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Der tägliche Pflege-Kampf zweier Pirnaerinnen für ihre Angehörigen

Carola Nacke ist nach 30 Jahren Fachfrau wider Willen. Sie hilft anderen, zu ihrem Recht zu kommen. Zum Beispiel einer Frau, deren Mann plötzlich im Rollstuhl sitzt.

Von Heike Sabel
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Carola Nacke hat Erfahrungen und Wissen in der Pflege. Davon profitieren viele.
Carola Nacke hat Erfahrungen und Wissen in der Pflege. Davon profitieren viele. © Karl-Ludwig Oberthür

Der Alptraum begann vor zwei Jahren. Bis heute zieht er der Pirnaerin den Boden unter den Füßen weg, lebt sie in dieser Blase, von der sie hofft, sie könnte einfach platzen und alles so sein wie vorher. Wenigstens etwas leichter. Seit der mehrfachen Krebs-Operation ihres Mannes hat sie zwei Vollzeit-Jobs. Die Frau, die namentlich nicht genannt werden möchte, führt sein Geschäft weiter und pflegt ihn. Eine Belastung, die über die Grenzen geht. Jeden Tag. In jeder Hinsicht. Psychisch, körperlich, finanziell.

Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war es eine Entlassung in die Ungewissheit. Wohin, was wo beantragen, wer hilft? Fehlanzeige. Dafür wurde der Pflegedienst festgelegt, sagt die Frau. Hilfsmittel von der Krankenkasse? Fehlanzeige. Schwerbehindertenausweis vom Landkreis? Fehlanzeige, obwohl der Mann im Rollstuhl sitzt. Ein Dreivierteljahr quälte sie sich durch eine neue Welt, in der sie verloren zu gehen drohte.

Erst der Opa, dann die Oma, nun der Sohn

Dann lernte sie Carola Nacke kennen. Die 57-jährige Pirnaerin ist im Laufe von 30 Jahren zur Pflege-Fachfrau wider Willen geworden. Sie betreute erst den krebskranken Opa und dann die Oma, schließlich ihren inzwischen 25-jährigen, mehrfach behinderten Sohn mit seltenem Gendefekt und den Folgen eines Sauerstoffmangels bei der Geburt. Bis zu seinem 18. Geburtstag füllte seine Krankengeschichte und die um seine Pflege und Hilfe schon 13 Ordner. In den vergangenen sieben Jahren sind fünf dazugekommen.

Warum die meisten zu Hause gepflegt werden

Carola Nacke leidet selbst an den Folgen eines Unfalls. Was die resolute Frau nicht davon abhält, für andere zu kämpfen - im Landeselternrat, bundesweit gegen die Triage, der Freundin, den Nachbarn. Deren vierjähriges Kind erhielt die Diagnose Autismus und damit wurde die Familie alleingelassen. "Mit der Geburt oder Diagnose beginnt der Kampf", sagt Carola Nacke. Sie weiß, wohin man sich wenden muss, was einem zusteht. Sie ist für viele ein Lichtblick. So war es auch bei der Pirnaerin. Ihr Mann hat Dank des Wissens und Drängens von Carola Nacke nun Pflegegrad drei bekommen. Ein kleiner Schritt. Die richtige Einstufung des Schwerbehindertenausweises mit den notwendigen Merkzeichen - wichtig fürs Parken - ist das nächste Ziel.

Eine von vielen Pflege-Beratungsstellen im Landkreis auf der Gartenstraße in Pirna. Noch mehr muss die Hilfe zu den Menschen kommen statt umgekehrt, wird gefordert.
Eine von vielen Pflege-Beratungsstellen im Landkreis auf der Gartenstraße in Pirna. Noch mehr muss die Hilfe zu den Menschen kommen statt umgekehrt, wird gefordert. © Karl-Ludwig Oberthür

Die meisten Menschen werden nach wie vor zu Hause gepflegt. Das hat verschiedene Gründe. Persönliche, weil es viele wollen. Gesellschaftliche, weil es nicht genug Plätze gibt. Auch nicht bei Tages- und Kurzzeitpflege, die eine wichtige Entlastung für Angehörige und Abwechslung sowie Hilfe für zu Pflegende sind. Finanzielle Gründe, weil die Pflege im Heim für die Angehörigen immer teurer wird. Die zu Hause wird vom Staat nicht annähernd adäquat anerkannt, sagen die beiden Frauen. Hier zu investieren wäre für den Staat immer noch preiswerter, rechnet Carola Nacke vor. "Und es fehlen überall Plätze und Möglichkeiten für zu pflegende Kinder und Jugendliche. Wenn von zu Pflegenden gesprochen wird, denken alle immer nur an die Alten und Kranken."

