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Die Schattenseite des Kodersdorfer Erfolgs

Die Gemeinde bei Görlitz erlebt einen beispiellosen Aufschwung. Die Nachbarkommunen wollen nun, dass Kodersdorf mehr für sie zahlt. Zu Recht?

Von Frank-Uwe Michel
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Aus Kodersdorf gehen Produkte inzwischen in alle Welt. Bestes Beispiel für den prosperierenden Wirtschaftsstandort ist das Container-Terminal der Lion Group.
Aus Kodersdorf gehen Produkte inzwischen in alle Welt. Bestes Beispiel für den prosperierenden Wirtschaftsstandort ist das Container-Terminal der Lion Group. © André Schulze

Eigentlich hätte Kodersdorf das gar nicht tun müssen. Doch auf der jüngsten Sitzung des Gemeinderates tauchte eine "Vereinbarung über die Beschaffung von Hardware" auf. Das Besondere daran: Die neue Technik - Server und Kopierer - ist nicht etwa ausschließlich für die Arbeit in der Gemeinde bestimmt. Sie wird nach dem Kauf vielmehr dem Verwaltungsverband überlassen. 25.000 Euro lässt sich Kodersdorf diesen Schritt kosten. Die Gemeinde sponsert also den Verband. Was sie nicht sonderlich belastet. Denn die Anschaffung werde das Haushaltsergebnis nur "im vertretbaren Rahmen verschlechtern", heißt es im Text der Beschlussvorlage.

Doch warum investiert Kodersdorf hier gänzlich allein? Die Antwort steht am Schluss der Vorlage, die von den Räten einstimmig beschlossen wurde: Die Gemeinde setze damit ihre "sehr gute und enge Zusammenarbeit mit der Verwaltung fort" und unterstütze indirekt die weiteren Mitgliedsgemeinden. Denn in denen rumort es mehrheitlich. Erst vor ein paar Tagen war ein permanet schmorender Vorwurf bei der Sitzung des Gemeinderates in Horka wieder hochgekocht.

Eigentlich wurde dort die Haupt- oder Ehrenamtlichkeit des künftigen Bürgermeisters diskutiert. Doch verquickt damit war - und ist auch weiterhin - die Frage nach der Eigenständigkeit von Horka. Oder einer möglichen Fusion mit Kodersdorf. Und überhaupt: Der Verwaltungsverband bearbeite schon seit Längerem überwiegend Anliegen der Sitzgemeinde, monierte Jörg Koltermann. Das Verbandsgefüge sei eine Baustelle, über die man in Zukunft sprechen müsse. So jedenfalls könne es nicht weitergehen, forderte Biehains Ortsvorsteher.

Kodersdorf ersetzt diesen Kopierer auf seine Kosten für den Verwaltungsverband. Bessere Stimmung gibt es deswegen nicht.
Kodersdorf ersetzt diesen Kopierer auf seine Kosten für den Verwaltungsverband. Bessere Stimmung gibt es deswegen nicht. © André Schulze

Doch was ist dran an dem Vorwurf? Ist es Missgunst, weil Kodersdorf mit seiner Ansiedlungspolitik und aufgrund seiner Lage an A 4 und B 115 ganz offensichtlich wirtschaftlich erfolgreich ist? Oder stimmt der Eindruck, dass vor allem Kodersdorf die Arbeitskraft der 23 Vollzeitstellen im Verband bindet?

Aufwandsbemessung lehnt Verband bisher ab

Ein paar Tage später, bei der Januar-Sitzung der Kodersdorfer Gemeinderäte, kommt das Thema erneut zur Sprache. Verbandschef Torsten Hänsch ist die Diskussion darüber sichtlich unangenehm. Es sei eigentlich unmöglich, den Arbeitsumfang der Verbandsmitarbeiter für jede Mitgliedsgemeinde einzuschätzen. Immerhin gehören neben Kodersdorf und Horka auch Neißeaue und Schöpstal noch dazu. "Weil das so schwierig ist, haben wir das immer abgelehnt", erklärt Hänsch. Ihm fallen nur zwei Parameter ein, an denen man den Arbeitsaufwand bemessen könnte: Zahl der Beschlussvorlagen und Investitionsvolumen in der jeweiligen Kommune.

Erst kürzlich kochte das Thema in Horka wieder hoch. Bürgermeister Christian Nitschke muss sich damit nicht mehr beschäftigen. Er geht im Juni in den Ruhestand.
Erst kürzlich kochte das Thema in Horka wieder hoch. Bürgermeister Christian Nitschke muss sich damit nicht mehr beschäftigen. Er geht im Juni in den Ruhestand. © André Schulze

Bei den Vorlagen zumindest sieht der Verbandsvorsitzende keinen großen Unterschied. Allerdings wird deutlich: Zieht man beispielhaft die Gemeinderatssitzungen im Januar zurate, gab es in Horka sechs Punkte, zu denen Beschlussvorlagen erarbeitet werden mussten. In Kodersdorf waren es 13 im öffentlichen Teil. Nichtöffentlich kamen zwei weitere hinzu. Nun ist die Tagesordnung nicht in jedem Monat so gut gefüllt - eine gewisse Tendenz aber ist unverkennbar.

