Zweihundert Euro pro geworfenem Stein

Von Friederike Hohmann
Bauarbeiter leben gefährlich. Nicht nur auf der Baustelle selbst. Es gibt offensichtlich auch Bedrohungen, vor denen sie durch den üblichen Arbeitsschutz nicht geschützt sind. Zum Beispiel, wenn sie aus der fünften Etage eines Wohnblocks mit Wasserbomben oder Steinen beworfen werden.
Zwei Arbeitern einer Tiefbaufirma ist das im Oktober 2020 passiert. Sie waren gerade mit Pflasterarbeiten vor einem Wohnblock in Pirna-Copitz beschäftigt, als einer von ihnen bemerkte, dass Steine neben ihm einschlugen. Einige trafen auch den Bagger, in dem sein Kollege saß. Da es ihnen zu gefährlich wurde, suchten sie Deckung und riefen die Polizei.
Hilflos und drangsaliert gefühlt
Der Steinewerfer war der 23-Jährige Anton S.*, der in dem Wohnblock lebt. Das Jahr 2020 sei für ihn kein gutes gewesen, versucht er vor dem Amtsgericht in Pirna zu erklären, wo er sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten muss. Anfang letzten Jahres hätten die Bauarbeiten vor seinem Block begonnen. Zwar hätte er auch endlich sein Abitur gemacht, aber kurz danach sei sein Mitbewohner, mit dem er sich die Wohnung teilte, ausgezogen. Und dann habe ihn auch noch seine Freundin verlassen. Der ständige Lärm durch die monatelangen Arbeiten am Haus hätte eine große Rolle gespielt. Im Juli wurde er zudem wegen des Besitzes von Marihuana zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Anton S. arbeitete im Oktober als Kellner im Spätdienst und wollte am Morgen gerne ausschlafen. Er hätte den Eindruck gehabt, dass die lautesten Arbeiten absichtlich immer in die frühen Morgenstunden gelegt würden. Später am Tag sei es meist viel ruhiger zugegangen. Er habe sich mehrfach bei den Bauarbeitern beschwert und sogar einmal deren Chef angerufen. Hilflos und drangsaliert habe er sich gefühlt.
Die Bauarbeiter, die glücklicherweise von keinem der etwa zwei bis vier Zentimeter großen Steine getroffen wurden, erzählen vor Gericht, dass Anton S. schon einmal eine Wasserbombe hinuntergeworfen hatte. An jenem Morgen, kurz vor acht Uhr, hätte er zunächst wegen des Lärms laut aus dem Fenster gebrüllt und gedroht, gleich herunter zu kommen. Kurz darauf sei er mit einem langen spitzen Gegenstand erschienen und hätte die Bauleute verbal bedroht. Ein Mitarbeiter einer anderen Firma konnte beobachten, wie Anton S. sich Kieselsteine von einem Haufen nahm und in seine Hosentaschen stopfte. Er warnte noch die Bauarbeiter. Nicht lange darauf flogen dann die Steine aus dem fünften Stock.
Verletzungen in Kauf genommen
Ob ihm nicht klar gewesen sei, dass das für die Arbeiter lebensgefährlich war, fragt Richterin Simona Wiedmer den Angeklagten. Der bestreitet, direkt auf die Arbeiter gezielt zu haben. „Lügen Sie sich nicht selber in die Tasche. Sie haben es billigend in Kauf genommen, die Arbeiter zu verletzen“, entgegnet sie ihm.
So sieht es auch der Staatsanwalt. Dass Anton S. nicht auf die Arbeiter gezielt habe, ist für ihn eine Schutzbehauptung. Er hält ihm vor, dass er die Tat in seiner Bewährungszeit begangen hat, würdigt aber sein Bemühen um psychologische Unterstützung. Eigentlich hätte er eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung für Anton S. gefordert, der inzwischen einen neuen Vollzeitjob hat. Ausnahmsweise hält er eine Geldstrafe für noch angemessen.
Mit einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen folgt die Richterin dem Antrag. Insgesamt 2.000 Euro muss Anton S. somit bezahlen. Zehn Steine soll er geworfen haben. Pro Stein werden damit 200 Euro angesetzt. „Das waren teure Steine, die Sie da aus dem Fenster geworfen haben“, sagt die Richterin am Schluss ihrer Urteilsbegründung.
*Name geändert
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