Von der Pflege in die Armut

Das Geld wird bei einem Pflegefall in der Familie schnell knapp. Die monatlich 125 Euro, die zum Beispiel für Seniorenbegleiter und Pflegedienste verwendet werden können, sollen laut Entwurf des neuen Pflegegesetzes nicht steigen. Das von der Pflegestufe abhängige Pflegegeld soll 2024 erstmals seit 2017 um fünf Prozent erhöht werden. Das Entlastungsbudget, das Betroffenen gut geholfen hätte, wurde im Entwurf des neuen Gesetzes schon wieder gestrichen, sagt Carola Nacke.

"Ich kenne Familien, die monatlich bis zu 400 Euro zuzahlen", sagt sie. Ihre Freundin nickt. Sie war gerade in der Apotheke und hat für ihren Mann 74 Euro bezahlt. Keine Ausnahme und nicht selten. Die gutgeschriebenen Rentenpunkte sind gut gemeint, aber wenn sie so weitermacht, werde sie davon nicht viel haben. "Menschen, die pflegen, werden durch die Mehrfachbelastungen selbst schneller zum Gepflegten", sagen die beiden Frauen.

Entlassungsmanagement verbessern

Carola Nacke kennt die großen Zusammenhänge. Für die Frau mit dem kranken Mann im Rollstuhl sind es die täglichen Erfahrungen, bei denen ihr manchmal die Tränen kommen. Wenn Fahrdienste im Stress wenig freundlich sind, wenn die kleinliche Bürokratie sie überfordert. Neben ihrem Mann pflegt sie auch noch ihren 82 Jahre alten herzkranken Vater. Der wurde mal zitternd wieder aus dem Krankenhaus nach Hause geschickt. "Eine Woche später war er wieder drin, weil es nicht mehr ging."

Die beiden Frauen könnten noch viele solche Erfahrungen erzählen. Manchmal ist es das mangelnde Verständnis, oft sehen sie dahinter das Prinzip, das für sie so einfach nicht funktioniert. Stichwort Entlassungsmanagement in den Kliniken. Das gehört wie die Rentenpunkte zur Kategorie gut gemeint, zu oft schlecht gemacht. Es gibt Beratungsstellen, viele sogar. Doch wer von jetzt auf dann vor so vielen Fragen steht, wünscht sich eine Art Laufzettel in die Hand.

Woche der pflegenden Angehörigen

8. Mai: 15.30 Uhr, Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung, Kuppelhalle Tharandt, Pienner Straße 13,

9. Mai: 10 bis 12 Uhr, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Beantragung von Leistungen, Caritas Beratungsdienste, Dr.-Wilhelm-Külz-Straße 1a, Pirna

11. Mai: 14 Uhr, Tag der pflegenden Angehörigen, Anmeldung über Telefon 0351 40413270 oder E-Mail: [email protected], Diakonie Tagespflege „Schweizer Haus“, Winkelmann Straße 1a, Bannewitz

11. Mai: 14 bis 17 Uhr, Tag der offenen Tür für Pflegebedürftige und Angehörige, Anmeldung unter Telefon 03501 4603700 oder E-Mail [email protected], Diakonie Pirna Tagespflege, Gartenstraße 30, Pirna.

11. Mai, 10 bis 15 Uhr, Angehörigen- und Zugehörigentag, Vorträge zu Demenz, Erste Hilfe für die Seele, Musik in der Begleitung, Erfahrungsaustausch, Zentrum für Begegnung, Beratung und Bildung (ZBBB), Steinplatz 21, Pirna. Das ZBBB lädt regelmäßig zur „Pflegenden-Auszeit“ mit Austausch und Informationen ein. Nächster Termin: 26. Mai, 14 bis 16 Uhr. Anmeldung über Telefon 03501 762072 oder E-Mail [email protected]

Die Woche der pflegenden Angehörigen im Landkreis kann helfen, sagt Carola Nacke. "Doch mit einmal einer Woche ist es nicht getan." Auch nicht mit einer Pflegenetzkoordinatorin im Landkreis. Die koordiniere Einrichtungen, könne aber natürlich nicht überall sein. "Die Hilfe muss zu den Menschen kommen, nicht umgekehrt." Selbst Carola Nacke, die sich auskennt, wusste bis jetzt nichts von den Angeboten des ZBBB für pflegende Angehörige.

Ihre Freundin muss los. Ins Geschäft. Ein bisschen Ablenkung, ein bisschen Geld. Noch steht die Amputation eines Beines ihres Mannes im Raum. Das holt sie immer wieder ein. Neue Probleme. Neue Kämpfe. Wenn es so weit kommt, ist sie diesmal nicht allein. Ein Alptraum bleibt es.