Lieber Winfried Kretschmann!
Ganz schön verrückte Idee, die Sie da neulich hatten. Nein, ich meine jetzt nicht Ihren Vorschlag, Cannabis zu legalisieren. Obwohl das ja für einen deutschen Ministerpräsidenten wohl auch eher ungewöhnlich ist. Soll das etwa Ihr Motto für die bevorstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg werden: Kiffen mit Kretschmann?
Was aber noch viel mehr Aufsehen erregt hat, war Ihr Einfall, mehr Flüchtlinge in Ostdeutschland unterzubringen, weil hier „ganze Liegenschaften leer stehen“ und „ganze Straßenzüge abgerissen“ werden. Die reicheren Länder, so Ihr Angebot, würden den ärmeren Ländern auch Geld geben, damit sie Heime betreiben können. Das Ganze „natürlich nur auf Basis freiwilliger Vereinbarung“, wie Sie versichern. Laut einer Umfrage des Stern finden 58 Prozent der Deutschen Ihre Idee gut.
Trotzdem wird wohl nix daraus. Politiker in Ostdeutschland sind empört. Sogar Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist entsetzt über Ihr Gedankenspiel: „Hände weg vom Königsteiner Schlüssel!“, warnt er. Für mich jetzt schon eines der Lieblingszitate des Jahres. Den Königsteiner Schlüssel kannten bis vor Kurzem ja nur Leute, die sich für die Details des Länderfinanzausgleichs interessieren und den Unterschied zwischen dem Umsatzsteuervorwegausgleich und den Bundesergänzungszuweisungen aus dem Effeff definieren können. Heute ist „Königsteiner Schlüssel“ wahrscheinlich eine der ersten deutschen Vokabeln, die syrische Kriegsflüchtlinge lernen.
Manchmal hat man ja den Eindruck, wir reden hier nicht über Menschen, sondern über Zahlen oder Material. Dieses ganze Hickhack über die Verteilung der Flüchtlinge müsste doch auch gerade Sie als Grünen an den Streit über Atommüllendlagerung erinnern, oder? Nach dem Motto: Macht damit, was ihr wollt, aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft!
Ist eigentlich schon mal jemand auf die Idee gekommen, Atommüll in Ostdeutschland zu verbuddeln und den Ländern dafür Geld zu geben? Ich könnte mir vorstellen, dass sich zum Beispiel Sachsen auf so einen Deal einlässt. Atommüll ist ja nicht ganz so schlimm wie Flüchtlinge, und der Wirtschaft würde es nur guttun. Allein darauf kommt es schließlich an.
Sie werden oft für Ihren Pragmatismus gelobt. Auch ich finde, wir müssen viel mehr in diese Richtung denken. Eine andere Möglichkeit wäre es etwa, auf den Brachflächen in Ostdeutschland Cannabis-Plantagen anzulegen. Die zahlreichen Flüchtlinge aus Afghanistan kennen sich bestimmt bestens aus mit dem Anbau. Auf diese Weise könnte die rasant steigende Nachfrage nach Haschisch in Baden-Württemberg gedeckt werden.
Meine Frage an Sie wäre, ob wir Ihnen im Gegenzug ein paar Nazis schicken können? Ich meine, ich hab’ nichts gegen Nazis, aber sie sollten bitte gerecht verteilt werden und nicht alle nach Sachsen kommen. Auch dafür brauchen wir unbedingt den Königsteiner Schlüssel!
Ihr Marcus Krämer
Der Offene Brief ist eine Rubrik im Wochenendmagazin der Sächsischen Zeitung