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Nur jeder Zehnte sucht Hilfe

Mehr als 2500 Suchtkranke wurden im Landkreis Mittelsachsen registriert. Die Dunkelziffer der Abhängigen ist allerdings viel höher.

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Alkohol ist im Landkreis Mittelsachsen nach wie vor die Droge Nummer eins.
Alkohol ist im Landkreis Mittelsachsen nach wie vor die Droge Nummer eins. © Symbolbild/dpa

Mittelsachsen. Alkohol ist im Landkreis Mittelsachsen nach wie vor die Droge Nummer eins. Das ergibt die aktuelle Suchtstatistik des Jahres 2017, die der Psychiatriekoordinator des Landkreises Matthias Gröll vorgestellt hat. Grundlage für die Statistik ist die Anzahl der Klienten, die Beratungsgespräche in den drei Suchtberatungsstellen des Landkreises sowie Behandlungen im Fachkrankenhaus Bethanien wahrgenommen haben. „Die Dunkelziffer ist aber weitaus höher. Denn die Statistik erfasst nur die Menschen, die sich Hilfe suchen“, so Gröll. Er verwies auf die Suchtberatungsstellen und das ausgebaute gemeindepsychiatrische Netzwerk. „Es ist für alle Betroffenen ein großer Schritt, sich einzugestehen, dass sie Hilfe benötigen“, sagte Matthias Gröll. Mehr als 1 200 Fälle der Alkoholsucht wurden im vergangenen Jahr registriert. Im Altkreis Döbeln waren es 227 Fälle in der Beratungsstelle und 391 im Fachkrankenhaus, wobei hier Suchtkranke auch aus anderen Regionen behandelt werden.

Besonders wichtig sei die Arbeit, die die Beratungsstellen leisten, so Gröll. Von den etwa 70 000 Einwohnern des Altkreises Döbeln haben statistisch betrachtet etwa vier Prozent ein Suchtproblem. Davon kommen etwa zehn Prozent zur Beratung. Zu ihnen gehören nicht nur Drogen- und Alkoholabhängige, sondern auch Menschen mit Essstörungen und Spielsucht.

Das Team der Suchtberatungs- und -behandlungsstelle der Diakonie Döbeln hat es sich zum Ziel gestellt, dass jeder, der sich seinem Problem in Bezug auf eine Sucht stellt, möglichst innerhalb einer Woche einen Termin bekommt. Dass ihnen das gelingt, so Martin Creutz, Leiter der Beratungsstelle, darauf sei das vierköpfige Team stolz, obwohl es oft mit einem „Spagat“ verbunden sei. „Doch das machen wir gern, denn wir sind froh, wenn sich die Betroffenen dazu entschlossen haben, etwas gegen ihr Suchtproblem zu unternehmen“, so Creutz. Oft würden sie das nicht aus der eigenen Erkenntnis heraus angehen. Es gebe es einen gewissen Druck von außen, sei es vom Jugendamt, durch den Verlust des Führerscheins wegen Fahrens unter Alkohol oder andere Erlebnisse. Manche Klienten haben aber auch eine Bewährungsauflage, oder sie befinden sich in einem offenen Verfahren.

„Gut ist, dass wir einen hohen Bekanntheitsgrad in der Region haben. Damit steigt auch das Vertrauensverhältnis, so dass die Hemmschwelle, unsere Beratung aufzusuchen, nicht so hoch ist“, sagte Creutz. Außerdem gebe es in der Region eine gute Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, die sich mit der Suchtproblematik befassen. Dazu gehören das Jugendamt des Landratsamtes und das Fachkrankenhaus Bethanien in Hochweitzschen. Einen hohen Stellenwert habe auch der Hausarzt. Etwa 90 Prozent der Klienten haben regelmäßigen Kontakt zu ihrem Hausarzt. „Manche kommen sogar mit einem Überweisungsschein“, so Creutz.

Besonders wichtig in der Behandlung der Alkoholsucht ist ein stabiles Netzwerk. Zu den möglichen Therapien gehören unter anderem Einzel- und Gruppengespräche, sowie Vermittlung in Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlungen. Durchläuft der Patient einen organischen Entzug im Krankenhaus in sieben Tagen, beträgt die Rückfallquote 95 Prozent. Bei einem fachgerechten Entzug im Fachkrankenhaus Bethanien, der 21 Tage dauert, würden es etwa 15 Prozent der Patienten schaffen, danach trocken zu bleiben. Bei einer Langzeitberatung, die sich dem Entzug anschließt, schafft es die Hälfte der Betroffenen. Danach sei immer noch eine Nachsorge erforderlich. Ein Besuch einer Selbsthilfegruppe kann ebenfalls positiv wirken, so Creutz.

Die zweitstärkste Gruppe in der Suchtstatistik ist mit 560 Menschen die der Tabak-Abhängigen. Nur die wenigsten von ihnen wollen diese Sucht aber beenden. Im Fachkrankenhaus werden die meisten Betroffenen (543) diagnostiziert. Im Vergleich zu den Alkohol- und Tabakabhängigen ist die Zahl der Drogenabhängigen wesentlich geringer, jedoch nicht unproblematischer. In der Statistik sind 140 Personen registriert, die Cannabis nehmen, 324 Fälle mit Stimulanzien, zu denen Crystal gehört, und elf, die Kokain konsumieren. Martin Creutz hat beobachtet, dass die Schädigungen durch diese Suchtmittel immer schwerer, die Suchtbilder immer komplexer werden. „Im vergangenen Jahr haben wir zwei Frauen in einem soziotherapeutischen Wohnen untergebracht. Sie waren nicht mehr allein abstinenzfähig. Ich gehe davon aus, dass mindestens zwei Jahre Therapie notwendig sind, um ihr Problem zu verbessern“, so Creutz. Gründe für die schwereren Schädigungen sind die lange Zeit der Abhängigkeit und vor allem die Droge Crystal. „Der Konsum dieser Droge ist auch in der Region auf einem hohen Niveau. Weil dieser Stoff Potenzial hat, das die Leute fasziniert, nehmen sie sie immer und immer wieder bis sie nicht mehr anders können. Wenn es dann zu einem finanziellen Engpass kommt, beginnt die Beschaffungskriminalität. Wenn die Süchtigen nichts mehr zu verkaufen haben, dann verkaufen sie sich selbst oder wollen aussteigen.“