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Ostblog trifft Westblog

"Wäre ich in der DDR geboren, hätte mich das stinkwütend gemacht", sagt die Westredakteurin, weil ein Recht den Ost-Frauen mit der Wende genommen wurde.

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Sächsische.de-Redakteurin Dominique Bielmeier (l.) zog im Februar für drei Wochen nach Frankfurt, Anne Buhrfeind von chrismon (r.) übernahm dafür in der Zeit den Job der Reporterin. Nun bloggt auch noch Dorothea Heintze von chrismon mit.
Sächsische.de-Redakteurin Dominique Bielmeier (l.) zog im Februar für drei Wochen nach Frankfurt, Anne Buhrfeind von chrismon (r.) übernahm dafür in der Zeit den Job der Reporterin. Nun bloggt auch noch Dorothea Heintze von chrismon mit. © Fotomontage SZ/chrismon

Die Autorinnen:

Dominique Bielmeier hat Frankfurt vor gut zehn Jahren das erste Mal besucht und durfte im Kunstmuseum mit Konfetti werfen. Seitdem strandete sie immer mal wieder am Bahnhof, weil der Anschlusszug weg war. Inzwischen arbeitet sie als Stellvertreterin in der Stadtredaktion Dresden der Sächsischen Zeitung, zuvor war sie fünf Jahre lang Lokalreporterin in Meißen.

Die Autorinnen:

Anne Buhrfeind ist lange vor dem Redakteurinnentausch mal von Hamburg nach Dresden geradelt, da lag Meißen auf dem Weg. Danach war sie immer nur kurz in Leipzig, Dresden oder Erfurt. Sie arbeitet seit gut zwölf Jahren bei chrismon, jetzt als stellvertretende Chefredakteurin, vorher war sie bei "Gala" und "woman" in Hamburg.

Die Autorinnen:

Dorothea Heintze ist Redakteurin bei chrismon, allerdings in Teilzeit. Sie pendelt aus Hamburg dazu. Zwei Jahre lang, von 2016 bis 2018, war ihr Weg kürzer, da wohnten sie und ihr Mann in Erfurt. Eine tolle Stadt, nicht nur wegen des guten Biers und der leckeren Würstchen. Überhaupt der Osten: Dorothea Heintze ist schwer verliebt in alle neuen Bundesländer. Immer noch entdeckt sie so viel Neues und hört spannende Geschichten, die sie gerne weiter erzählt.

Der Austausch:

Im Februar tauschten Dominique Bielmeier und Anne Buhrfeind für drei Wochen ihre Schreibtische, ihre tägliche Arbeit, ihre Fahrräder und sogar die Ehrenämter. Während dieser Zeit tauschten sie sich im Blog in Briefform über ihre Erfahrungen im Osten bzw. Westen aus. Aus Anlass der Landtagswahl in Sachsen nahmen Sie die Korrespondenz wieder auf. 

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28. November - "Wo waren die starken ostdeutschen Stimmen?"

Ein sieben Wochen alter Fötus in einer Fruchtblase.
Ein sieben Wochen alter Fötus in einer Fruchtblase. © dpa-Zentralbild

Liebe Dominique,

danke für Deinen Beitrag, traurig, die Geschichte Deines Onkels und auch Deiner Großmutter. Ich finde, wir sollten an dem Thema Ostrente/Westrente dranbleiben. Das betrifft einfach zu viele Menschen in unserem Land, und die müssen wissen, was auf sie zukommt.

Es ist immer wieder interessant, über was ich so stolpere, wenn ich für unseren Blog recherchiere. Letzte Woche beispielsweise war ich auf einem Workshop des Vereins Pro Quote Medien, da sind wir beide dabei, denn wir beide wollen, dass auch in den Medien endlich mehr Frauen an die Spitze kommen. Bei den Regionalzeitungen beispielsweise sind von 108 Chefredakteursstellen nur 8 (acht!) weiblich besetzt. Ein Witz - wir schreiben das Jahr 2019!

Und auf diesem Workshop kamen natürlich auch KollegInnen mit ostdeutscher Biografie zu Wort und es ging noch mal generell um die Rolle der Frau - in der DDR und in der BRD. Was hatte wer wo erreicht, wer war wo wie weiter in den Fragen der Gleichberechtigung. Nun haben Frauenquote und Abtreibungsrecht wirklich gar nichts miteinander zu tun. Aber es ging um ostdeutsche Lebensläufe, ihre Brüche und ihre Kontinuitäten - und dazu gehörte für diese Frauen auch der ganze Bereich Schwangerschaftsabbruch und die gesetzlichen Regelungen dazu.

Seit Kurzem streiten wir ja wieder intensiv darüber, konkret um das sogenannte "Werbeverbot" für Schwangerschaftsabbrüche, den Paragrafen 219a. In der DDR war der Schwangerschaftsabbruch seit 1972 innerhalb der ersten 12 Wochen legal. Mit der Wiedervereinigung wurde das ostdeutsche Recht, nun ja, ich vereinfache das hier mal, mehr oder weniger abgeschafft, fortan galt eine viel strengere, dem westdeutschen Recht angepasste Regelung.

