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Obdachlos in eisiger Kälte

Eine Unterkunft gäbe es für jeden. Und doch leben selbst bei dieser Kälte mindestens ein Dutzend Menschen in Bautzen auf der Straße - zum Beispiel Franziska.

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© Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich

Die junge Frau, nennen wir sie Franziska, muss noch eine Viertelstunde warten. Die Bautzener Notunterkunft für Obdachlose öffnet erst 17 Uhr. Franziska hat die Kapuze ihrer Jacke tief ins Gesicht gezogen und schlägt die Arme um den Körper. Es sind knapp zehn Grad minus an diesem Abend. Die 28-Jährige fröstelt. Am Vormittag hatte sie es warm, erzählt sie. Vormittags steckt sie gerade in einer Maßnahme vom Jobcenter. Sie geht vor allem deswegen hin, sagt Franziska, weil sie dort einen Platz hat, wo sie sich aufhalten kann. Nachmittags flüchtet sie sich vor dieser Kälte ins Kornmarkt-Center. Dort fällt sie niemandem auf. Es sieht ihr ja auch niemand an, dass sie auf der Straße lebt.

Kurz nach 17 Uhr: Franziska schnappt ihren Rucksack und klingelt an der Tür der Bautzener Notunterkunft, die vom Brücke-Verein betrieben wird. Betreuer Burkhard Woelke, der an diesem Abend Dienst hat, öffnet ihr. Wohlig warm ist es in den Räumen, sehr einfach, aber sauber, hell und freundlich. Burkhard Woelke hat schon Tee gekocht. Alkohol ist verboten in der Unterkunft. Franziska kommt schon seit längerer Zeit jeden Abend. Bis früh halb acht darf sie bleiben. Sie hat einen Spind hier, in dem sie ihre Habseligkeiten einschließen kann, ein paar Sachen hängen im Zimmer auf Kleiderbügeln. Im Bett liegt ein Teddy. Die 28-Jährige teilt das Zimmer an diesem Abend mit drei weiteren Frauen, einer gleichaltrigen und zwei älteren.

Flaschensammeln hält warm

Nebenan schlafen die Männer. Sieben sind es an diesem Abend, der jüngste erst 25, der älteste schon über 60 Jahre alt. Ein junger Mann, der auch schon länger hier Gast ist, hat den ganzen Tag über Flaschen gesammelt aus den Papierkörben der Bautzener Innenstadt. Flaschensammeln hält warm, sagt er, und es bringt ein bisschen was ein. Der stille, wortkarge Mann neben ihm wirkt müde. Er ist gerade aus der Haft entlassen worden, hat keine Wohnung mehr und niemanden, zu dem er gehen kann. Im Gefängnis hat man ihm erst einmal die Notunterkunft empfohlen. Morgen früh, verspricht ihm Burkhard Woelke, werden sie gemeinsam weitersehen. Der Brücke-Verein hilft vielen Entlassenen, im Leben draußen wieder Fuß zu fassen.

Burkhard Woelke hat die Waschmaschine angeschaltet. Bis morgen früh sind die Sachen der Obdachlosen wieder sauber und trocken. Die Männer und Frauen können hier duschen und sich zum Selbstkostenpreis Frühstück und Abendbrot servieren lassen. Für die Nacht in der Unterkunft bezahlen sie zehn Euro.

Matthias Nagel, Geschäftsführer des Bautzener Brückevereins, erklärte die Regeln: Die Kosten der Unterkunft werden nicht automatisch vom Sozialamt getragen. Der Betroffene muss sie bei eigenem Einkommen – zum Beispiel Rente – selbst zahlen. Hat er kein eigenes Einkommen und Anspruch auf Arbeitslosengeld I oder II, müssen die Kosten der Unterkunft daraus erbracht werden. Gezahlt werden diese Einkommen von der Bundesagentur für Arbeit oder dem Jobcenter. Das Sozialamt tritt erst ein, wenn weder Arbeitslosengeld I oder II bezogen wird, was eher die Ausnahme ist. Die Einweisungsverfügung erteilt die jeweilige Stadtverwaltung.

Unterkünfte in drei Städten

Die Städte und Gemeinden sind im Rahmen ihrer Daseinsvorsorge dazu verpflichtet, wohnungslos gewordenen Einwohnern ein Notquartier für die Nacht zur Verfügung zu stellen. Freie Träger betreiben die Unterkünfte, die es außer in Bautzen auch in Kamenz und Hoyerswerda gibt.

Mindestens 31 Menschen im Kreis – das sind die von den Behörden registrierten – leben derzeit auf der Straße, elf in Bautzen, fünf in Kamenz und 15 in Hoyerswerda. In Radeberg ist kein Fall von Obdachlosigkeit bekannt. Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum jemand keine Wohnung mehr hat. Nach einer Zwangsräumung zum Beispiel, nach der Haftentlassung oder – wie im Fall von Franziska – nach einer zerbrochenen Partnerschaft.

In die Situation gefügt

Die meisten Obdachlosen, so schätzt es Matthias Nagel ein, sind mit den Alltagsanforderungen schlichtweg überfordert. Sie suchen auch gar nicht erst nach Hilfe, die sie von Behörden und Wohlfahrtsverbänden jederzeit bekommen würden. Sie ergeben sich ihrer Situation und arrangieren sich. Solange sie die nächtliche Notunterkunft zum Aufwärmen, Essen, Duschen und Schlafen haben, überstehen sie auch die Tage draußen.

Franziska dreht sich eine Zigarette. Selbstgedrehte sind billiger, sagt sie. Sie geht raus in den Innenhof zum Rauchen. Dann wird sie vielleicht noch ein bisschen fernsehen oder Rommé spielen, wenn jemand mitspielt. Sie wird zeitig ins Bett gehen, wie die meisten hier. Das Leben draußen ist anstrengend. Morgen früh halb acht fängt es wieder an.