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Noch längst nicht abgestempelt

Das 150 Jahre alte Löbauer Familien-Unternehmen Keßner wächst dank Digitalisierung in einem schrumpfenden Markt.

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© Matthias Weber

Von Markus van Appeldorn

Löbau. Stempel und Keßner – das ist in Löbau ein Wort. Das kleine Ladenlokal von „Stempel Keßner“ an der Ecke Sachsenstraße / Wettiner Platz ist im Grunde nur die unscheinbare Fassade eines Imperiums. Mit den Jahren ist das Familienunternehmen zur Nummer 3 unter den deutschen Stempel-Herstellern aufgestiegen. Wenn irgendwo zwischen Kiel und Oberstdorf, Aachen und Görlitz ein Stempel auf einer Urkunde, einer Rechnung, einer Quittung oder auch einem Wanderpass landet, kommt er wahrscheinlich aus Löbau.

„In einem Markt, der wegen der zunehmenden Digitalisierung stagniert oder sogar leicht schrumpft, schaffen wir es immer noch, zu wachsen“, sagt Hausherr Reinhart Keßner (56). Nun mit der sechsten Generation beginnt er, das Stempel-Imperium so langsam neu zu ordnen. Sein ältester Sohn Marcus Keßner (30) arbeitet schon lange im 1865 gegründeten Familienunternehmen. Soeben hat er seine Prüfung zum „Meister des Flexografenhandwerks“ bestanden. Er weist auf den Leitspruch des Unternehmens, der in großen Lettern über einem Tisch prangt, geprägt von seinem Ur-Ur-Großvater Rudolf Schmorrde – dem Firmengründer: „Dankbar Rückwärts. Mutig Vorwärts. Gläubig Aufwärts.“ Mutig vorwärts heißt für die Keßners: Total digital. In dem liebevoll sanierten 120 Jahre alten Jugendstilbau an der Sachsenstraße stehen die Zeichen auf Expansion.

Für seine Kunden in ganz Europa hat das Unternehmen ein digitales Bestellportal entwickelt. „Darauf können die Kunden am Computer nicht nur sämtliche benötigten Stempel bestellen und nachbestellen, sondern auch den Status ihrer Bestellung sehen“, sagt Reinhart Keßner. So landen die Aufträge innerhalb kürzester Zeit auf einer der Lasermaschinen, die innerhalb von nur 28 Minuten die Stempel aus einer Kautschuk-Matte prägen und auch gleich ausschneiden. Nur das Aufbringen der Stempel auf Holzrohlinge aus dem Erzgebirge oder moderne Kunststoff-Träger geschieht noch per Hand. „Wenn ein Kunde einen Stempel bis mittags bestellt, kann er schon am nächsten Tag in Hamburg oder Bozen sein“, sagt Reinhart Keßner. Und um das Geschäft mit privaten Endkunden nicht brachliegen zu lassen, haben die Keßners einen Online-Shop gegründet. „Das Portal rangiert bei Internet-Suchanfragen nach Stempel sehr gut und erzielt riesige Wachstumsraten“, erklärt Marcus Keßner.

Doch schon seit einiger Zeit wurde ihnen der Raum knapp. „Wir haben viel überlegt“, sagt Keßner, „ob wir zum Beispiel die Produktion in eine der Hallen von Leuchten Hess verlegen oder auch in die Räume des jetzigen Fitness-Studios auf der anderen Seite der Sachsenstraße.“ Aber an dem Stammsitz hängen eben auch Emotionen. „Auch die unserer Mitarbeiter“, sagt Reinhart Keßner. Ein Zufall machte es möglich, mit dem Unternehmen im eigenen Haus in die Höhe zu wachsen. „Die Mieterin einer Wohnung aus dem vierten Stock ist recht plötzlich verstorben. Da haben wir beschlossen, den Raum für die Firma zu nutzen und im Haus umzubauen“, erzählt Reinhart Keßner.

In den letzten Monaten haben sie dann im Erdgeschoss und im ersten Stock die Flächen für Produktion, Versand und Lager erheblich erweitert. Auch original erhaltene Stuckverzierungen wurden bei diesen Umbauten wieder freigelegt. Die ehemalige Wohnung im vierten Stock dient nun als Besprechungsraum und Büro für Reinhart und Marcus Keßner. Der 40 Quadratmeter große Konferenzraum ist nun das repräsentative Schmuckstück des Unternehmens geworden. Der Blick reicht über die Dächer der Löbauer Innenstadt zum Gusseisernen Turm und bis zum Kottmar. Den weißen Konferenztisch schmückt in der Mitte das „Schmorrde-Ei“, das noch auf den Firmengründer Rudolf Schmorrde verweisende Unternehmens-Logo. „Halle können alle und es wäre vermutlich auch günstiger in der Produktion“, sagt Reinhart Keßner, „Aber wir gönnen uns und unseren Mitarbeitern, in dem wunderschönen Ambiente dieses Jugendstilhauses zu arbeiten.“

Auch eine Umstrukturierung des Unternehmens hält Reinhart Keßner für möglich. Die Familie betreibt das Stamm-Unternehmen „Rudolf Schmorrde KG“ und die rechtlich eigenständigen Firmen „Albert Walther-GmbH“ in Dresden und die „Grafischen Betriebe Weimar“. Die Weimarer Firma führen die Brüder Marcus und Lukas Keßner bereits in eigener Verantwortung. „Wir überlegen, eine Holding für alle drei Firmen zu gründen“, sagt Reinhart Keßner.