Das Abtreibungsrecht ist ein schwieriges Thema. Zu Recht gibt es darüber Streit. Was ich völlig unabhängig davon aber mal wieder erschreckend finde: Mit welcher Radikalität auch hier den DDR-Bürgern in der Zeit nach der Wiedervereinigung die eigene Geschichte, die eigene Auseinandersetzung mit politischen Rechtsfragen, mit Traditionen und eingeübten gesellschaftlichen Normen genommen wurde. 

Wäre ich in der DDR geboren, hätte mich das stinkwütend gemacht. Ich glaube aber auch: Ich hätte mich als DDR-Frau stärker eingebracht in die Diskussion. Wo waren die starken ostdeutschen Stimmen, als es um die Gesetzesänderungen ging? Wenn ich einen Namen aus dieser Zeit erinnere, dann ist es immer wieder Alice Schwarzer. Finde ich schade. Die Schriftstellerin Jana Hensel hat das Thema vor einigen Monaten auch aufgegriffen. Ihr Fazit: "Fortan galt die bundesrepublikanische Realität, völlig egal, aus welchen Gründen sich die DDR zu einem anderen Weg entschlossen hatte."

Mh... Ja, das von mir heute, liebe Dominique. Ich lerne viel, seit wir uns schreiben.

Freu mich auf deine Antwort und wünsche Dir jetzt erst mal einen guten 1. Advent.

Kleines PS: Jana Hensel haben wir für unser Dezemberheft interviewt.

Deine Dorothea


20. November - Würde mein Onkel ohne den eisernen Vorhang noch leben?

© Jan Huebner

Liebe Dorothea,

ich gebe zu, ich habe noch nicht allzu viel über meine Rente nachgedacht, das Thema ist für mich einfach noch zu weit weg. Nur ab und zu frage ich mich, wenn ich mal wieder eine Renteninformation zugesendet bekomme, ob ich später tatsächlich einmal von dem Betrag werde leben können – wenn immerhin noch Steuern und Versicherungen abgehen werden.

Da hat es deine Generation doch noch deutlich besser, die ja gerne noch früher in Rente gehen möchte, was, wie du schreibst, angeblich ein Trend ist. Und die derzeitige Politik scheint sich in der Frage auch nicht viel um meine Generation zu scheren, die irgendwann vielleicht sogar einmal ganz ohne Rente dastehen wird, weil der Generationenvertrag dann einfach nicht mehr funktioniert.

Kannst du verstehen, dass ich den Gedanken noch gerne von mir schiebe?

Aber in unserem Blog geht es ja nicht um Alt und Jung, sondern eigentlich um Ost und West. Also zurück zum Thema. Im Osten wird ja viel weniger geerbt als im Westen, auch deutlich seltener Immobilien. Ich persönlich kenne niemanden, der schon einmal etwas geerbt hat (was natürlich auch eine Altersfrage ist), aber auch niemanden, der einmal auf ein großes Erbe zu hoffen braucht und das schließt mich selbst ein.

Und obwohl ich es Menschen gönne, von ihren Verwandten etwas vermacht zu bekommen, sehe ich doch auch die Ungerechtigkeit, wenn so große Vermögenswerte vererbt und gleichzeitig kaum Steuern darauf fällig werden. Das bekräftigt soziale Ungerechtigkeitein, auch zwischen Ost und West.

Jetzt bin ich schon ans Lebensende gesprungen, dabei ging es dir doch erst mal um Ost- und Westrente. Du schreibst von schlimmen Lebenssituationen vieler Rentner in den neuen Bundesländern auf der einen, „lückenlosen Erwerbsbiografien“ auf der anderen Seite. Meine Oma gehört wahrscheinlich eher zur ersten Kategorie, denn obwohl sie seit ihrem 14 Lebensjahr gearbeitet hat – ihre Eltern waren leider der Meinung, dass man als Mädchen keine Ausbildung braucht, weshalb nur ihr Bruder eine Lehre machen durfte – hat sie nicht gerade eine lückenlose Erwerbsbiografie.

Ihr Sohn erkrankte sehr früh sehr schwer, und um ihn zu pflegen, blieb sie jahrelang zu Hause, eine Zeit, die ihr nicht angerechnet wurde. Heute bekommt sie gerade mal die Mindestrente oder nur wenig mehr, ich muss noch einmal nachfragen. Vielleicht – oder sogar wahrscheinlich – wäre das anders, wenn sie in einem westdeutschen Bundesland gelebt hätte.

Und vielleicht würde sogar ihr Sohn, mein Onkel, noch leben, der bis zu seinem viel zu frühen Tod mit Ende 20 falsch behandelt wurde, weil die Ärzte eine falsche Diagnose gestellt hatten. Ohne den eisernen Vorhang nur wenige Kilometer von meinem Heimatort entfernt, hätte man ins Nachbarland fahren und sich zumindest eine zweite Meinung einholen können.

Wenn dieser Blog etwas düster ausfällt, dann vielleicht ja, weil Buß- und Bettag ist – und wir in Sachsen heute besonders viel Zeit zum Nachdenken über solche Dinge haben, wo wir doch das einzige Bundesland sind, in dem heute noch ein gesetzlicher Feiertag ist. Super Sache, die aber einen Haken hat: Bei der Pflegeversicherung bezahlen wir deshalb mehr. Irgendwas ist eben immer.

Einen schönen Buß- und Bettag wünscht dir

Dominique