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Ordentlich Druck auf dem Herzen

Helmut Schmiers lebt, weil Toni Fercho keine Angst vor Erster Hilfe hatte. Die Uniklinik sucht jetzt noch mehr Retter.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Den kühlen Sand zwischen den Zehen spürt Helmut Schmiers noch. Sieht, wie der Volleyball die ersten Male übers Netz fliegt. Sein Puls war nach der Erwärmung in der Sporthalle des Dresdner Sportclubs im grünen Bereich gewesen. Doch plötzlich sieht sein Körper zu wenig Rot. Dem 78-Jährigen stockt das Blut in den Adern, sein Herz zuckt hilflos im Brustkorb, pumpt kein Blut in den Kreislauf.

Toni Fercho sieht den Mann vor sich nach dem Arm eines Mitspielers greifen. „Ich dachte erst, er sacke im Sand etwas weg“, erinnert sich der Sporttherapeut. Doch dann rutscht der Senior in sich zusammen. Ein Notfall – das ist seinem Trainer jetzt klar.

Dreieinhalb Monate ist dieser Moment her. Freitag, der 13. Februar 2015. „Ich bin absolut nicht abergläubisch“, sagt Helmut Schmiers. Der Naturwissenschaftler macht sich nichts aus schwarzen Katzen, Spinnen am Morgen und zerbrochenem Glas. Weder die Sieben noch die 13 können ihm Angst einjagen. Trotzdem muss er heute leise lachen, wenn er darüber spricht, wie nahe für ihn Leben und Tod just an einem solchen Datum beieinander lagen. „Ich bin Toni sehr dankbar“, sagt er, „Ohne ihn würde ich heute nicht mehr leben. Oder ich hätte einen schweren Hirnschaden davongetragen.“

Als Helmut Schmiers das Bewusstsein verliert, reagiert Toni Fercho prompt. Zusammen mit anderen Sportfreunden bringt er ihn vom sandigen Spielfeld auf festen Boden. Wie tot liegt er da, atmet nicht. Sofort beginnt der 30-Jährige, den Brustkorb des Älteren zu drücken. Seinen rechten Handballen legt er dabei auf die Mitte des Brustbeines, den linken darüber, die Arme ausgestreckt. Mit dem Gewicht seines Körpers drückt er rhythmisch etwa fünf Zentimeter tief. Immer wieder. Zügige, pausenlose Herz-Druck-Massage, die Faustregel kennt der Therapeut gut. Alle zwei Jahre absolviert er eine Weiterbildung zur Ersten Hilfe. „Ich war sehr aufgeregt, aber ich wusste, was zu tun ist, und fühlte mich deshalb sicher“, sagt er später.

Das Rettungsteam ist unter der Nummer 112 alarmiert. In der Mehrzweckhalle des Sportclubs gibt es einen Defibrillator, Toni schickt einen Helfer los, ihn zu holen. Wie man den Schockgeber bedient, hat er erst ein halbes Jahr zuvor bei einer turnusmäßigen Schulung geübt. Doch niemand muss geschult sein, um ein solches Gerät bedienen zu können. Schon beim Aufklappen ertönt eine Stimme, die Schritt für Schritt erklärt. „Man kann gar nichts falsch machen“, sagt der Lebensretter. Doch das größte Hindernis seien Angst und Unsicherheit. „Die meisten aus der Volleyballgruppe haben ihre Fahrerlaubnis in den 60er-Jahren gemacht. So lange liegt auch ihr letzter Erste-Hilfe-Kurs zurück.“

Was genau soll ich machen, wenn ein Mensch neben mir zusammenbricht? Wenn er nicht mehr atmet und sein Herz vermutlich stillsteht? Wie war das noch mal mit dem Drücken und der Mund-zu-Mund-Beatmung? Professor Thea Koch vom Uniklinikum Dresden nennt eine klare Regel: Drücken bis der Arzt kommt! Nach Möglichkeit 100-mal pro Minute. Beatmung ist nicht nötig. Wenn sich Helfer gegenseitig abwechseln können, umso besser. Denn eine Herzdruckmassage strengt gewaltig an. Und keine Sorge vor einem Zuviel. Kommt der Ohnmächtige wieder zu sich, wird er sich bemerkbar machen. Oder man hört seinen wieder einsetzenden Atem deutlich genug.

Toni Fercho schafft genau das: Helmut Schmiers beginnt, wieder selbst Luft zu holen. Mit großer Anstrengung bringt er den Verunglückten in die stabile Seitenlage, muss die Umstehenden anschreien, damit sie ihn unterstützen. „Helmuts Beine waren wegen des Sauerstoffmangels ganz steif, und ich brauchte Kraft, sie zu bewegen.“ Etwa fünf Minuten vergehen vom Anruf der Rettungsleitstelle bis zur Ankunft der Sanitäter. Lebensentscheidende Minuten.

Inzwischen geht es Helmut Schmiers wieder gut. Vor 15 Jahren hatte der pensionierte Chemiker bereits einen Herzinfarkt überstanden, lebte seither mit zwei sogenannten Stants. Diese kleinen Gitterschläuche halten Blutgefäße offen, die sich sonst verengen und zu wenig Blut hindurchfließen lassen würden. „Ich habe alle Vorsorgeuntersuchungen gemacht und bin zum Sport gegangen“, sagt er. Trotzdem verstopfte die Ader ganz plötzlich wieder und ließ sein Herz gefährlich flimmern.

„In anderen Ländern werden rund 80 Prozent der Menschen mit plötzlichem Herzversagen reanimiert“, sagt Prof. Dr. Thea Koch. In Deutschland seien es nur 20 Prozent. Die Klinikdirektorin ist Expertin für Anästhesiologie und Intensivtherapie und bereitet mit ihrem Team und Partnern eine Aktionswoche vor. Die „Woche der Wiederbelebung“ ist für September geplant und soll zum Retten motivieren. Toni Fercho und Helmut Schmiers haben von ihren Erfahrungen erzählt. Aber noch mehr Retter und Gerettete sind gefragt. Sie können sich am Uniklinikum melden und mit ihren Geschichten helfen, dem Herztod ordentlich Druck zu machen.

Kontakt: Telefon: 0351/4587550 www.idrl.jimdo.com