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Notarzt im Meißner Gerichtssaal

Ein junger Mann wehrt sich gegen seine Verhaftung. In der Zelle verletzt er sich mit einer Rasierklinge.

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Von Jürgen Müller

Rettungswagen fahren am Meißner Amtsgericht vor. Zuvor spielen sich im Saal 2 des Amtsgerichtes unglaubliche Szenen ab. Gerade will Richterin Ute Wehner die Verhandlung bis zur Urteilsverkündung unterbrechen und den Angeklagten in die Arrestzelle bringen lassen, den von der Staatsanwältin beantragen Haftbefehl umsetzen, als der Angeklagte Norman Kraska völlig austickt.

„Ich will das schriftlich, eher fassen mich die Polizisten nicht an“, schreit er. Sie fassen ihn doch an, versuchen, ihm Handschellen anzulegen. Kraska wehrt sich mit Händen und Füßen, der Tisch droht umzukippen, Akten fliegen auf den Boden, Stühle werden umhergeschoben. Staatsanwältin, Richterin und Verteidiger schauen dem Treiben fassungslos und hilflos zu. Schließlich gelingt es den beiden Polizisten doch, den Mann zu überwältigen. Doch der wehrt sich weiter. Später in der Zelle ritzt er sich auf, wahrscheinlich zuerst mit den Fingernägeln, dann mit einer Rasierklinge. Die Zelle ist blutverschmiert, Rettungssanitäter und ein Notarzt versorgen den Mann, nehmen ihn mit in die Klinik. Die Urteilsverkündung muss verschoben werden.

Der Angeklagte hatte schon am Morgen das Gericht und die 15 Zeugen fast zwei Stunden warten lassen. Im Nachhinein hat er sich dadurch ein bisschen mehr Freiheit verschafft. Denn noch im Gerichtssaal soll er verhaftet werden, wegen Fluchtgefahr. Ihm drohen insgesamt fünf Jahre und sechs Monate Haft. Drei Jahre und sechs Monate hatte die Staatsanwältin beantragt, zwei Jahre Bewährung sind noch offen und werden ebenfalls widerrufen.

Gesetze kümmern ihn nicht

Kraska ist das, was man einen unbelehrbaren Wiederholungstäter nennt. Achtmal hatte der 23-Jährige schon mit der Justiz zu tun, wurde zuletzt unter anderem wegen Betrugs in 155 Fällen, Urkundenfälschung und Amtsanmaßung verurteilt. Obwohl zwei Jahre Jugendgefängnis drohen, die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird, macht er munter weiter mit kreativer Kreditkartennutzung und weiteren Betrügereien. Von Gesetzen und Paragrafen lässt er sich nicht einengen. Rund eine Viertelstunde braucht die Staatsanwältin, um die neun neuen Anklagen vorzutragen.

Er soll bei Ebay ein Smartphone und ein Notebook angeboten, das Geld kassiert, die Geräte aber nicht geliefert haben. Zweimal wird ihm Körperverletzung vorgeworfen, einmal soll er auch eine Frau geschlagen haben. Bei einem Getränkehandel trat der Förderschüler als Geschäftsführer auf, bestellte Spirituosen und andere Getränke für 2 500 Euro. Bezahlt hat er das nie. Ein Teil der Spirituosen im Wert von über 700 Euro wurde im Keller seines Vaters gefunden und sichergestellt. Besonders dreist, dass er von einem 74-jährigen Mann ein Privatdarlehen von 700 Euro erschwindelte. Er dachte gar nicht daran, das Geld zurückzuzahlen. Schließlich mietete er sich für eine Woche im Welcome-Hotel in Meißen ein. Hier gab er vor, Geschäftsführer einer Sicherheitsfirma zu sein, die Rechnung werde seine Firma bezahlen. Als man ihm auf die Schliche kam, haute er ab und wollte sich im „Goldenen Löwen“ einmieten. Das Hotel hat geschlossen, er landet in der Rufumleitung und kommt wieder im Welcome-Hotel bei dem Nachtportier raus, der ihn gerade rausgeschmissen hat. Mehrfach bezahlt er im Baumarkt mit EC-Karte, ohne Geld auf dem Konto.

Zwar hat er keine Fahrerlaubnis, besitzt jedoch ein Auto, mit dem er auch regelmäßig fährt. Den Opel lässt er in einer Meißner Werkstatt reparieren, denkt aber gar nicht daran, die Rechnung über 304 Euro zu bezahlen. Wie es Betrügern so eigen ist, hat Kraska, der auch schon einen Offenbarungseid geleistet hat, für alles eine Erklärung. „Ich hatte keine Wohnung, also musste ich ins Hotel gehen“, sagt er ganz selbstverständlich. Die Werkstatt habe das Auto nicht repariert, deshalb habe er nicht bezahlt. Die Werkstatt sei der Betrüger, nicht er. „Mit Betrügern rede ich nicht“, kanzelt er die Zeugin aus der Werkstatt ab. Auch der Staatsanwältin fährt er über den Mund. „Haben Sie nicht zugehört? Dann schalten Sie mal Ihr Hörgerät ein.“

Jetzt kippt die Stimmung

Als die Staatsanwältin ihr Plädoyer beendet hat, kippt die Stimmung. Er werde dafür sorgen, dass sie ihren Job verliert, tönt er. „Ich habe von denen die Schnauze voll“. Dann greifen die Polizisten ein, denen er zuvor vorgeworfen hatte, sie hätten nichts zu tun, würden den ganzen Tag bloß Kaffee trinken. Jetzt haben sie zu tun.

Die Richterin schickt Kraska gestern wegen gewerbsmäßigen Betruges, Körperverletzung, Hausfriedensbruchs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung, Erschleichens von Leistungen und versuchter Nötigung für drei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Hinzu kommen die zwei Jahre offene Jugendstrafe. Der Haftbefehl bleibt in Kraft. Kraska wartet im Gefängnis auf das nächste Verfahren: wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.