Tiflis. Lika wartet. Den ganzen Tag lang, bis es Abend ist. „Dann schlafe ich, wache auf und der Albtraum fängt von vorne an.“ Das Haus in der georgischen Hauptstadt Tiflis verlässt die Elfjährige kaum noch. „Hier ist alles fremd. Ich will nach Hause.“ Mit Zuhause meint sie Pirna in Sachsen. Nach Ansicht sächsischer Behörden gehört sie aber nach Georgien. Mehr als 3.000 Kilometer trennen Lika nun von der Wohnung, in der Spiele und Kleider, ihr Keyboard und die Fische der Familie zurückgeblieben sind.
Nach der erzwungenen „Heimkehr“ sitzen Likas Eltern und ihre sechs Geschwister in Tiflis in einem Innenhof mit sandfarbenen Fliesen. Die Stadt dröhnt, brummt und hupt, manche Geschwister schreien. Der Geruch von aufgerissenem Asphalt mischt sich mit dem von warmem Obst. Eine buckelige Straße führt zu dem Hochhaus, in dessen erstem Stock die Ferienwohnung mit den vier Zimmern liegt, wo sie untergekommen sind. Eine Bekannte hat sie vermittelt. Oberhalb verkauft ein Händler Mirabellen und Melonen. Unterhalb umrunden Autos einen Bauarbeiter, der mit einer Spitzhacke Asphaltschollen aus der Straße schlägt.
Lika legt sich mit ihrer jüngsten Schwester in ein weißes Doppelbett. „Vermisst du Deutschland?“, fragt sie. „Den Kindergarten? Dein Bett? Gefällt es dir hier?“ Die Dreijährige schüttelt den Kopf und kichert. Likas kleine Geschwister glauben, sie wären in einer Art verkorkstem Urlaub. Nur Lika hat verstanden, was passiert ist.