Merken

Auferstanden aus Ruinen

Pirnas Innenstadt hat sich gewandelt - vom Verfall zum Schmuckstück, trotz mehrerer Naturkatastrophen. Ein Beitrag zum Jubiläum 75 Jahre SZ.

Von Thomas Möckel
 9 Min.
Teilen
Folgen
Canaletto-Blick auf den Pirnaer Markt: Die historische Bausubstanz konnte weitgehend erhalten werden.
Canaletto-Blick auf den Pirnaer Markt: Die historische Bausubstanz konnte weitgehend erhalten werden. © Daniel Förster

Als der venezianische Vedutenmaler Canaletto 1754 seine berühmte Ansicht vom Pirnaer Markt malte, ließ er seinen Blick aus dem Haus mit dem heute nach ihm benannten Café über Rathaus und Schlossstraße bis hin zum Schloss Sonnenstein schweifen.

Dass sich diese Ansicht auch noch über ein Vierteljahrtausend später weitgehend originalgetreu betrachten lässt, ist mehreren Umständen zu verdanken.

Zum einen blieb die historische Altstadt im Zweiten Weltkrieg von größeren Schäden verschont, die DDR zerfiel gerade noch rechtzeitig, hinzu kam ein enormer Aufbauwille, flankiert von einer gewaltigen Geldsumme.

Wir unternehmen eine Zeitreise - zurück in die vergangenen 75 Jahre. Seit 1946 hat sich Pirnas Innenstadt gravierend gewandelt - vom einstigen Verfall zu einem Schmuckstück.

1946 bis 1971

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand in Pirna zunächst eine wichtige Aufgabe im Vordergrund: der Wiederaufbau der zerstörten Häuser und Bauwerke.

Der Krieg hatte in Pirna buchstäblich bis zur letzten Minute gedauert. Noch am 8. Mai 1945 gab es Tote und Verletzte. Als sowjetische Aufklärer die Stadt überflogen, wurden sie vom Sonnenstein aus beschossen. Daraufhin folgten mehrere Bombenabwürfe, sie trafen unter anderem Schillerschule, Tanne und Postamt.

Den weitaus schwersten Angriff erlebte Pirna allerdings einige Wochen zuvor. Am 19. April 1945 klinkten amerikanische Bomber 337 Tonnen Bomben über der Stadt aus, sie schlugen unter anderem im Bahnhof, auf der Stadtbrücke, an der Klosterstraße, an der Brückenstraße und in Copitz ein.

251 Menschen - das ist bislang historisch belegt - verloren dabei ihr Leben, 456 Wohnungen wurden zerstört, weitere 304 waren nicht mehr bewohnbar. Einige Lücken zeugen heute noch davon, so wurden beispielsweise die Häuser im Park an der Brückenstraße und einige Gebäude an der Klosterstraße nicht wieder aufgebaut.

Stadtbrücke hat Vorrang

Beim folgenden Wiederaufbau hatte eines absoluten Vorrang: die Stadtbrücke, die durch Bombentreffer unpassierbar war. Zunächst gab es eine provisorische Holzbrücke in Höhe des heutigen Fähranlegers. Doch die richtige Brücke konnte innerhalb kurzer Zeit immerhin so instandgesetzt werden, dass ab 19. September 1945 wieder Züge darüber rollen konnten. Die komplette Rekonstruktion zog sich aber bis 1948 hin, Restarbeiten sogar bis 1950.

In dieser Zeit wurde auch die andere zerstörte Bausubstanz gesichert und repariert, ab 1948 konnte das städtische Bauamt den Wiederaufbau planmäßig vorbereiten und mit dem Wohnungsneubau beginnen. Das erste Haus unter dieser Direktive war das Rundhaus in Copitz, das 1953 fertig wurde.

Die Einwohnerzahl wächst

Am 7. Oktober 1949 wurde die DDR gegründet. Mit der von der DDR-Regierung verordneten neuen Verwaltungsstruktur wurde Pirna 1952 Kreisstadt des Kreises Pirna im Bezirk Dresden.

1946 lebten 37.626 Menschen in Pirna, 1950 waren es 38.676. Zuwachs gab es auch durch drei Eingemeindungen: 1950 kamen Cunnersdorf, Mockethal und Zatzschke zu Pirna.

Trotz des Wiederaufbaus blieb ein Areal weitgehend unterbelichtet: die historische Altstadt und die angrenzenden Bereiche. Von Krieg und Bomben weitgehend verschont, verfielen die Gebiete zusehends, vor allem durch Nichtstun. Die DDR-Oberen setzten eher auf neue Plattenbausiedlungen, statt die historische Substanz zu erhalten.

