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Nikos Mama will leben

Zwei Tage vor der Geburt ihres Sohnes erhielt die Bannewitzerin Vicky Stötzner die Diagnose Leukämie. Am Sonntag wird ihr Lebensretter gesucht.

Von Verena Schulenburg
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Vicky Stötzner ist derzeit zur Chemotherapie in der Dresdner Uniklinik. Heilung bringt aber nur eine Stammzellenspende.
Vicky Stötzner ist derzeit zur Chemotherapie in der Dresdner Uniklinik. Heilung bringt aber nur eine Stammzellenspende. © Sven Ellger

Manchmal würde sie am liebsten abhauen. Alle Pflaster und Kanülen von sich reißen – und weg von hier. Weg von diesem Bett, weg von der Klinik und hin zu ihrer Familie, zu ihrem kleinen Sohn Niko. „Aber ich kann nicht“, sagt Vicky Stötzner.

Die junge Mutter hat Blutkrebs. Zwei Wochen vorm errechneten Geburtstermin erhielt sie die schlimme Diagnose. „Ich hatte mich hin und wieder schlapp gefühlt“, erzählt die 30-Jährige, nicht unüblich während der Schwangerschaft. Deshalb habe sie sich nichts dabei gedacht. Erst als ihr bei einer Routineuntersuchung Blut abgenommen wurde, kam der Verdacht auf, dass etwas nicht stimmt. Weitere Untersuchungen brachten die bittere Gewissheit: Es ist akute lymphatische Leukämie. „Als mir der Arzt das sagte, habe ich rein gar nichts gedacht“, erzählt Vicky Stötzner.

Zeit zum Grübeln blieb ohnehin nicht. Statt nach Hause nach Bannewitz ging es für die Hochschwangere sofort in die Dresdner Uniklinik. Die Geburt wurde eingeleitet. Zwei Tage später hielten sie und Mann Marius den gesunden Sohn Niko in den Händen. Noch am selben Tag musste Vicky die ersten Tabletten für die Chemotherapie schlucken. „Es war krass“, sagt sie.

Die Diagnose Leukämie hat das Leben der kleinen Familie schlagartig verändert. Anstatt das neue Familienglück genießen zu können, muss die junge Mutter nun um ihr Leben kämpfen – und sie kämpft. „Was bleibt mir anderes übrig“, sagt sie mit einer Entschlossenheit, die so bewundernswert ist wie ihre ungebrochene Lebensfreude. Selbst ihren Humor scheint die junge Frau nicht verloren zu haben. „Die Schwestern hier feixen, wenn sie mich erleben“, erzählt die junge Frau. „Aber so bin ich nun mal.“ Vicky will sich nicht geschlagen geben. Sie will leben. Sie will Mama sein können für Niko. Dafür kämpft sie.

Damit ihr Wunsch in Erfüllung gehen kann, gibt es für die 30-Jährige aber nur eine Chance: Sie braucht einen passenden Stammzellenspender. Bisher gibt es diesen nicht. Um Vicky zu helfen, rufen Familie, Freunde und Arbeitskollegen in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Organisation DKMS für Sonntag, den 14. April, von 11 bis 16 Uhr, zu einer Typisierungsaktion im Hygienemuseum Dresden auf. Lediglich mit einer Speichelprobe kann sich jeder zwischen 17 und 55 Jahren als potenzieller Spender registrieren lassen.

Nicht nur Vicky selbst hofft darauf, dass sich am Sonntag ihr genetischer Zwilling findet. Auch Nael Alakel, Facharzt für Hämatologie und Onkologie am Dresdner Uniklinikum, setzt auf die geplante Aktion. Die Chemotherapie sei bisher gut verlaufen, erklärt Alakel, der Vicky Stötzner seit dem ersten Tag ihrer Behandlung begleitet. Mit der Chemo allein sei das Leben der jungen Frau aber nicht zu retten. „Eine Stammzelltransplantation ist die einzige Chance, um eine dauerhafte Heilung zu erreichen“, erklärt der Funktionsoberarzt. Je mehr sich als potenzielle Spender registrieren ließen, desto größer sei die Chance, dass Vickys Lebensretter gefunden wird. Hinzu kommt: Die junge Frau ist Halbgriechin. Ihr deutsch-griechisches Erbgut könnte die Suche nach dem passenden Spender erschweren – muss aber nicht. „Das ist absolut nicht einzuschätzen“, sagt Alakel. Es sei möglich, dass Vickys genetischer Zwilling gleich um die Ecke wohnt. Es sei aber auch schon vorgekommen, dass für einen Patienten in Indien ein Spender aus Deutschland gefunden wurde. Deshalb werde das Spendernetzwerk der DKMS weltweit genutzt.

