Flut im Müglitztal: Erinnerungen an eine Katastrophe

Das Funkgerät weg, das Handy ersoffen und ihm zog es mitten im Wasser die Beine weg: Damit begann für Lutz Richter das Müglitz-Hochwasser vor 20 Jahren. Es war Dienstag, der 13. August. Schon am Vortag war er vor Ort, als begann, was als Jahrhundert-Flut in die Geschichte eingehen sollte. Gegen 14.30 Uhr war die erste Senke in Mühlbach vollgelaufen, die ersten Mülltonnen kamen angeschwommen und anderthalb Stunden später fuhren die letzten Autos die Kinder aus der Schule nach Hause. Am Abend wurden in der weit oben gelegenen Schule 65 Menschen evakuiert. Am Tag darauf hatte der Regen etwas nachgelassen.
Lutz Richter war damals Wehrleiter von Mühlbach, wo er noch immer lebt. Bei der Feuerwehr hat ihn Martin Richter, weder verwandt noch verschwägert, abgelöst. Lutz Richters Familie ist seit Generationen mit der Feuerwehr verbunden. Sein Großvater war der erste Wehrleiter in Mühlbach.
Richter hat sich jetzt noch einmal mit den Tagen im August 2002 beschäftigt. "Es gab kein Konzept für die Ausstellung, sie soll einfach erinnern", sagt Richter. Grundlage waren viele Fotos, unter anderem von dem schon verstorbenen Kurt Häschel. Richter ist dann auf dem Moped herumgefahren und hat versucht, aktuelle Fotos aus der gleichen Perspektive zu machen.

Wenn er an die Tage im August vor 20 Jahren denkt, staunt und erschrickt er manchmal immer noch. "Die Gefahr hatten wir so nicht für möglich gehalten." Alles schwamm fort, die Öltanks vom Klempner, die Baugeräte, die Straßen. Und was nicht wegschwamm, stand unter Wasser. Wie der Konsum, in dem jetzt die Ausstellung zu sehen ist. Die Brücke in der Mühlbacher Ortsmitte stand noch, nur der Oberbau war weg. Die Mühlbacher schickten einen Traktor drüber, als Test, ganz langsam. Die Brücke hielt.

Am Mittwoch kamen dann die Helfer. Richter stand an der Ecke der Mühlbacher Straße und wies sie ein. Ein Mühlbacher hatte im Real Soldaten sitzen sehen. Er fragt sie was sie machen. Auf einen Einsatz warten. Richter hat sie dann über ihren Chef überredet, nach Mühlbach zu kommen. "Ihre Aufgabe ist Beistand leisten und anpacken", sagte er ihnen. Die ersten zehn Soldaten gingen zu der Frau im Holzhaus direkt am Müglitz-Ufer. Die Soldaten blieben etwa eine Woche, sagt Richter.

Ein Landschaftsbauer aus Hausdorf bot einen Minibagger und einen Multicar an. "Alles her, wir haben nicht viel gefragt und alles genommen", sagt Richter. Der damalige Bürgermeister Jörg Glöckner habe ihnen freie Hand gelassen. Es war die Zeit, da man nicht alle Entscheidungen zig Mal absichern lassen konnte. Richter war einer, dem das entgegenkam. Als am Sonnabend bei der Beratung in der Maxener Feuerwehr dann so viele mitreden wollten, stand er auf und sagte: "Ich muss runter." Damit meinte er nach Mühlbach.
Bier vom Landesbischof
Noch weiter die Müglitz flussabwärts und weitaus mehr betroffen damals: Weesenstein. Die Bilder von der Familie auf der als Letztes von ihrem Haus übriggebliebenen Mauer wurden weltweit zum Symbol für die Flut. Dort war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Bürgermeister Glöckner hatte hier genug zu tun und war froh, dass sich die Mühlbacher selbst kümmerten und so gut organisierten.
Ein Mal brachte der Hubschrauber die Verpflegung. Der war hinter der alten Schule gelandet, mit dem Lkw wurden die Lebensmittel in die neue Schule gebracht. Dort bedienten sich dann auch vom Hochwasser gar nicht Betroffene. Eine Erfahrung, die auch anderswo gemacht wurde. Für die Helfer gab es Verpflegungsstellen mit Suppe, Kaffee und Bockwurst. Als der Landesbischof vorbeikam und fragte, wie er helfen kann, sah Richter im Auto ein Sixpack Bier. "Das können Sie hierlassen", sagt er und bekam es.
Das Dankeschön der Mühlbacher
Helfer kamen von 23 Feuerwehren aus ganz Deutschland, die weitesten vom Bodensee. Mit der Feuerwehr aus dem thüringischen Albersdorf sind die Mühlbacher bis heute im Kontakt. Im Juli feierte man gemeinsam deren 95-jähriges Bestehen. "Wir lachen immer schön zusammen", sagt Richter. Und kommt doch immer auch wieder auf den Anlass ihres Zusammentreffens zu sprechen. "Es war schon eine aufregende Zeit." In den 20 Jahren seither sei viel für den Hochwasserschutz gemacht worden. Es wird wieder Hochwasser geben, aber nicht mehr so schlimm, sagt Richter. Ob sich die Menschen in 20, 50 Jahren noch an die Jahrhundertflut erinnern werden? "Sie werden es im Hinterkopf haben. Hoffentlich."
Zur Weihnachtsfeier im Flutjahr 2002 bekamen die Mühlbacher Feuerwehrleute einen Gutschein von den Einwohnern für ein Mietwagen-Wochenende. Der Ausflug wurde im folgenden Frühjahr gemacht. "Da können sie nicht unzufrieden mit uns gewesen sein", sagt Richter. "Wir haben zwar nicht alles machen können, was vielleicht notwendig war, aber alles, was wir gemacht haben, war richtig."
Am Sonnabend, dem 13. August, sind die Mühlbacher und alle, die es interessiert, 15 Uhr in den ehemaligen Konsum in Mühlbach eingeladen, sich bei Kaffee und Kuchen zu erinnern und die Ausstellung anzusehen. Kinder können Schiffchen basteln, die dann an der nach der Flut neu gebauten Fußgängerbrücke zu Wasser gelassen werden. Die Ausstellung wird noch länger zu sehen sein. Der alte Konsum befindet sich auf der Müglitztalstraße aus Richtung Weesenstein kommend auf der rechten Seite kurz vor dem Abzweig Mühlbacher Straße.