Die Flut überrollt Pirna

Mitten in den Wiederaufbaujahren wurde Pirna von einer Katastrophe heimgesucht, es sollte nicht die letzte dieser Art sein. Am 23. Juli 1957 verursachten heftige Wolkenbrüche schwere Überschwemmungen im Gottleuba- und Seidewitztal. Die Stadt erlebte die größte Überflutung bis dato in der Geschichte, weil sich die zur Elbe fließenden Wassermassen der Gottleuba am Bahndamm stauten und in die Stadt zurückflossen.

Dabei zerbarst auch die Eisenbahnbrücke an der heutigen Dohnaischen Straße. Die Deutsche Reichsbahn errichtete eine Behelfsbrücke aus Stahl, ein Provisorium, was immerhin 54 Jahre halten sollte. Erst 2011 wurde der Stahlkasten durch eine neue Betonbrücke ersetzt.

Fast ein Jahr später, am 5. und 6. Juli 1958, setzte die Gottleuba nach schweren Gewitterregen die Stadt abermals großflächig unter Wasser.

Altstadt wird entvölkert

Die Einwohnerzahl wuchs unterdessen weiter, 1960 waren es 41.111, 1966 dann 44.403 und 1970 schon 47.468 Einwohner.

Das lag auch daran, dass ab 1965 ein Neubaugebiet für 10.000 Menschen auf dem Sonnenstein entstand, fertiggestellt wurde es 1983.

Die Innenstadt verfiel hingegen weiter, viele Bewohner zogen weg, weil die Wohnverhältnisse immer unzumutbarer wurden.

Nach dem Luftangriff vom 19. April 1945: Teile der Innenstadt, wie hier die Landwirtschaftsschule an der Klosterstraße, liegen in Trümmern.
Nach dem Luftangriff vom 19. April 1945: Teile der Innenstadt, wie hier die Landwirtschaftsschule an der Klosterstraße, liegen in Trümmern. © Repro: SZ
Behelfsmäßig hergerichtete Stadtbrücke: Im September 1945 konnten schon wieder Züge darüber rollen.
Behelfsmäßig hergerichtete Stadtbrücke: Im September 1945 konnten schon wieder Züge darüber rollen. © Herbert Oehme
Gottleuba-Hochwasser 1957: Die Wassermassen bahnen sich ihren Weg durch die Dohnaische Straße und zerstören die Eisenbahnbrücke.
Gottleuba-Hochwasser 1957: Die Wassermassen bahnen sich ihren Weg durch die Dohnaische Straße und zerstören die Eisenbahnbrücke. © Archiv: SZ
Pirnaer Marktplatz um 1960: Graue Tristesse überwiegt, viele Wohnungen stehen leer.
Pirnaer Marktplatz um 1960: Graue Tristesse überwiegt, viele Wohnungen stehen leer. © Archiv: SZ
Das Bürgerhaus Schlossstraße 14/Ecke Frohngasse wurde im Februar 1989 abgerissen.
Das Bürgerhaus Schlossstraße 14/Ecke Frohngasse wurde im Februar 1989 abgerissen. © Archiv: SZ
An der Ecke Schlossstraße/Frohngasse gibt es heute eine Baulücke mit einem kleinen Spielplatz.
An der Ecke Schlossstraße/Frohngasse gibt es heute eine Baulücke mit einem kleinen Spielplatz. © Marko Förster
Ziemlich desaströs: So sah das ehemalige Gerberhaus, Lange Straße 22, im August 1994 aus.
Ziemlich desaströs: So sah das ehemalige Gerberhaus, Lange Straße 22, im August 1994 aus. © Jochen Breese
Ziemlich schick: So sieht das Gerberhaus nach der Sanierung (Aufnahme von 2010) aus.
Ziemlich schick: So sieht das Gerberhaus nach der Sanierung (Aufnahme von 2010) aus. © Daniel Spittel
Ruinös: So wie der Gebäudekomplex Am Markt 19/20 sahen nach den Wende viele Häuser in der Pirnaer Altstadt aus. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2009.
Ruinös: So wie der Gebäudekomplex Am Markt 19/20 sahen nach den Wende viele Häuser in der Pirnaer Altstadt aus. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2009. © Daniel Spittel
Gebäudekomplex Am Markt 19/20 mit dem ehemaligen Klub der Bergarbeiter am Pirnaer Markt. Die Aufnahme ist undatiert.
Gebäudekomplex Am Markt 19/20 mit dem ehemaligen Klub der Bergarbeiter am Pirnaer Markt. Die Aufnahme ist undatiert. © Archiv: SZ
So sieht der Gebäudekomplex Am Markt 19/20, hier mit dem Wirtshaus "Marieneck", nach der Sanierung aus.
So sieht der Gebäudekomplex Am Markt 19/20, hier mit dem Wirtshaus "Marieneck", nach der Sanierung aus. © Daniel Schäfer
Das Schloss Sonnenstein wurde von 2010 bis 2011 saniert und ist Sitz des Landratsamtes.
Das Schloss Sonnenstein wurde von 2010 bis 2011 saniert und ist Sitz des Landratsamtes. © Daniel Förster

1971 bis 1996

Die Einwohnerzahlen stiegen weiter, 1971 kamen Liebethal, 1974 dann Krietzschwitz und Obervogelgesang zu Pirna hinzu. 1975 erreichte die Stadt mit 49.611 die höchste Einwohnerzahl, danach ging es bevölkerungstechnisch bis 2014/2015 stetig bergab. 1989 lebten 43.486 Menschen in Pirna.

