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Der Eisdieler von Pirna-Süd

Wladimir Wagner mag's familiär in seinem Eiscafé. Außer Eis hat er allerhand Russisches zu bieten. Das kommt nicht von ungefähr.

Von Jörg Stock
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"Die Menschen ein bisschen glücklich machen." Eisdielenchef Wladimir Wagner mit Erdbeereisbecher und Eiskaffee auf dem Weg zu seinen Gästen.
"Die Menschen ein bisschen glücklich machen." Eisdielenchef Wladimir Wagner mit Erdbeereisbecher und Eiskaffee auf dem Weg zu seinen Gästen. © Marko Förster

Er ist nicht der große Eisesser, sagt Frank Martini. Deshalb hat er sich Pelmeni bestellt, jene Teigtaschen mit Hackfleischfüllung, die er vom Urlaub in Polen kennt, „in allen Varianten“. Jetzt probiert er die Variante Pirna-Südvorstadt. Und die enttäuscht ihn nicht: „Ganz große Klasse!“ Auf den Geschmack gekommen sind auch andere.

Die Schlange am Verkaufstresen wird immer länger. Das findet Herr Martini nur gerecht. „Wer fleißig ist und sich Mühe gibt, der soll auch was verdienen.“

In Pirnas Siedlung, da wo alle Straßen wie Musiker und Maler heißen, ist die jüngste Eisdiele der Stadt zu finden. Vorigen Sommer, zwischen Coronawelle eins und zwei, hat der Neu-Pirnaer Wladimir Wagner sie gegründet. Gemeinsam mit Natascha, seiner Schwägerin bewirtschaftet er das Lokal, den „(H)Eisdieler“, ein Wortspiel, das auf den warmen Teil der Speisekarte verweist. Gemessen an den Umständen ist Wladimir ganz glücklich mit dem ersten Geschäftsjahr. Das zweite könnte noch besser werden, denkt er. „Ich sehe ganz viele neue Gesichter.“

Zum Sonntagskaffee beim "(H)Eisdieler" eingekehrt (v.l.): Margitta Martini, Bernd Morche, Ingrid Morche, Erika Mehner, Horst Richter und Frank Martini.
Zum Sonntagskaffee beim "(H)Eisdieler" eingekehrt (v.l.): Margitta Martini, Bernd Morche, Ingrid Morche, Erika Mehner, Horst Richter und Frank Martini. © Marko Förster

Das Haus in der Joseph-Haydn-Straße, ehemals Kolonialwarenladen und Konsum, ist alteingesessenen Eisfans vertraut. Hier, bei Eis-Schau, gab es schon zu DDR-Zeiten was zu lecken. Nach der Einheit setzte Chefin Brigitte Schau das Geschäft noch einige Jahre fort. Doch irgendwann wurde es der alten Dame zu beschwerlich. Als sie 2019 starb, schien das Thema Eis im Musikerviertel endgültig durch zu sein.

Rund um die Uhr geöffnet: der Eisautomat

Ein Glück, dass Wladimir Wagner, gelernter Koch, sonnenverwöhnt aus seiner alten Heimat Kasachstan, das Schietwetter an der Nordsee derart auf den Wecker ging, dass er nach Sachsen umzog, ans Elbsandsteingebirge. In Pirna fand er das leerstehende Schau-Haus. Bald merkte er, dass er mit dem neuen Zuhause auch die Geschichte eines Eisladens gekauft hatte. „Die Leute kamen sofort an und fragten: Macht ihr wieder Eis?“

Die neue Eismaschine in Aktion. Der Laden bietet abwechselnd etwa zwanzig Geschmacksrichtungen Softeis an. In der Theke ist ein gutes Dutzend Kugeleissorten verfügbar.
Die neue Eismaschine in Aktion. Der Laden bietet abwechselnd etwa zwanzig Geschmacksrichtungen Softeis an. In der Theke ist ein gutes Dutzend Kugeleissorten verfügbar. © Marko Förster

Wladimir macht wieder Eis. Die Kugelsorten holt er bislang von einer Manufaktur in der Gegend, will aber, sobald es geht, selber produzieren. Das Softeis hingegen ist sein eigenes Werk. Jetzt hat er sich eine neue Maschine gekauft, Made in Italy, teuer wie ein Mittelklassewagen. Vor Aufregung flog gleich die Sicherung raus. Die alte Stromleitung war überfordert.

