsch, "werden in der Corona-Zeit viele
Palliativpatienten durch Familie und Pflegedienste zu Hause versorgt."
Vorrang hat Betreuung in der Häuslichkeit
Laut Stephanie Hänsch, Sprecherin des Malteser Krankenhauses St. Carolus in Görlitz, wünschten sich die meisten Palliativpatienten den Verbleib und die Pflege zu Hause. Nach der Erfahrung von Standortleiterin Daniela Kleeberg, haben Haus- und Fachärzte in den vergangenen Monaten schwerkranke Patienten eher zurückhaltend und meist nur in Notfällen eingewiesen. Deshalb seien per se weniger Palliativpatienten bei St. Carolus. Zudem habe es während der ersten Corona-Welle und auch wieder ab November Aufnahmestopps in Pflegeeinrichtungen - darunter auch Hospizen - gegeben. Jetzt seien wieder Kapazitäten frei, "da viele Patienten verstorben sind."
Wie in den anderen Krankenhäusern der Region werden auch an den beiden Standorten Zittau und Ebersbach des Klinikums Oberlausitzer Bergland die Betroffenen - soweit es medizinisch zu verantworten ist - zur weiteren Betreuung ins familiäre Umfeld geschickt. "Ziel ist es nicht, diese unheilbar Erkrankten in ein Hospiz zu schaffen, sondern grundsätzlich zurück in die häusliche Umgebung", stellt Sprecherin Dr. Jana-Cordelia Petzold klar. Natürlich seien beide Wege üblich, der ins Hospiz aber nicht vordergründig. Denkbar für die geringere Auslastung seien allerdings die generell hohen Sterbezahlen älterer Menschen in den letzten Wochen. Covid-Verstorbene und Palliativpatienten gehörten in vielen Fällen der gleichen Altersgruppe an.