Während die Plattenbaugebiete - von 1980 bis 1988 kam Copitz-West hinzu - das Wohnen zunehmend an den Stadtrand verlagerte, gammelte die Innenstadt weiter vor sich hin.

Der desolate Zustand zeigte sich sogar an wichtigen Bauwerken, besonders an der Stadtbrücke. Ende der 1980er-Jahre war die Substanz derart beschädigt, dass einige Teilbereiche gesperrt werden mussten, an anderen Stellen hielten Notreparaturen die Brücke notdürftig in Schuss. Die dringend notwendige und längst überfällige Sanierung und Verbreiterung gelang allerdings erst nach der Wiedervereinigung - von 1992 bis 1994 für insgesamt 47 Millionen D-Mark.

Viele Häuser sind unbewohnbar

Der Zustand der Altstadt stand dem der Brücke in nichts nach, er war sogar noch desaströser. Mitte der 1980er-Jahre standen in Pirna 1.700 unsanierte Wohnungen leer, 400 davon in der Altstadt. Vor der Wende lebten in der Altstadt gerade noch knapp 1.000 Menschen - nicht ganz drei Prozent der gesamten Pirnaer Bevölkerung.

Weil die Substanz mancherorts allzu sehr bröckelte, wurden in den 1980er-Jahren mehrere historische Gebäude abgerissen. Dazu zählen unter anderem das Bürgerhaus an der Ecke Schlossstraße/Frongasse, wo sich heute ein Spielplatz befindet. Abgebrochen wurde auch das Kern'sche Haus an der Oberen Burgstraße, das sich heute wiedererrichtet an das Teufelserkerhaus anschließt.

Doch als es zu viel des Guten wurde, formierte sich Widerstand. Als 1989 das Teufelserkerhaus fallen sollte, konnte die Bürgerinitiative "Rettet Pirna" den Abriss verhindern. Aus ihrem Kern ging später der Verein "Kuratorium Altstadt Pirna" hervor, der sich um den Wiederaufbau nach der Wende sehr verdient gemacht hat.

Ein gigantischer Wiederaufbau startet

Die friedliche Revolution in der DDR und die anschließende Wiedervereinigung kamen gerade noch rechtzeitig, um den weiteren Verfall der Innenstadt zu stoppen und die historische Bausubstanz zu retten - mit einem gigantischen Sanierungsprogramm.

Alt- und Innenstadt, jahrelang verlottert und vergammelt, rückten gleich zu Beginn der 1990er-Jahre in den Fokus. In Zukunft, so war der Plan, sollte man dort wieder gut leben können, jenseits aller Tristesse.

1992 beschloss der Stadtrat eine Erhaltungssatzung für die Altstadt und die angrenzenden Bereiche, wenig später wurde das Sanierungsgebiet Altstadt förmlich festgelegt.

Die Bestandsaufnahme, die deutlich machte, was alles zu tun ist, zeichnete ein katastrophales Bild. Von den 671 Haupt- und Nebengebäuden im Sanierungsgebiet Altstadt wiesen 93 Prozent überwiegend sehr erhebliche Baumängel auf. 33,5 Prozent der Gebäude mussten in die schlechteste Zustandskategorie eingestuft werden. 29 Prozent der Häuser standen leer, der Wohnungsleerstand lag bei 40 Prozent. 73 Prozent der Wohnungen wiesen erhebliche bis schwere Bau- und Ausstattungsmängel auf. Beinahe die gesamte Altstadt war im Eimer.

Über 120 Millionen Euro Fördermittel

Doch in den folgenden 30 Jahren sollte sich das Bild gravierend wandeln. Finanziell zu stemmen war dieser Wiederaufbau aber nur mit gewaltigen Zuschüssen. Insgesamt vier Förderprogramme konnte Pirna anzapfen, das längste von ihnen mit dem Titel "Städtebaulicher Denkmalschutz" umfasste einen Bewilligungszeitraum von 1991 bis 2019.

Die Gesamtinvestition im Sanierungsgebiet für geförderte Vorhaben beläuft sich auf rund 248,3 Millionen Euro. Davon wurden insgesamt aus allen vier Städtebauförderprogrammen in dieser Fördergebietskulisse 126,9 Millionen Euro gefördert. Bund und Land beteiligten sich an dieser Summe mit insgesamt 100,47 Millionen Euro, die Stadt mit 26,43 Millionen. 1996 zählte Pirna 38.574 Einwohner.