Beim Punkt Investitionsvolumen macht Torsten Hänsch klar, dass dies in Kodersdorf eindeutig höher als in den anderen Gemeinden ist. Dies habe aber nichts mit einem übergroßen Aufwand zu tun. "Wer Schwierigkeiten hat, seine Eigenmittel für bestimmte Projekte zusammenzubekommen, für den muss deutlich mehr gearbeitet werden. Wenn das Geld da ist, gehen die Dinge stattdessen eben oft glatt durch." Die finanzielle Ausstattung der Mitgliedsgemeinden sei sehr unterschiedlich. Über das Thema insgesamt könne man durchaus in den nächsten Verbandsversammlungen diskutieren.

Schöpstals Bürgermeister Bernd Kalkbrenner will eine offene Diskussion, um Aufgaben und Kosten des Verwaltungsverbandes künftig besser zu verteilen.
Schöpstals Bürgermeister Bernd Kalkbrenner will eine offene Diskussion, um Aufgaben und Kosten des Verwaltungsverbandes künftig besser zu verteilen. © freier Fotograf

Dazu wird es aller Voraussicht nach schon beim nächsten Termin am 9. Februar kommen. Davon jedenfalls geht der Schöpstaler Bürgermeister Bernd Kalkbrenner aus. Seiner Meinung nach habe der Freistaat Sachsen so viele Aufgaben nach unten durchgereicht, dass man klären müsse, ob und wie sie durch die Gemeinden und den Verwaltungsverband zu schaffen seien. "Es geht um eine Analyse und die Frage, wie wir damit umgehen wollen." Untereinander das Kriegsbeil auszugraben, stehe nicht zur Debatte. "Wir sollten vielmehr offen darüber reden, damit die Arbeit im Verband zum Vorteil aller Mitgliedsgemeinden erledigt wird."

Wäre die Einheitsgemeinde eine vernünftige Lösung?

Auch Per Wiesner, Bürgermeister in Neißeaue, ist der Überzeugung, dass gemeinsames Reden die beste Lösung ist, die aktuellen Unstimmigkeiten zu überwinden. Möglicherweise komme man dadurch ja auch zu einem anderen Schlüssel, wie die finanziellen Verpflichtungen unter den beteiligten Kommunen aufgeteilt werden. Die Berechnung nur über die Einwohnerzahl könne auf Dauer jedenfalls nicht funktionieren.

Die Finanzierung des Verwaltungsverbandes allein über die Einwohnerzahl könne auf Dauer nicht funktionieren, meint Per Wiesner, Bürgermeister von Neißeaue.
Die Finanzierung des Verwaltungsverbandes allein über die Einwohnerzahl könne auf Dauer nicht funktionieren, meint Per Wiesner, Bürgermeister von Neißeaue. © André Schulze

An diesem Thema kommt natürlich auch Kodersdorf nicht vorbei. Eine steuerabhängige Finanzierung des Verwaltungsverbandes würde zwar die anderen drei Gemeinden entlasten. Begeistert wäre Bürgermeister René Schöne darüber aber nicht. Denn der Schuss könne - mit dem Verweis auf Boxberg in früheren Jahren - ganz schnell nach hinten losgehen. "Auch wir müssen momentan erhebliche Summen an Firmen zurückzahlen, weil die wirtschaftliche Entwicklung real eben nicht ganz so gelaufen ist, wie ursprünglich gedacht." Zudem nutze der Verband das von Kodersdorf in Schuss gehaltene Verwaltungsgebäude - und auch sämtliche Bürotechnik, die angeschafft werde. Zu Gesprächen über eine Neuordnung der Kosten innerhalb des Verbandes sei man natürlich bereit.

Gleichzeitig macht das Stichwort Einheitsgemeinde immer wieder die Runde. Weil eben offenbar das Verbandsgebilde nicht das Optimum der Gemeinsamkeit von Kodersdorf (2.379 Einwohner, Stand: Oktober 2021), Horka (1.662), Neißeaue (1.681) und Schöpstal (2.386) ist. "Wir waren schon mal kurz davor. Zustande gekommen ist es aber nicht", erinnert sich René Schöne. Und mit Blick auf die aktuelle Situation: "Wir wollen keine halbfertigen Geschichten, sondern ein Konstrukt, das dauerhaft trägt." Der Kodersdorfer Rathauschef sieht Vor- und Nachteile der Idee. "Es gäbe nur einen statt vier Haushalte. Nur einen statt vier Bürgermeister. Auch der Verbandsvorsitzende fiele weg." Dies mache für den Zusammenschluss mit dann 8.108 Einwohnern eine erhebliche Kostenersparnis aus, zumal sich die Einzahlungen in die Beamtenversorgungskasse ebenfalls reduzieren würden.

Andererseits sieht Schöne die Problematik Bürgernähe. "Fühlen sich die Leute mitgenommen oder nur als fünftes Rad am Wagen?" Sei dies alles geklärt, müssten zur Auflösung des Verwaltungsverbandes trotzdem hohe Hürden überwunden werden. Denn Landkreis und Landesdirektion müssten diesen Schritt genehmigen. Und am wichtigsten: "Ein Bürgerentscheid in allen Orten müsste das dafür notwendige Ergebnis bringen."