Jetzt ist die Leitung neu und die Eismaschine produziert etwa zwanzig Geschmacksrichtungen im Wechsel. Ein Dutzend davon steckt Wladimir in seinen gleichfalls neuen und gleichfalls aus Italien stammenden Eisautomaten. Den Tiefkühlschrank mit Bezahlfunktion hat er angeschafft, damit die Leute auch montags, wenn der Laden Wochenende macht, und nach Feierabend Eis kaufen können. Das gefällt. Jugendliche machen Selfies mit der coolen Kiste, Polizisten stoppen ihre Streifenwagen, um sich Erfrischungen zu ziehen. Wladimir ist gespannt darauf, wie der Absatz im Winter sein wird, wenn das Eisgeschäft an der Theke größtenteils ruht. „Ich esse im Winter genau so gern Eis wie im Sommer.“

Ladenchef Wladimir Wagner hat auch Waren aus Russland im Angebot, darunter etliche Sorten landestypischen Konfekts Marke "Roter Oktober".
Ladenchef Wladimir Wagner hat auch Waren aus Russland im Angebot, darunter etliche Sorten landestypischen Konfekts Marke "Roter Oktober". © Marko Förster

Wladimir Wagner freut es, dass er den Menschen im Viertel als Eisdieler einen vertrauten Anlaufpunkt zurückgeben kann. Er spürt es in den Gesprächen: Die Leute vermissen die alte Zeit, die Vertrautheit, die Sicherheit, den Zusammenhalt. Ihm geht es ähnlich. Obwohl er die Sowjetunion keineswegs zurückhaben möchte. Doch auch er erinnert sich gern an früher, hört sich gern die alten Geschichten an. Heute steht jeder für sich alleine, sagt er. „Wir sind Einzelkämpfer geworden.“

Blechregal wird zum Schaschlik-Grill

Zur guten alten Zeit gehört für die Leute offenbar auch russisches Essen. Pelmeni und Soljanka sind gefragt, auch russische Torten wie die Tscherepacha, zu Deutsch Schildkröte, oder die nussig-cremigen „Ruinen des Grafen“. Alles, was im Angebot ist, gibt es beim Eisdealer auch privat. Das ist sein Qualitätsversprechen: Er reicht nur das über die Theke, was ihm selber schmeckt. Übrig bleibt praktisch nichts. Und wenn doch, kriegen es die Hühner, die in der alten Voliere von Brigitte Schaus Papageien wohnen. Wladimir hat sich rund zwanzig Stück angeschafft, Grünleger und Braunleger. So hat er immer frische Bio-Eier für seine Kuchen.

Der Eisautomat ist rund um die Uhr geöffnet. Darin warten bis zu einem Dutzend verschiedene Softeismischungen auf Laufkunden.
Der Eisautomat ist rund um die Uhr geöffnet. Darin warten bis zu einem Dutzend verschiedene Softeismischungen auf Laufkunden. © Marko Förster

Russisches gibt es noch viel mehr: Baltica-Bier aus Sankt Petersburg zum Beispiel. Oder – extra auf Kundenwunsch – Konfekt Marke „Roter Oktober“. Oder jene russischen Bagels, die man Suschki nennt. Wladimir brutzelt auch Schaschlik. Aber richtig, die Portion zu 250 Gramm. Dafür hat er sich aus einem blechernen Schwerlastregal einen Spezialgrill gebastelt, den Mangal, breit genug für zwanzig Spieße. Als Beilage kommt Krautsalat dazu und seine rote Soße, ein Geheimrezept. „Das macht Spaß.“

Wladimir Wagner weiß: Reich werden wird er als Eisdealer nicht. Zum Leben soll es ausreichen, das genügt ihm. Und glücklich machen will er die Leute, wenigstens ein bisschen. Und das, so ist sein Gefühl, funktioniert schon ganz gut. „Ich sehe es an den Gesichtern“, sagt er. „Das ist das Tolle daran.“

Der "(H)Eisdieler" in Pirna, Joseph-Haydn-Straße 7, hat täglich außer montags 11-18 Uhr geöffnet. Tel. 0176 70242254