Großvermieter trennt sich von Wohnungen

Gerhard Friebel ist schon dabei, seinen Hausstand in Kisten und Kartons zu verpacken. Denn in zwei Wochen ist sein Umzugstermin, erklärt der Nieskyer. Er wohnt in der Ödernitzer Straße 14. In dem Mehrfamilienhaus neben der Roten Schule, dass die Wohnungsbaugenossenschaft um die Hälfte abreißen will.
Für Vorstand André Müller ist das der erste Rückbau von Wohnungen in der fast 67-jährigen Geschichte der Nieskyer Wohnungsbaugenossenschaft. Der Beschluss auf Teilabriss wurde gefasst, weil der Bedarf an genossenschaftlichem Wohnraum an diesem Standort gesunken ist und das Haus grundlegend saniert werden müsste. Auf der freien Fläche sollen unter anderem Anwohnerparkplätze entstehen. Betroffen vom Abriss sind 20 Mietparteien, also zwei der insgesamt fünf Aufgänge. Zu den Betroffenen gehört Gerhard Friebel. Auch wenn die Wobag die Mieter begleitet und großzügige Unterstützung beim Umzug zusagt, belastend ist das schon für den 89-Jährigen. "Ich bin alleinstehend, meine Frau ist vor fünf Jahren gestorben und das Jahr zuvor bereits mein Sohn", erzählt Friebel. Das hat ihn schon seelisch in die Tiefe gerissen, nun muss er die Drei-Raum-Wohnung verlassen, in die er mit seiner Frau Ursula 2013 gezogen ist.
Umzug in die Ringstraße
Die neue Wohnung ist zwar gleich um die Ecke, in der Ringstraße, dennoch ist der Umzug nicht nur eine Herausforderung für Gerhard Friebel. Im selben Aufgang wohnt auch Dorothea Haupt. Nieskyerin seit 1948 und seit 24 Jahren Mieterin in der Ödernitzer 14. Im vergangenen Jahr hat sie von ihrem Vermieter erfahren, dass sie eine neue Wohnung bekommt, ebenfalls in der Ringstraße. Ihr Umzug ist im Juli oder August vorgesehen, sagt die 90-Jährige. Eigentlich wollte sie in diesen vier Wänden ihren Lebensabend verbringen, aber nun muss die einst sportbegeisterte Frau doch noch einmal packen und umziehen. "Ich habe aber die Einsicht, dass der Umzug unvermeidbar ist aufgrund der Unterbelegung dieses Wohnhauses", zeigt sich die Mieterin zuversichtlich.
Verschlechtern wird sich Frau Haupt nicht. Sie zieht in das Mehrfamilienhaus, an das die Wobag im vergangenen Jahr vier Fahrstühle anbauen ließ. Und auch die Wohnung selbst, wieder drei Räume in gleicher Größe, ist modernisiert. "Für uns ist es wichtig, dass sich keiner der Mieter verschlechtert und einen guten Wohnkomfort in seiner neuen Umgebung vorfindet", sagt André Müller. Deshalb ist die Genossenschaft schon beizeiten auf die Mieter zugegangen, um sie über ihren Umzug in diesem Jahr zu informieren.
Neue Balkone und Leitungen
Im vergangenen Jahr hat die Wobag in ihren Wohnungsbestand investiert. Mülleinhausungen gebaut und begrünt und Wohnungen saniert. Das soll dieses Jahr fortgesetzt werden, unter anderem mit Fahrradgaragen in den Wohngebieten. 749 eigene Wohnungen zählt die Genossenschaft, davon sind 48 Eigentumswohnungen. Der größte Posten werden dabei die neuen Balkone sein. Sie sind für die Ringstraße 14 bis 20 in diesem Jahr vorgesehen. Die 40 Balkone werden knapp 600.000 Euro einschließlich Fassade kosten.
Den Balkon ans Haus zu setzen ist das eine, aber es müssen auch die ebenerdigen Zugänge von den Wohnungen aus geschaffen werden. Damit kommt die Genossenschaft dem Wunsch ihrer Mieter nach, eine Sitzmöglichkeit an frischer Luft zu haben.
Die zweite große Geldausgabe beschreibt André Müller mit der zweiten Instandsetzungswelle, die sich die Wobag vorgenommen hat. Dabei geht es vor allem um das Erneuern von Rohrleitungen für Trink- und Abwasser zu den Häusern und Wohnungen. "Damit wollen wir möglichen Rohrbrüchen vorbeugen und eine Flickschusterei vermeiden, indem wir ganze Stränge auswechseln", begründet Müller das Vorhaben.
Die Wobag reißt dieses Jahr aber nicht nur ab, sie schafft auch neue Wohnungen in Horka. Fünf sollen es werden, in einer Größe zwischen 48 und 98 Quadratmeter Fläche. Dazu will die Genossenschaft das bereits im Herbst 2019 gekaufte Mehrfamilienhaus an der Friedhofskurve grundlegend sanieren und ausbauen. Neben Zwei- und Drei-Raum-Wohnungen soll auch eine für eine kinderreiche Familie mit vier Zimmern im Erdgeschoss entstehen. "Mit dem Umbau wollen wir im März beginnen und wir haben das Ziel, dass die Mieter nächstes Jahr einziehen können. Anfragen liegen uns schon vor", berichtet Müller.
Leerstand an Wohnungen verringern
Die Wobag will dieses Jahr weiter ihren Leerstand reduzieren. Derzeit beträgt er 5,5 Prozent. Mit dem Abriss der Ödernitzer Straße 14/14a wird ein großer Schritt dafür gemacht. Das soll aber nicht heißen, dass Wobag-Wohnungen nicht mehr gefragt sind. Im Gegenteil. Im vergangenen Jahr standen den 70 Leerzügen 73 Neuvermietungen gegenüber, sagt Müller. Und noch eine Erfahrung hat der Vorstand gemacht: Kleine Wohnungen werden verstärkt nachgefragt, da sich familiäre Verhältnisse ändern.
Verkleinern wollen sich Dorothea Haupt und Gerhard Friebel dagegen nicht. Sie finden ihre knapp 60 Quadratmeter als ausreichend und wollen diese auch in ihrer neuen Wohnung vorfinden. Frau Haupt sagt, sie hätte auch eine andere Wohnung haben können mit größerem Bad, aber das hat sie abgelehnt. "Ich brauchen den kurzen Weg vom Schlafzimmer ins Bad." Im Alter zählen halt andere Prämissen, und auch diese erfüllt die Wobag mit ihren Möglichkeiten.
Mehr Nachrichten aus Niesky lesen Sie hier.
Mehr Nachrichten aus Görlitz lesen Sie hier.