Wechselreigen im Pirnaer Stadtrat

In einer launigen Rede zum Neujahrsempfang 2020 orakelte Pirnaer Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos) über die Zukunft des Stadtrates, der 2019 neu gewählt worden war.
Das neue Gremium, kalauerte der Rathauschef, habe vom vorherigen Rat bereits die Gesellschaftsspiel-Tradition "Fraktion wechsle Dich" übernommen. Damit spielte Hanke vor allem auf den gerade vollzogenen Wechsel von Tim Lochner zur AfD-Fraktion, aber auch auf den Wechselreigen in der vergangenen Legislatur an.
In der Amtszeit des Pirnaer Stadtrates von 2014 bis 2019 gab es insgesamt sieben Veränderungen im Kommunalparlament: Parteiaustritte, neue Fraktionen, aufgelöste Fraktionen, neue Bündnisse, verlorene Mehrheiten. Er sei gespannt, sagte Hanke damals, ob der neue Rat die Zahl von sieben vollzogenen Wechseln in der vorherigen Legislatur knacken werde.
Inzwischen steht fest: Nach nur anderthalb Jahren hat der amtierende Stadtrat diese Zahl erreicht. Die vergangenen Monate waren geprägt von Bei- und Austritten, Fraktionsauflösungen, Sitz-Verlusten.
Allerdings waren nicht alle diese Veränderungen hausgemacht, es traten auch Ereignisse ein, die sich so weder vorhersehen noch beeinflussen ließen. Sächsische.de fasst die bisherigen Änderungen zusammen.
Tim Lochner geht zur AfD-Fraktion
Tim Lochner war 2019 für die Wählervereinigung "Pirna kann mehr" (PKM) in den Stadtrat eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt war PKM aber schon in zwei Lager gespalten. Lochner blieb daher zunächst fraktionsloser Einzelabgeordneter, weil er mit den beiden anderen PKM-Stadträten Thomas Mache und André Liebscher keine Fraktion bilden wollte.
Im Dezember 2019 schloss sich Lochner dann der AfD-Fraktion an, ein Schritt, der sich schon seit geraumer Zeit angekündigt hatte. Auf Dauer fraktionslos zu bleiben, erschien ihm eher als ungünstig. Wenn man etwas bewegen wolle, sagte Lochner damals, funktioniere das am besten in einer starken Fraktion. Mit ihm wurde die AfD stärkste Fraktion - mit nun sechs Sitzen.
André Liebscher geht zu den Freien Wählern
Auch André Liebscher war 2019 für PKM in den Stadtrat gewählt worden. Mit Thomas Mache (PKM) sowie Bernd Köhler und Walter Matzke (beide Pirnaer Bürgerinitiativen) gehörte er zunächst der Fraktion "Pirna kann mehr - Pirnaer Bürgerinitiativen" an.
Weil Liebscher aber mit der Fraktionsarbeit, vor allem mit jener von Fraktionschef Thomas Mache haderte, vollzog er einen Wechsel. Anfang Februar 2020 schloss er sich der Fraktion "Freie Wähler" an, schon in den Wochen zuvor hatten Liebscher und die Freien Wähler über gemeinsame Themen, Ideen und Ziele zueinander gefunden.
Mit dem Wechsel hatte nun auch die Fraktion "Freie Wähler" sechs Sitze - und zog mit der AfD gleich.
Gernot Heerde rückt für die CDU nach
Der Anlass für einen weiteren Wechsel war ein trauriger: Im Februar 2020 starb der CDU-Stadtrat Hans-Peter Schwerg überraschend im Alter von 84 Jahren. Damit verloren Stadtrat und CDU-Fraktion einen überaus engagierten Abgeordneten. "Wir sind sehr dankbar, dass er bei uns war. Er hinterlässt eine große Lücke, wir vermissen ihn und sein Engagement sehr", sagte CDU-Fraktionschefin Kathrin Dollinger-Knuth damals.
Für Hans-Peter Schwerg rückte der Graupaer Ortsvorsteher Gernot Heerde in den Stadtrat nach.
Fraktion PKM-PB löst sich auf
Die Fraktion "Pirna kann mehr - Pirnaer Bürgerinitiativen" war durch den Weggang von André Liebscher ohnehin schon geschwächt. Im Juni 2020 zerbröselte sie vollends.
