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Paten für traumatisierte Flüchtlinge

Um Asylbewerbern bei der Bewältigung ihrer Kriegserfahrungen zu helfen, haben Dresdner Studenten ein Projekt gestartet.

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© Christian Juppe

Von Julia Vollmer

Dresden. Nachts um vier panisch aus einem Albtraum erwachen, minutenlanges Apathisch-in-die-Luft-Starren bis hin zur Angst vor Menschen – das alles können Symptome für eine posttraumatische Belastungsstörung sein. Die Anzeichen treten teilweise erst Monate nach einem schlimmen Erlebnis auf. Gewalt, Naturkatastrophen und Krieg. Dieses haben die Patienten von Jasmin Colic, Dominik Mus, Constantin Kleiner und Tobias Vogel erlebt. All ihre Klienten sind geflohen vor den Kriegen in Syrien und Afghanistan, vor den Verfolgungen im Irak und in Eritrea.

Jasmin Colic, selbst als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg in Bosnien-Herzegowina geflüchtet, weiß wovon er spricht und was die Flüchtlinge durchgemacht haben. Er hat Psychologie studiert. So kam dem 28-Jährigen die Idee, sein Studium mit der Hilfe für die Geflüchteten zu verbinden. Es entstand das Projekt (P)sei-Pate. Das Modell: Ein Psychologie-Student betreut einen Flüchtling. Eins zu Eins. Und kostenlos. Eine teure medizinische Versorgung können sich die Asylbewerber nicht leisten. „Es gibt einen Ansturm von traumatisierten Flüchtlingen. Das merken wir auch hier in Dresden“, so der Gründer Jasmin Colic. Er sucht noch dringend Paten, die mitmachen wollen. Denn der Bedarf ist groß. Mindestens einen Bachelor-Abschluss in Psychologie müssen die künftigen Paten haben.

Einen großen Bedarf bestätigt auch Kai Kranich, Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Seine Organisation betreut aktuell rund 240 Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Hamburger Straße. Die Frage, wie viele davon psychische Probleme nach der Flucht vor dem Krieg haben, lasse sich in der Phase der Erstaufnahme nicht so leicht beantworten. Die meisten Asylbewerber würden nur nach einer Auffälligkeit psychologisch betreut. Das DRK führt keine Statistik dazu.

„Aus unserer Erfahrung und Gesprächen resultiert jedoch die subjektive Einschätzung, dass sehr viele Flüchtlinge Traumata mit sich tragen aufgrund von Fluchterlebnissen, Fremde und Heimweh“, so DRK-Sprecher Kai Kranich. Bundesweit scheinen sich die Experteneinschätzungen zur Anzahl der traumatisierten Flüchtlinge bei rund 40 bis 50 Prozent einzupegeln, sagt der Sprecher. Dem könne sich das Rote Kreuz anschließen. Auch das deutsche Ärzteblatt kommt in seiner Februarausgabe auf die Zahl von rund 40 Prozent. Diese Zeitung schreibt auch noch eine andere Zahl, die die Initiatoren von (P)sei-Pate aufhorchen lässt: nur etwa fünf Prozent der Flüchtlinge mit einer psychischen Störung sind in Deutschland in Behandlung oder Beratung. Im Jahr 2015 wurden demnach in den 32 psychosozialen Zentren für Folteropfer mehr als 14 000 Menschen behandelt oder beraten, etwa 5 400 wurden an andere Stellen weitervermittelt.

Das große Problem ist, einen Termin bei einem Psychologen zu bekommen, beobachtet das Rote Kreuz. „Man kann grundsätzlich von langen Wartezeiten ausgehen. Dies betrifft allerdings nicht nur spezialisierte Traumatherapeuten, sondern grundsätzlich psychotherapeutische Leistungen.“ Bei Flüchtlingen werde die Lage durch zwei Punkte noch erschwert. Zum einen sei nicht jeder Therapeut fachlich geeignet, zum anderen müsse meistens ein Dolmetscher dazukommen. Diese sind aber schwer zu finden. Die Kosten für die Arztbehandlungen für Asylbewerber aus den Erstaufnahmeeinrichtungen werden von der Landesdirektion Sachsen getragen. Leben Flüchtlinge in Einrichtungen der Stadt, werden die Arztkosten von der Kommune getragen. Anerkannte Flüchtlinge haben Anspruch auf Hartz IV und sind damit gesetzlich krankenversichert.

Jasmin Colic und seine Kollegen betreuen die Flüchtlinge kostenlos. Spendengelder haben sie dafür unter anderem von dem Projekt Round Table bekommen. Aktuell betreuen sie 18 Flüchtlinge mit 18 Paten, die Warteliste ist lang. „Wichtig ist uns der persönliche und langfristige Kontakt“ so Colic. Erst dann öffnen sich die Patienten, erzählen von ihren Erlebnissen und Bedürfnissen und davon, was sie sich zum Ankommen wünschen. „Freunde und soziale Kontakte“. Das sei das Wichtigste. Daher helfen die Paten auch bei der Suche nach einem Fußball- oder Volleyballverein, nach einer Spielgruppe für Mamas und Kinder oder einem Yoga-Kurs.