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Osterreiten in Familie

1.600 Männer starten am Sonntag in der Lausitz zu Osterprozessionen – oft sitzen Väter, Söhne und Onkel im Sattel.

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© M. Rietschel

Von Irmela Hennig

Einen Platz im Stall hat sich Jakub Ledschbor schon besorgt. Beim Nachbarn wird das Pferd am Sonnabend unterkommen, auf dem der 15-Jährige einen Morgen später zu seinem zweiten Osterritt aufbricht. Bei diesem Nachbarn, einer der wenigen hier, der noch selbst Pferde besitzt, hat Jakub auch ein bisschen Reiten gelernt. Schließlich ist es kein Spaziergang, einen echten Vierbeiner in einem Prozessionszug kilometerweit durch die Gegend und dann noch durch einen Ort samt Menschenmenge zu bewegen. Von Ralbitz geht es nach Wittichenau. Drei Stunden dauert eine Wegstrecke.

Wie sein Pferd heißt, weiß der Schüler Jakub noch nicht. Aus Wittenberg wird es kommen. Geliehene Pferde sind längst selbstverständlich in den Osterreiter- und Kreuzreiterprozessionen der katholischen Sorben in der Oberlausitz. „Seit die Landwirtschaft zu DDR-Zeiten kollektiviert wurde, hatten immer weniger Familien eigene Tiere“, erzählt Stanislaus Statnik, der Leiter oder Kantor der Ralbitzer Prozession. Manche fürchteten schon um den jahrhundertelang gelebten und gepflegten Brauch. Aber mit den Leih-Tieren konnte er erhalten bleiben. 302 Jungen und Männer werden sich am Sonntagmorgen an der Ralbitzer Kirche treffen. Von dort werden sie ausgesandt, um einige Orte weiter nördlich, in Wittichenau, die Botschaft von der Auferstehung zu verkündigen. Vor allem mit sorbischen Liedern.

Auch dafür haben sie geübt in Ralbitz. Nur Jakub Ledschbor musste passen, er war heiser. Doch inzwischen ist die Stimme wieder fit, und der junge Mann freut sich auf seine zweite Prozession. Eine Ehre sei es, da mitzumachen. „Und es ist schön, so etwas mit dem eigenen Vater zu erleben“, sagt der Sorbe. Sein Vater Rafael ist ebenfalls Osterreiter. Genauso wie ein Onkel, ein Cousin wird wohl ab nächstem Jahr dabei sein. Und wenn er einmal Kinder hat, wünscht sich Jakub, dann auch mit ihnen in der Prozession unterwegs zu sein.

Osterreiten ist eben auch ein bisschen Familiensache. Selbst die Frauen, obwohl sie nicht aufs Pferd dürfen, sind eingespannt. Sie verpflegen die Prozessionen. In Ralbitz beispielsweise kochen und backen sie für über 450 Reiter, die von Wittichenau aus in den kleinen Ort starten. Eine logistische Herausforderung sei es, für alle Reiter samt Helfer und Pferde Platz zu finden, weiß Stanislaus Statnik. Zum 35. Mal ist der Bauplaner nun als Osterreiter dabei. Es wird sein 28. Jahr als Kantor.

Ursprünglich ging es in diesem Ehrenamt wirklich vor allem ums Singen – ums Anstimmen der gemeinsamen Lieder. Stanislaus Statnik ist mit seiner Bass-Stimme dafür genau der Richtige, fand einst sein Vorgänger als Prozessionsleiter. Doch inzwischen geht die Arbeit weit über die Musik hinaus. Es ist viel zu organisieren – Stall- und Stellplätze zum Beispiel. Letztere auch für die vielen Gäste, die alljährlich zu Ostern in die Oberlausitz kommen. Besonders der Osterreiter wegen. Doch zum touristischen Spektakel soll der Sonntag nicht werden. Das ist den Sorben wichtig. „Es ist eine kirchliche Veranstaltung“, betont Stanislaus Statnik. Respektvolles Verhalten gebiete sich da einfach. Mal davon abgesehen, dass Pferde eben lebendige Tiere sind, bei denen man letztendlich nie genau abschätzen kann, wie sie auf Menschenmassen, Lärm oder plötzliches Anfassen reagieren.

Trotz aller Herausforderung – Jakub Ledschbor und Stanislaus Statnik freuen sich auf den Sonntag. Ostern wegfahren, die Tage nicht in der Heimat zu verbringen, das ist für die beiden nicht vorstellbar. Es ist eher eine Zeit, in der viele ehemalige Oberlausitzer wieder für ein Wochenende nach Hause kommen. So manche verbindet gerade das Osterreiten mit der Region, und sie machen mit. Ziehen den Gehrock an, setzen den Zylinder auf, steigen in die schwarzen Stiefel. Schmücken ihre Pferde mit den handbestickten Schweifschleifen. Um die 1.600 Reiter werden es sein. Tendenz leicht abnehmend, sagt Stanislaus Statnik. „Der demografische Wandel...“ Doch bang um die Zukunft ist ihm nicht.