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Wann landet der nächste Schrott-Flieger?

Landkreis Görlitz und Investoren arbeiten am CO2-neutralen Gewerbegebiet in Rothenburg. Ein paar Erfolge gibt es schon. Aber das ist erst der Anfang.

Von Frank-Uwe Michel
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Ein fast 22 Jahre alter Airbus A319 von Eurowings war der zweite Flieger, der in Rothenburg recycelt wurde. Über die Fortsetzung des Projektes wird noch entschieden.
Ein fast 22 Jahre alter Airbus A319 von Eurowings war der zweite Flieger, der in Rothenburg recycelt wurde. Über die Fortsetzung des Projektes wird noch entschieden. © André Schulze

Der große "Aufschlag" ist schon eine Weile her. Im August 2021 war Andreas Sperl, Geschäftsführer der Elbe Flugzeugwerke (EFW) im Rothenburger Stadtrat aufgetreten und hatte in groben Zügen die Idee des nachhaltig wirtschaftenden, CO2-neutralen Gewerbegebietes vorgetragen. Das soll auf dem Gelände des Flugplatzes am Rande der Stadt entstehen.

Die Keimzelle des Ganzen: das Flugzeugrecycling. Im November 2020 war der erste Airbus A 320 gelandet und dann zwischen Dezember und dem März folgenden Jahres ausgeschlachtet worden. Inzwischen gibt es Schrott-Flieger Nr. 2 - einen Airbus A319 - ebenso nicht mehr. Auch er wurde in alle Einzelteile zerlegt. Daran schloss sich eine umfangreiche Prüfung an, wie gut sich recycelte Teile und Materialien vermarkten lassen. Offenbar scheint dies ein intensiver, langwieriger Prozess zu sein. Oder das Geschäft hat noch Ecken und Kanten und muss verändert werden, damit die Flugzeugwerke und ihre Partner aus der Recyclingbranche das Projekt wie erhofft in Serie gehen lassen. Soweit jedenfalls ist es noch nicht. EFW-Sprecherin Anke Lemke bedauert, kein aktuelles Update zu haben. Im Herbst aber solle es "konkreter werden", sagt sie. Dann werde auch final von den Shareholdern - also den Gesellschaftern - der EFW darüber entschieden.

Der Landkreis beobachtet den Fortgang der Dinge sehr aufmerksam. Zu gern wäre man schon einen Schritt weiter. Aber: "Die Auswertung des Projektes mit der schwerpunktmäßigen Betrachtung der Wirtschaftlichkeit obliegt der EFW", antwortet Dezernent Thomas Rublack, der gleichzeitig Geschäftsführer der Flugplatz Rothenburg/Görlitz GmbH ist. Alle Partner würden in engem Austausch miteinander stehen. Dabei könnte die Verzögerung mit dem Wechsel an der EFW-Spitze zusammenhängen: Der Spanier Jordi Boto hat Anfang April die Geschäftsführung von Andreas Sperl übernommen.

Weitere Fördermittel vom Freistaat erwartet

Die Rothenburger selbst haben in den vergangenen Monaten einen Großteil ihrer Hausaufgaben bereits gemacht. Die noch beim Projektbeginn stark kritisierten infrastrukturellen und technischen Voraussetzungen wurden stark verbessert. So gibt es jetzt Büro- und Sozialräume in extra dafür aufgestellten Containern. Die elektrische Anlage des von EFW genutzten Hangars wurde angepasst. Zudem sei es durch Mitarbeiterschulungen gelungen, den gesamten Workflow - also den Arbeitsablauf - effizienter zu gestalten, erklärt Rublack. Und für die Zukunft ganz wichtig: "Die Erteilung des Bescheides für beantragte Fördermittel beim Freistaat Sachsen steht kurz bevor." Damit soll es weitere Investitionen und Sanierungsmaßnahmen im Winter und im nächsten Jahr geben.

Insgesamt wird die Idee des CO2-neutralen Gewerbegebietes am Rothenburger Flugplatz offenbar ohne große Öffentlichkeit vorangetrieben. Die Entwicklung des Projekts sei prioritär "und auf einem guten Weg", betont der Wirtschaftsdezernent. Vor Ort gebe es bereits ein starkes Netzwerk mit lokal ansässigen Unternehmen und weiteren Projektpartnern, die teilweise bereits aus der Kreislaufwirtschaft stammen "und großes Interesse haben, ihre Produktionsprozesse klimaneutral zu gestalten." Zudem säßen mehrere Forschungseinrichtungen mit im Boot. Aus diesem Miteinander sei die Idee entstanden, das erste Wasserstoff-Forum Oberlausitz (WFO) ins Leben zu rufen, das im Juli in Görlitz mehr als 60 Netzwerkpartner aus den Landkreisen Görlitz und Bautzen vereinte.

Weil Netzeinspeisepunkte für grüne Energie nicht vorhanden und in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten sind, soll der lokal im CO2-neutralen Gewerbegebiet produzierte regenerative Strom laut Thomas Rublack auch vor Ort genutzt werden. Wie die Produktionsprozesse gestaltet werden könnten, darüber befinde man sich momentan in "intensiven Gesprächen mit Forschungseinrichtungen und Unternehmen, um die technische Machbarkeit zu prüfen."

Solarpark ist Herzstück der Wasserstoff-Aktivitäten

Ein wichtiger Puzzlestein ist der auf 86 Hektar ertragsschwachen Böden geplante Solarpark der Heim-Gruppe im benachbarten Steinbach. Aktuell werde am Bebauungsplan und an der technischen Planung gearbeitet, berichtet Rublack. "Der Solarpark ist das Herzstück der Wasserstoff-Aktivitäten." Bis zu 80 Megawatt Leistung sind vorgesehen. Die Verfügbarkeit von "grünem" Wasserstoff sei ein bedeutender Ansiedlungsgrund für weitere Firmen.

Insgesamt verläuft dieses Teilprojekt bisher sehr vielversprechend, denn: Für den Bau des zur Herstellung von "grünem" Wasserstoff notwendigen Elektrolyseurs gibt es bereits Sondierungsgespräche mit möglichen Investoren. Auch potenzielle Abnehmer sind in die Überlegungen mit eingebunden. Der Wasserstoff soll lokalen Unternehmen zur Verfügung stehen und via Pipeline oder Bahn zu anderen Abnehmern in der Region transportiert werden. Beides müsse jedoch noch geprüft werden, so Rublack.

Längst gibt es weitere Projekte und Ideen, die am Rothenburger Flugplatz umgesetzt werden sollen. Ein Beispiel ist das „CircEcon-Zentrum Lausitz“ - ein Forschungscampus zur Entwicklung der Kreislaufwirtschaft für Leichtbaumaterialien. Dahinter steckt die „Leichtbauallianz Sachsen“, die von den Technischen Universitäten aus Chemnitz und Dresden sowie der Bergakademie Freiberg und der Hochschule Zittau/Görlitz gebildet wird. Vielfältige Innovationen am Standort Rothenburg verspricht auch die Verwertung komplexer Baugruppen aus Verbundwerkstoffen zur Rohstoffgewinnung. Hierbei sollen nicht nur Kunststoffabfälle aus der Flugzeugindustrie, sondern auch solche von nicht mehr genutzten Windkraftanlagen recycelt werden.