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Patricks Traum vom Schuhe verkaufen

Der 23-Jährige ist körperbehindert und leidet am Asperger-Syndrom. Sein größter Wunsch: arbeiten dürfen.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Es ist früh das Erste und abends das Letzte, woran Patrick denken kann: Schuhe. Sportschuhe, genauer gesagt. Etwa 80 Paar hat er in seinem Schrank stehen. Von jedem einzelnen Schuh weiß der 23-Jährige, in welchem Jahr er auf den Markt gekommen ist und wie die Sohle den Schritt dämpft. So viel Fachwissen würde man sich von so manchem Sportwarenverkäufer wünschen. Patrick würde auch gern einer sein. Aber er darf nicht. Stattdessen sitzt er den ganzen Tag zu Hause und wartet, dass ihn eine neue Woge der Hoffnung zu neuen Bewerbungen motiviert.

15 Sportläden gibt es in Dresden. Bei allen hat er sich mehrfach beworben. „Meistens bekomme ich aber nicht einmal eine Antwort“, sagt er. „Die sehen ‚Körperbehindertenschule‘ und damit ist die Sache für die erledigt. Dabei müsste man doch einen Menschen erst einmal sehen und mit ihm sprechen, bevor man sein Urteil fällt.“ Wenn doch mal eine Absage kommt, dann meist mit der Begründung, dass gerade leider niemand gesucht werde. „Wenig später sehe ich dann im Internet meistens die Stellenanzeigen.“

Bei seiner Geburt litt Patrick Lenke an einer schweren Lungenentzündung. Er musste 13 Tage künstlich beamtet werden, wurde mehrfach operiert und blieb ein halbes Jahr im Krankenhaus. Seine Lunge ist seitdem schwer beschädigt, er gilt als zu 90 Prozent behindert, trägt eine starke Brille und leidet an einer schief gewachsenen Wirbelsäule. Außerdem wurde bei ihm das Asperger-Syndrom festgestellt, eine Art Autismus. An einer Körperbehindertenschule lernte er Bürokaufmann, bevor er sein Faible für Sneaker entdeckte.

„Eigenständig und gewissenhaft“

Zweimal durfte Patrick für jeweils drei Monate in der Schuhabteilung von Karstadt Sports in der Centrum Galerie arbeiten. Das erste Mal galt das als Praktikum, das zweite Mal zahlte die Arbeitsagentur. Während dieser Monate verkaufte Patrick – natürlich – Sportschuhe. „Das war genau das Richtige für mich. Ich wollte und will nichts anderes machen“, sagt er. Auch die Kunden sollen äußerst zufrieden gewesen sein und seine Expertise geschätzt haben. Nichts anderes lässt auch die Beurteilung vermuten, die ihm am Ende geschrieben wurde. Seine Arbeit sei „sehr eigenständig, gewissenhaft, kundenorientiert und von überdurchschnittlicher Qualität“ gewesen, ist da zu lesen. Außerdem verfüge er über „umfassende Fach- und Produktkenntnisse“. Eine Weiterbeschäftigung war dennoch nicht möglich, weil es schlicht kein Geld für seine Stelle gegeben habe. Der Sächsischen Zeitung will der Filialleiter keine Auskünfte geben.

„Für Patrick ist damit eine Welt zusammengebrochen“, sagt seine Mutter Kerstin Hennig-Lenke. „Er fühlt sich nicht mehr gebraucht, wird zu Hause verrückt und hat schwere psychische Probleme bekommen.“ Inzwischen sei ihr Sohn deswegen auch in psychologischer Behandlung.

Wer Patrick trifft, merkt ihm seine Behinderung nicht an. Er wirkt wie ein ganz normaler junger Mann – und genau das ist er auch. Er geht Klettern, ins Fitnessstudio, spielt Squash und Fußball. Nur Marathons sind verständlicherweise nicht so seins. Ansonsten zählen für ihn nur seine Schuhe. Es ist typisch für Menschen mit dem Asperger-Syndrom, dass sie solche ganz speziellen Interessen entwickeln. Jeden neuen Sportschuh nimmt Patrick begeistert unter die Lupe und merkt sich jedes Detail. Er saugt jeden Newsletter auf und hat einen eigenen Blog namens „sneaker-pad“. Dort schreibt er Dinge wie: „Mein Highlight dieses Jahr war definitiv der Asics Kayano aus dem Chameloid Pack. Weil es farblich mit dem Wechsel je nach Blickwinkel einfach der Hammer ist.“

Fährt die Familie in den Urlaub, werden die Reiseziele auch danach ausgesucht, ob es dort Outlets gibt, in denen Patrick seiner einzigen Leidenschaft frönen kann. Vergangenes Jahr schenkten ihm seine Großeltern eine Jugendreise nach New York, wo ihn der größte Adidas-Laden der Welt in Staunen versetzte. „Das war für mich ein Traum“, sagt er. Doch zurück zu Hause, war der Traum wieder weit weg.

Unerträgliches Warten

Seit einem Jahr bekommt Patricks Familie für ihn kein Geld mehr vom Staat. Kein Kindergeld mehr, aber auch noch kein Hartz IV, bis er 25 ist. „Er ist auch nicht mehr bei der Krankenkasse familienversichert“, klagt Mutter Kerstin. Sie selbst arbeitet als Kindermädchen auf 400-Euro-Basis, habe jetzt zwei zusätzliche Putzjobs angenommen, um die finanzielle Lücke zu füllen. Vom getrennt lebenden Vater bekommt sie keine Alimente. Doch das Geld ist nur das eine, die Zukunft ihres Sohnes das andere. Kerstin Hennig-Lenke will nichts unversucht lassen, kämpft weiter und schrieb sogar schon Briefe an Tillich und Merkel.

Vom Jobcenter fühlt sich die Familie alleingelassen, vor allem, weil es Patrick keine eigene Wohnung finanzieren will. „Dabei braucht ein autistischer Mensch eine Wohnung für sich allein“, sagt seine Mutter. Patrick ertrage es nicht einmal, vor der Badtür zu warten, wenn besetzt ist. Zweimal suchte die Familie für ihn eine kleine Bleibe. Doch zweimal kam die schriftliche Ablehnung vom Jobcenter: „Ein Umzug ist aus Sicht des Leistungsträgers nicht notwendig.“

Mithilfe einer Anwältin will die Familie nun klagen. „Es ist ein Verzweiflungsschritt“, sagt Kerstin Hennig-Lenke .

Im vergangenen Sommer war Patrick zum letzten Mal im Jobcenter. „Die konnten dort nichts mehr für mich machen“, sagt er. Die ständigen Termine hätten ihn nur noch weiter runtergezogen. „Er wäre doch schon zufrieden, wenn er ein paar Stunden in der Woche arbeiten könnte“, sagt seine Mutter beinahe flehend und schaut ihren Sohn an. Sie würde ihm so gerne helfen. Ihm, der doch nur Schuhe verkaufen möchte.