Eine vorteilhafte Partnerschaft

Von Andreas Morgenstern*
In Geising gibt es in diesem Jahr etwas besonders zu feiern. Vor genau 30 Jahren wurde eine Städtepartnerschaft ins Leben gerufen, die bis heute gehalten hat - die mit Schiltach im Schwarzwald. Andreas Morgenstern, der in Schiltach das städtische Museum leitet, hat diese Geschichte dokumentiert. Sie beginnt mit der Maueröffnung im Herbst 1989 und der sich anbahnenden Wiedervereinigung.
Der damalige Baden-Württemberger Ministerpräsident Lother Späth (CDU) engagiert sich früh als Aufbauhelfer für die neu entstandenen Bundesländer im Osten. Bereits im Januar 1990 erschuf er die "Gemischte Kommission für die Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg mit Sachsen". Was nach einem Wortungetüm klingt, ist nach der Erinnerung des späteren sächsischen Justizminister Steffen Heitmann das früheste Abkommen, in dem das alte Sachsen wiederauftaucht.
Dem Aufruf Späths nach Kooperationen folgt 1990 auch die Stadt Schiltach im Kreis Rottweil. Partner des Kreises Rottweiler war der damalige Kreis Dippoldiswalde. Dort werden die Schiltacher bei der Partnersuche rasch fündig. Von der idyllisch gelegenen, traditionell vom Fremdenverkehr mitgeprägten Stadt Geising sind die Schwarzwälder sofort angetan. Schiltachs damaliger Bürgermeister Peter Rottenburger und der frisch gewählte Geisinger Bürgermeister Reiner Fischer knüpfen erste Kontakte.
Geising punktet mit Herzlichkeit
Zurück im Schwarzwald stellt Rottenburger in einem Dia-Vortrag Geising vor und schwärmte von der herzlichen Aufnahme. Nicht nur die Gemeinden, sondern auch ihre Verantwortlichen können miteinander, erklärt er. Und er berichtet von den Sorgen und Wünschen. So sendet Schiltach 1990 neben einer Telefonzentrale auch eine elektrische Schreibmaschine und einen Kopierer nach Sachsen.
Die erste Phase der Partnerschaft ist durch einen Wissenstransfer von West nach Ost geprägt. Die erfahrenen Verwaltungsexperten Rottenburger und Stadtkämmerer Gerhard Daniels reisen regelmäßig nach Geising und unterstützen die dortige Verwaltung. Hierzu gehört nicht allein technische Unterstützung, sondern auch Schulungen im Verwaltungsrecht. Denn in der DDR durften die Gemeinden nur Vorgaben umsetzen, nun gilt die kommunale Selbstverwaltung. Städte und Gemeinden müssen auch hier eigene Rahmenbedingungen schaffen – und das im noch fremden bundesdeutschen Recht und mitten in einem großen wirtschaftlichen Umbruch. Geising kämpft Anfang der 1990er-Jahre unter anderem mit der Neustrukturierung des Tourismus. Schlagzeilen machen die Querelen um die Verpachtung des Ratskellers.
Die Partnerschaft mit Schiltach zahlt sich für Geising aus. Es zeigen sich erste Erfolge: 1991 wird Geising ins sächsische Städtebauprogramm aufgenommen – Schiltach hat mit seiner Altstadtsanierung in derlei Beantragung reiche Erfahrung. Letztlich erstrahlen heute beide Gemeinden in alter, neuer Schönheit.
1991 nehmen die gegenseitige Besuche zu. Die Geisinger erkunden den Schwarzwald, manch Schiltacher nutzt seine Urlaubstage, um das Erzgebirge kennen zu lernen.
Kontakte knüpfen auch die Vereine und die Feuerwehren. Es gibt einen Techniktransfer nach Sachsen. Die Erzgebirgler bekommen 1993 einen Mannschaftstransportwagen und 1995 ein Löschgruppenfahrzeug. Auch Gesangsvereine und Faschings- beziehungsweise Fasnetsvereine kommen zusammen und knüpfen Kontakte. Geising entwickelt sich positiv. 1997 öffnet der Wildpark Osterzgebirge, im neu erbauten Gründelstadion findet 2000 die Junioren-Weltmeisterschaft im Curling satt.
2002 dann der schwere Rückschlag: das Hochwasser trifft die Kleinstadt im Osterzgebirge schwer. Reißende Wassermassen der Bäche hinterlassen einen Schaden von 22 Millionen Euro – eine Katastrophe, auch, weil nach den Aufbaujahren Reserven knapp sind. Die Schiltacher, 1990 selbst von einem Kinzig-Hochwasser getroffen, bieten Hilfe an. Ihre Lokalzeitung schiebt eine Spendenaktion an. Es kommen 270.000 Euro zusammen, auch aus zahlreichen anderen Schwarzwälder Städten.
Dank für Hilfe aus Schiltach
Zwei Beispiele: Die Schiltacher Feuerwehr bricht einen Bahnschuppen ab, die gesparten Kosten gehen ebenso wie die Erträge einer Oldie-Nacht in Oberkirch in den Wiederaufbau nach Geising. Sachspenden und die Angebote kostenfreier Urlaubswochen im Schwarzwald kommen dazu. Ein sichtlich ergriffener Geisinger Bürgermeister Frank Gössel möchte bei seinem Besuch im Herbst 2002 am liebsten jedem einzelnen Spender danken. Erneut hat sich die Partnerschaft bewährt.
30 Jahre sind seit dem Abschluss der Städtepartnerschaft vergangen. Schaut man auf eine Liste von einstigen Kontakten zwischen sächsischen und baden-württembergischen Gemeinden, sind inzwischen viele Partnerschaften eingeschlafen. Doch zwischen Geising und Schiltach haben sich verschiedene private Kontakte herausgebildet – aus der Aufbauhilfe wurde ein Miteinander.
Geisings heutiger Ortsvorsteher Silvio Nitschke betont so auch nach der Eingemeindung nach Altenberg und verschiedenen personellen Wechseln den Wert der Partnerschaft, welche man gern „fortführen und wieder etwas aufleben lassen“ möchte. Schiltachs Bürgermeister Thomas Haas sagt: „Die einstigen Akteure der Städtepartnerschaft sind zwischenzeitlich im Ruhestand. Es gibt nach wie vor Kontakte auf der persönlichen Ebene. Wir hatten eine Einladung nach Geising zum Stadtfest 2020 gesandt, das jetzt leider ausfallen muss. Vielleicht gibt sich nächstes Jahr hier ein Anknüpfungspunkt.“
*Der Autor leitet die Museen und das Archiv der Stadt Schiltach.