Bernd Köhler und Walter Matzke gaben im Juni bekannt, dass sie die Fraktion verlassen. Auch sie waren mit der bisherigen Rats- und Fraktionsarbeit unzufrieden, es kriselte auch zwischen ihnen und Fraktionschef Thomas Mache. Köhler und Matzke fühlten sich in der Fraktion zu sehr eingeengt und wollten fortan als fraktionslose Abgeordnete - losgelöst von irgendwelchen Zwängen - ihre Meinung und ihre Sache vertreten.
Mit dem Zerfall der Fraktion verlor auch der bisherige Fraktionschef Thomas Mache seinen Fraktionsstatus, ebenso den Sitz im Ältestenrat, dem er als Fraktionschef bis dahin angehörte.
AfD verliert Stadtrat-Sitz
Im Januar 2021 wird publik, dass die AfD-Abgeordnete Liane Roy ihr Mandat aus gesundheitlichen Gründen niederlegen möchte. Einen Nachfolger für sie gibt es nicht, der Sitz bleibt in dieser Legislatur leer.
Die beiden möglichen Nachrücker, Heide und Horst-Dieter Bonn, hatten bereits im Vorfeld abgelehnt, dieses Stadtratsmandat zu übernehmen. Nach eigenen Angaben seien sie bereits im Juni 2020 aus der AfD ausgetreten. Aus ihrer Sicht wolle die Partei eine basisdemokratische Parteiarbeit nur in eingeschränkter Form praktizieren, das gelte auch für die Pirnaer AfD-Stadtratsfraktion.
Stefan Thiel verlässt Fraktion Grüne/SPD
Ebenfalls im Januar 2021 wird bekannt, dass Dr. Stefan Thiel, bisher Chef der Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen/SPD", sein Mandat aus beruflichen Gründen niederlegen will. Das Ehrenamt behindere ihn erheblich bei seiner Berufstätigkeit als Allgemeinmediziner, daher könne er sein Stadtratsmandat nicht mehr vollumfänglich ausüben. Für ihn soll Dr. Hans-Werner Sonntag in den Stadtrat nachrücken.
André Liebscher verlässt die Freien Wähler
Ende Januar 2021 gibt Stadtrat André Liebscher bekannt, dass er zum 1. Februar aus der Fraktion "Freie Wähler" austritt - nach nur einem Jahr Mitgliedschaft. Nach seiner Aussage hätten sich seine Erwartungen an eine gemeinsame Fraktionsarbeit nicht erfüllt. Er wolle künftig als unabhängiger, fraktionsloser Stadtrat agieren, weil er auf diese Weise mehr Entscheidungs- und Handlungsspielräume für sich im Stadtrat sehe.
Unklarer Status von Thomas Mache
Seit dem Zerfall der Fraktion "Pirna kann mehr - Pirnaer Bürgerinitiativen" sitzt Thomas Mache als fraktionsloser Abgeordneter im Stadtrat. Seit September 2020 hat er bislang an keiner regulären Stadtratssitzung mehr teilgenommen.
Gegen ihn gibt es schwere Vorwürfe: Möglicherweise soll er illegal im Stadtrat sitzen, weil er zum Zeitpunkt der Wahl 2019 nicht wählbar gewesen sein soll, da er keinen Hauptwohnsitz in Pirna gehabt haben soll. Mache hat diese Vorwürfe stets bestritten.
Pirna hatte gleichwohl das Melderegister dahingehend korrigiert, dass Mache zum Zeitpunkt der Wahl keinen Hauptwohnsitz in Pirna hatte. Über den Widerspruch dagegen ist noch nicht entschieden. Auch kann damit ein eventueller Beschluss zur Maches Entfernung aus dem Stadtrat nicht gefasst werden.
Wie sind die Mehrheitsverhältnisse?
Aufgrund der Wechsel gibt es nun wieder eine Art Patt-Situation wie nach der Wahl 2019: Freie Wähler, CDU und AfD haben jetzt je fünf Sitze im Stadtrat, die Linken sowie die Fraktion "Grüne/SPD" bleiben wie gehabt bei jeweils drei Mandaten. Bernd Köhler und Walter Matzke sowie Thomas Mache und nun auch André Liebscher sitzen als fraktionslose Abgeordnete im Kommunalparlament.
Die Posten in Ausschüssen und Aufsichtsräten wurden 2019 im Einigungsverfahren besetzt, trotz der zahlreichen Wechsel hat sich an der Besetzung bislang nichts geändert. Sollten die Posten künftig neu besetzt werden, wäre dazu ein Antrag sowie ein Beschluss des Stadtrates erforderlich.
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