Scheidende Geschäftsführerin: Ein Arbeitsleben für die Fahrzeugelektrik Pirna

Dass für Evelyn Duarte Martinez die Fahrzeugelektrik Pirna einmal der Ort für einen besonderen, ungewöhnlichen beruflichen Werdegang werden würde, ist einem Zufall geschuldet – und zum Großteil ihrer eigenen Unbeugsamkeit. Nach der Schule hatte sie von 1980 bis 1982 zunächst im Pirnaer Kunstseidenwerk den Beruf Wirtschaftskauffrau erlernt. Danach stand ein Studium an der Ingenieurhochschule für Chemie „Justus von Liebig“ in Magdeburg auf dem Programm.
Wer zu DDR-Zeiten studieren wollte, konnte sich von einem Betrieb dorthin delegieren lassen, er band sich aber damit auch für bestimmte Zeit. Mit der Delegation verpflichtete sich der Studierende, nach dem Abschluss für mindestens drei Jahre in jenem Betrieb zu arbeiten. Doch genau das wollte die junge Frau damals nicht.
Evelyn Duarte Martinez ging ohne Delegation zum Studium, nach dem Abschluss zur Ingenieur-Ökonomin war sie sozusagen frei, sie konnte ihren künftigen Betrieb frei wählen. Ausschlaggebend dafür war: Sie wohnte seinerzeit in Pirna-Copitz und hatte einen kleinen Sohn, es sollte etwas in der Nähe sein. So kommt die Fahrzeugelektrik Pirna (FEP) ins Spiel, ihr Hauptsitz war damals an der Birkwitzer Straße. Sie kannte den Betrieb bereits aus dem schulischen Produktionsunterricht, sie bewarb sich, schrieb ihre Ingenieurarbeit dort, wurde angenommen. Und sie blieb. Seit 36 Jahren ist Evelyn Duarte Martinez nun bei der FEP, 25 Jahre davon in der Firmenleitung, 16 Jahre selbst als Geschäftsführerin. Doch nun mit 58, zieht sie sich aus der Geschäftsführung zurück, aber sie geht nicht so ganz, ein wenig bleibt sie dem Werk noch erhalten.
Der Mangelwirtschaft Paroli bieten
Der Einstieg in diese beachtliche Karriere begann am 1. September 1986, ihr erster Arbeitstag bei der FEP. Sie arbeitete zunächst als wissenschaftliche Assistentin des Produktionsleiters, der Betrieb hatte damals über 1.000 Mitarbeiter. 1987 wechselte sie in den Einkauf und wurde stellvertretende Einkaufsleiterin. In Zeiten der Mangelwirtschaft oblag ihr die Aufgabe, über alle Engpässe hinweg stets genügend Material zu beschaffen, damit die Produktion störungsfrei weiterlief. Nebenher schob sie selbst Schichten in der Produktion, um das Gehalt aufzubessern. Facharbeiter verdienten damals oft mehr als die Studierten.
Kurze Zeit später begannen unruhige Zeiten, es war die Ära des Umbruchs, zu den Wendezeiten 1989/1990 wäre die FEP fast zusammengebrochen. Plötzlich gab es für den Betrieb keinen Markt mehr, das Unternehmen baute über 700 Arbeitsplätze ab, am Ende blieben 135 Beschäftigte übrig. Zum Glück des Betriebes existierte bereits seit 1986 eine Kooperation mit dem Autobauer Volkswagen, was nun ein wenig das Überleben sicherte.
Noch im Jahr der Wiedervereinigung wurde Evelyn Duarte Martinez gefragt: „Traust Du Dir das zu?“. Was sie sich trauen sollte, war, fortan als Leiterin Rechnungsführung und Finanzen zu arbeiten. Sie sagte zu, machte eine Ausnahme, obwohl kurz darauf 1991 ihre Tochter zur Welt kam, nach kurzer Pause stieg sie 1992 wieder ein als Finanzleiterin. Zwei Jahre später ging es noch einmal zurück auf die Schulbank, von 1994 bis 1997 studierte sie Betriebswirtschaft an der Hochschule Zittau, ein Fernstudium, mit zwei Kindern, neben einer 40-Stunden-Woche. „Ich wollte das unbedingt machen, weil sich doch so vieles geändert hatte“, sagt sie. Es war eine harte Zeit für die Familie, die ihr aber stets den Rücken stärkte.