Der Schnappschuss entstand kurz nach der Geburt. Vicky Stötzner und ihr Mann Marius mit Sohn Niko.
Der Schnappschuss entstand kurz nach der Geburt. Vicky Stötzner und ihr Mann Marius mit Sohn Niko. © privat

Während Vicky Stötzner bangen muss, wie es für sie weitergeht, schöpft sie ihre Kraft aus ihrem Sohn. „Mein Mann schickt mir zurzeit jeden Tag Fotos und Videos von Niko“, sagt sie. Weil für den kleinen Jungen derzeit wichtige Impfungen anstehen und eine Erkältung oder Ähnliches Vickys geschwächtes Immunsystem nicht abwehrt, darf sie gerade für zwei Wochen keinen Kontakt zu ihrem Sohn haben. „Das geht nicht spurlos an mir vorbei“, sagt sie.

Spuren hinterlässt auch die Behandlung. Von den ganzen Tabletten sei der jungen Frau oft flau im Magen. „Die Chemotherapie geht auch in die Knochen“, sagt Vicky Stötzner. Früher sei sie problemlos fünf Kilometer gejoggt. „Jetzt schnaufe ich die Treppen hoch.“ An manchem Morgen, wenn sie in ihrem Klinikbett aufwacht und es ihr gut geht, setze sie sich auch mal aufs Spinning-Rad, bevor der Klinik-Alltag beginnt. Sie könne nicht klagen. „Alle sind nett und versuchen mir den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu machen, selbst wenn ich mal wieder 24 Stunden an irgendeinem Gerät hänge“, sagt sie.

Das, was der Blutkrebs und die Behandlung mit sich bringen, bringt die junge Frau aber auch an ihre persönlichen Grenzen. Die langen braunen Haare sind mittlerweile ausgefallen. Ohne Kopfbedeckung mag sie sich niemandem zeigen. Noch immer koste sie es große Überwindung, in den Spiegel zu schauen. „Abgesehen davon sehe ich zurzeit aus wie ein Kugelfisch“, meint Vicky Stötzner selbstkritisch. Am schlimmsten aber sei, dass sie nicht für Niko da sein könne. „Ich würde meinem Mann die schlaflosen Nächte gern abnehmen“, sagt sie.

Nicht nur die Ungewissheit darüber, wie es für die 30-Jährige weitergeht, werden zur Belastung für die Familie. Mann Marius muss nun den Alltag mit dem gut zwei Monate alten Söhnchen Zuhause allein wuppen. Eigentlich sollte der CNC-Fräser eine neue Position als Schichtleiter antreten. Stattdessen muss der Bannewitzer nun die Elternzeit seiner Frau übernehmen und taumelt zwischen Windeln wechseln, Haushalt und den Klinikbesuchen seiner Frau. Familie und Freunde helfen, wann immer möglich. Die größte Hilfe aber wäre ein Lebensretter.

Wie jeder helfen kann

Typisierungsaktion:

Um einen passenden Stammzellenspender zu finden, ist für den kommenden Sonntag, den 14. April, eine Typisierungsaktion im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, Lingnerplatz 1, geplant. In der Zeit von 11 bis 16 Uhr kann sich jeder im Alter von 17 bis 55 Jahren typisieren lassen. Die Aktion findet in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Gesellschaft DKMS statt.

Die Registrierung: Stäbchen rein, fertig

Nach dem Ausfüllen einer Einverständniserklärung wird beim Spender ein Abstrich an der Wangenschleimhaut mit einem Wattestäbchen genommen. Auf diese Weise können die Gewebemerkmale später im Labor bestimmt werden. Spender, die in der Vergangenheit schon registriert wurden, müssen dies nicht erneut tun. Einmal aufgenommene Daten stehen auch weiterhin zur Verfügung, so die DKMS.

Der Spender: Nicht jeder passt

Um einen potenziellen Spender zu finden, sollten die Gewebemerkmale zu einhundert Prozent übereinstimmen. Bei einer prozentual geringeren Übereinstimmung der Merkmale ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es bei der Spende zur Abstoßung kommt, was eine Heilung erschwert. Prinzipiell sei es besser, so viele potenzielle Spender wie möglich zu haben, erklärt Nael Alakel, Facharzt für Hämatologie und Onkologie an der Uniklinik Dresden.

Die Kosten: Auch Geldspenden helfen

Wer sich nicht als potenzieller Stammzellenspender registrieren lassen kann, hat auch die Möglichkeit, Geld zu spenden. Die Typisierung ist für jeden zwar kostenfrei. Die DKMS kostet die Registrierung eines Spenders aber 35 Euro. Auch hier zähle laut Organisation jeder Euro.

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