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Öl aus Riesa für ganz Deutschland

Der Chef des Riesaer Ölwerks gewährt Einblicke in die Produktion – und spart dabei nicht mit Anekdoten.

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© Cargill

Von Stefan Lehmann

Riesa. An den Geruch muss man sich gewöhnen, das muss auch Dr. Rüdiger Brautzsch lächelnd einräumen. Dabei weiß der Werkleiter jedoch, dass die Luft rund um das Riesaer Ölwerk heute um ein Vielfaches besser ist als noch Anfang der 90er Jahre. „Ich frage mich, wie man das früher hier ausgehalten hat“, schmunzelt er. Heute sorgen moderne Biofilter und andere Anlagen dafür, dass die Luft gereinigt wird, ehe sie das Werksgelände verlässt. So richtig streng riecht es nur noch dann, wenn kurze Reparaturen anstehen, sagt Werkleiter Brautzsch.

Ein Blick in die Pressen, die das Öl verarbeiteten. Die schwere Arbeit erforderte damals deutlich mehr Personal als heute.
Ein Blick in die Pressen, die das Öl verarbeiteten. Die schwere Arbeit erforderte damals deutlich mehr Personal als heute. © Cargill
Im Stadtmuseum sprach Werkleiter Dr. Rüdiger Brautzsch über die Geschichte des Ölwerks.
Im Stadtmuseum sprach Werkleiter Dr. Rüdiger Brautzsch über die Geschichte des Ölwerks. © Sebastian Schultz

Der Geruch ist nur ein Thema des Vortrages am Dienstagabend, zu dem das Stadtmuseum den Riesaer Ölwerks-Chef eingeladen hat. Darüber hinaus erzählt Rüdiger Brautzsch anschaulich, wie sich die Arbeit im Unternehmen seit dessen Gründung im Jahr 1904 gewandelt hat. Schon der Standort sah damals noch ganz anders aus: Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Ölmühle der Firma „OHG Einhorn & Co.“ keinen direkten Nachbar in Richtung Stadt. Damals hatte das Unternehmen mit Speiseölen noch nichts am Hut: Das aus Leinsaaten gepresste Öl diente rein technischen Zwecken. Erst ab Mitte der 30er-Jahre begann der Umstieg auf Raps für die Lebensmittelproduktion.

Auch nach dem Krieg lief die Produktion weiter – und das Ölwerk wuchs. Mitte der 50er Jahre arbeiteten auf dem Gelände noch 256 Mitarbeiter, jeden Tag wurden 230 Tonnen Raps- und Leinsaaten verarbeitet und noch einmal 50 Tonnen Öl raffiniert. „Zahlen, die heute gar nicht mehr interessant für uns wären“, sagt Rüdiger Brautzsch. Schon zur Wende war das Werk bei mehr als der doppelten Menge angelangt. Und das, obwohl das Werk nach der Explosion 1979 kurz vor dem Aus stand. Einige Besucher des Vortrags können sich noch lebhaft erinnern: „In unserem Wohnhaus sind die Scheiben zerborsten“, berichtet einer, der damals direkt gegenüber des Werks an der Liststraße wohnte. Doch nach der Katastrophe wurde weiter in den Standort investiert.

Von diesem schrecklichen Kapitel der Unternehmensgeschichte abgesehen spart der Werkleiter am Dienstagabend aber nicht mit Anekdoten. So zeigt er beispielsweise Fotos von der Ölverkostung und berichtet, dass zwischen jeder neuen Kostprobe ein Glas Schnaps getrunken wurde. „Das war damals Teil der Verkostungsvorschrift. Aber seit mittlerweile fast 30 Jahren gibt es das nicht mehr.“ Auch ranghohe Politiker ließen sich gern im Ölwerk ablichten, von DDR-Offiziellen bis hin zu Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. An einen Besucher hat der Werkleiter ganz besondere Erinnerungen: „Der belgische Kronprinz sollte 1991 im alten Speiseraum empfangen werden.“ Damals war das Ölwerk gerade erst an einen belgischen Familienkonzern verkauft worden, außerdem war die belgische Königsfamilie während des Zweiten Weltkriegs nach Hirschstein deportiert worden. Das Protokoll verlangte sogar einen goldenen Stuhl, den die Geschäftsführung schließlich aus dem Seußlitzer Hof ins Werk holen ließ. Das Surreale an der ganzen Sache: „Der Speiseraum war zu dieser Zeit schon ungenutzt gewesen, völlig leer und verschlissen.“ Zwei Wochen später wurde er abgerissen – nur für den königlichen Besuch putzte man ihn noch einmal heraus.

Lange blieb das Werk nicht in belgischer Hand. 1999 übernahm der amerikanische Familienkonzern Cargill den Standort in Riesa. Auch unter dem neuen Inhaber wurde kräftig investiert – allein 2005/2006 rund 10 Millionen Euro. Heute verfügt das Werk auch über eine eigene Flaschenabfüllung. Eine Blasmaschine produziert mehrere Flaschen pro Sekunde, die sofort gefüllt werden. Das alles geschieht heutzutage rund um die Uhr – und nahezu vollautomatisch. „Am Wochenende fahren wir die Produktion mit nur wenigen Leuten“, erklärt Rüdiger Brautzsch dem staunenden Publikum.

Das Öl wird nicht nur in Flaschen, sondern auch mit Tankzügen oder in 1000-Liter-Containern transportiert. Ein Teil geht direkt zur Weiterverarbeitung an andere Lebensmittelproduzenten und in die chemische Industrie. Der wesentliche Teil geht pur als Raps- und Sonnenblumenöl in den Supermarkt. Und das nicht allein in Deutschland, auch in andere Länder im Ausland, etwa nach Südeuropa. Dass dort nur Olivenöl verzehrt wird, ist eben nur Klischee. So wie die Behauptung, Rapsöl sei nichts wert, der zumindest Brautzsch entschieden entgegentritt. „Am Ende ist es eine Geschmacksfrage. Mittlerweile sind die Rapssorten so gezüchtet, dass das Fettsäurespektrum im Öl dem von Olivenöl sehr ähnlich ist.“

Die entölten Pflanzenrückstände übrigens werden zu Tierfutter verarbeitet – wie schon vor mehr als 100 Jahren. Manche Dinge ändern sich eben doch nie.