Um Platz für die vielen neuen Zuzügler zu schaffen, ging es am Ende vor allem in die Höhe. Ab Ende der 1970er-Jahre entstanden in dem Wohngebiet Pirna-Sonnenstein insgesamt fünf Hochhäuser, jedes 56 Meter hoch, jeweils 17 Etagen, es waren die Gebäude Varkausring 1a und 2a sowie Remscheider Straße 1a, 2a und 3a. Die fünf Riesen beherbergten insgesamt über 1.000 Wohnungen.
Doch 2006/2007 ließ die städtische Wohnungsgesellschaft Pirna (WGP) das Haus Remscheider Straße 3a abreißen, es standen damals einfach zu viele Wohnungen leer, gleichwohl fielen für die leerstehenden Quartiere Betriebskosten an, die der Großvermieter aus eigener Tasche zahlte. Darüber hinaus drückten DDR-Altkredite sowie Nachwende-Sanierungskredite, eine Last, die die WGP auf Dauer nicht schultern konnte. Zudem sank die Bevölkerungszahl rapide, somit wurden viele Wohnungen nicht mehr benötigt.
In zwei Jahren fällt nun der nächste Riese, die WGP will 2025 das Haus Varkausring 2a abreißen. Von den 202 Wohnungen stehen 139 leer, vor allem Einraum-Wohnungen, die in dieser Form kaum noch zu vermieten sind. Doch ein Umbau zu größeren Quartieren sowie die dringend nötige Sanierung des Hauses würden mehreren Millionen verschlingen – Kosten, die wirtschaftlich nicht vertretbar sind. Viele Sonnensteiner zeigen Verständnis für den geplanten Abbruch, bei einige schwingt aber auch Wehmut über den alsbaldigen Verlust mit. Aber wie kam Pirna überhaupt zu diesen Hochhäusern?
Wachstum durch Flugzeuge und Uran
Die Wohnriesen sind allesamt Relikte aus einer blühenden DDR-Industriekultur, die aber spätestens zu Wendezeiten einen herben Niedergang erfuhr – mit dramatischen Folgen: Von der Einwohnerzahl zu Hochzeiten ist heute nur noch etwa ein Drittel übrig. In den Jahren 1952/53 hatte die DDR entschieden, eine eigene Luftfahrtindustrie aufzubauen, dabei sollte der Sonnenstein mit eingebunden werden. Dazu wurde 1953 das Materialamt Pirna – später VEB Entwicklungsbau Pirna-Werk 802 – gegründet, das Flugzeugtriebwerke entwickeln, erproben und bauen sollte. Der Betrieb nutzte alle Gebäude der früheren Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein, im Umfeld entstanden zudem etliche Neubauten.
Für die Beschäftigten des Werkes wurden ab 1953 zahlreiche weitere Wohngebäude südlich der Struppener Straße errichtet. Markantestes Gebäude seinerzeit der neuen Siedlung Sonnenstein war das sogenannte „Rote Hochhaus“ an der Rudolf-Breitscheid-Straße, errichtet von 1957 bis 1961. Es wurde im Gegensatz zu den Riesen, die es später überragen sollten, noch ganz traditionell gemauert. In der ersten Ausbaustufe entstanden auf dem Sonnenstein rund 1.000 Wohnungen – vorrangig in Ziegelbauweise.
Den zweiten und wesentlich größeren Entwicklungsschub erfuhr das Gebiet wenig später, nachdem in Königstein eine Uranerz-Lagerstätte entdeckt und erschlossen wurde. Im nahen Leupoldishain wurde ab 1963 ein Bergwerk aufgebaut, das schon nach kurzer Zeit über 2.000 Beschäftigte zählte. Für den Wohnraum, den die Belegschaft benötigte, wurde ab Ende der 1960er-Jahre das Wohngebiet Sonnenstein erweitert – vor allem mit Häusern in Plattenbauweise. Bis Anfang der 1980er-Jahre entstanden auf diese Weise nochmals etwa 3.000 Wohneinheiten nebst Kindergärten, Schulen, Kaufhallen und Poliklinik.
Fast zwei Drittel der Einwohner weg
Ab Ende der 1970er-Jahre begannen dann die fünf Wohnriesen mit ihrem jeweils 17 Stockwerken, alle anderen Häuser zu überragen. Allein in den fünf Hochhäusern gab es insgesamt über 1.000 Wohnungen, die Einwohnerzahl stieg auf dem Sonnenstein auf rund 17.000. Das Jahr 1975 markiert ohnehin das Jahr mit der höchsten Bevölkerungszahl, die Pirna jemals hatte: knapp 50.000 Einwohner.
Doch mit der Wende brach das wirtschaftliche Fundament des Wohngebietes recht rasch weg. Der VEB Strömungsmaschinen wurde 1990 privatisiert, der Nachfolger meldete jedoch schon 1995 Insolvenz an. Der überwiegende Teil der Arbeitsplätze verschwand ersatzlos. Bereits 1990 wurde die Uranförderung in Leupoldishain eingestellt, auch hierbei ging ein Großteil der Stellen flöten.
Das wirkte sich auch dramatisch auf die Einwohnerzahl aus, die vor allem in den Nachwendejahren im freien Fall war. Erst seit etwa reichlich zehn Jahren gewinnt Pirna wieder langsam Einwohner dazu. Aufgrund des Bevölkerungsschwund stand jede Menge Wohnraum leer, dieser Leerstand zog letztendlich den Abriss von über 500 Wohnungen sowie von sozialen Einrichtungen nach sich.
Damit wollte sich Pirna aber nie abfinden, so ist der Sonnenstein schon seit vielen Jahren Gegenstand eines Stadtumbau- und Stadtteilentwicklungsprojekts – mit großem Erfolg: Strömungsmaschinen- und Heilstättengebäude wurden zu Wohnhäusern, 2007 siedelte sich mit dem Helios Klinikum Pirnas größter Arbeitgeber dort an, es gibt eine moderne Oberschule, Einkaufsmöglichkeiten, eine große Turnhalle, nahezu sämtliche Plattenbauten sind saniert. Zum Ende 2021 lebten in den Stadtteilen Sonnenstein/Cunnersdorf reichlich 6.300 Menschen.