Großbrand unmittelbar vorm Umzug
In der Zwischenzeit, 1992, gab es eine entscheidende Wendung. Der Unternehmer Joachim-Christoph Zarnack hatte die FEP gekauft, er garantierte für den Fortbestand der Arbeitsplätze, er war Garant dafür, dass der Betrieb weiter existierte und endlich von der Treuhand loskam. Die wollte zunächst gar nicht an ihn verkaufen. Erst nachdem die FEP-Mitarbeiter die Treuhandanstalt in Dresden besetzt hatten, kam Tinte unter die Verträge.
Ebenfalls 1996 erhielt Evelyn Duarte Martinez Prokura, also die Vertretungsvollmacht, sie rückte damit in die Geschäftsleitung auf, zu der damals noch Wolfgang Thonig und Wolfgang Osterode gehörten. 1999 stand der Umzug des Werkes von Copitz ins frühere Kunstseidengelände an. Einen Tag vor dem geplanten Umzug brach an der Birkwitzer Straße ein Großbrand aus, die gesamte Vorproduktion verbrannte, es entstand ein Millionenschaden.
Im Dezember 2003 verkaufte Zarnack seine Mehrheitsanteile an den Finanzinvestor „Barclay Private Equity“, die Bedingung war, dass auch die Geschäftsführung selbst Anteile am Unternehmen erwarb. 2006 übernahm dann Finanzinvestor „Steadfast Capital“. Evelyn Duarte Martinez wurde gefragt, ob sie nun mit Geschäftsführerin werden möchte, sie lehnte erst ab, sagte dann aber zu, weil man ihr sonst einen Fremden vor die Nase gesetzt hätte. „Wir hatten großes Glück mit den Finanzinvestoren, weil sie sich von unserem Management leiten ließen“, sagt sie.
Ein langer Anlauf, um loszulassen
2006 wurde die Produktion größtenteils vollautomatisiert, 2008/2009 folgte die Finanzkrise mit Umsatzeinbruch und Kurzarbeit, wovon sich die Firma aber schnell wieder erholte. 2011 übernahm dann der US-amerikanische Amphenol-Konzern – einer der weltweit führenden Steckverbinder-Hersteller – die FEP. Im Zuge dessen verkauften die Geschäftsführer ihre bisherigen Anteile. Der gesamte kaufmännische Bereich wurde umstrukturiert, für Evelyn Duarte Martinez eine große Herausforderung. Damals stand für sie fest: Fünf Jahre bleibt sie noch im Betrieb, aber niemals bis zur Rente. Diesen Punkt hat sie längst überschritten – und ist noch immer da.
Sich so richtig herauszunehmen, gelang bislang nicht, immer kam etwas dazwischen, einmal ein neues Produkt-Portfolio, zuletzt Corona, auch da war sie jeden Tag im Büro, nie im Homeoffice. „Wir sind ein Produktionsbetrieb“, sagt sie, „was soll ich da zu Hause? Doch nun hat sie sich entschieden für den Schritt zurück, zum 1. Juli hat sie ihre Funktion als Geschäftsführerin niedergelegt. Einen langen Anlauf hat sie dafür gebraucht, aber nun fühlt sie sich gut dabei – und frei. „Ich gehe mit einer gewissen Gelassenheit und Zufriedenheit“, sagt sie.
Nun bleibt mehr Zeit für Dinge, die bislang zu kurz kamen, vor allem für die Familie, ihr großer Enkelsohn ist schon zwölf. Doch so ganz kann sie von der FEP nicht lassen, sie bleibt dem Werk als Beraterin erhalten, aber nicht mehr in dem Stundenumfang wie früher. Ein paar Projekte will sie noch vollenden, sich weiter um die Unternehmensplanung kümmern, Betriebsprüfungen begleiten. All das geht jetzt leicht von der Hand, weil sie Entscheidungsbefugnis und Verantwortung abgegeben hat. Und eines liegt ihr noch ganz besonders am Herzen. „Ich möchte in der nächsten Zeit“, sagt Evelyn Duarte Martinez, „noch die Unternehmenschronik fertig schreiben.“