Plötzlich ein Pflegefall

Region. Selbstständig den Haushalt erledigen, einkaufen, mobil und unabhängig sein. All das wird im Pflegefall infrage gestellt.
Nicht nur der Erkrankte muss mit der neuen Situation zurechtkommen. Auch dessen Angehörige stehen vor bisher unbekannten Herausforderungen. Ein Pflegenetzwerk soll helfen, sie zu meistern.
Bei Pflegekoordinatorin Susanne Finck laufen im Landkreis Mittelsachsen die sprichwörtlichen Fäden in Sachen Pflege zusammen. Sie baut seit drei Jahren ein Unterstützungsnetzwerk für pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige auf. Dafür hat sie Partner aus allen 53 Städten und Gemeinden mit ins Boot geholt.
Das sind neben den Verwaltungen unter anderem Pflegedienste, Krankenhäuser, die Hospize in Leisnig und Oederan, Krankenkassen, Rehaeinrichtungen aber auch Wohnungsunternehmen. „Denn die meisten Menschen möchten so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld bleiben“, sagt sie. Dafür bedarf es neuer Wohnformen.
Ein Leitfaden zeigt den Weg
Für die meisten Menschen wird die Pflege erst zum Thema, wenn es in der Familie plötzlich einen Pflegefall gibt. Dann entstehen viele Fragen: Wo bekommen Betroffene Hilfe? Wie ist eine Pflege Zuhause möglich oder wo gibt es einen Heimplatz? Wo und wie kann eine Pflegestufe beantragt werden? Woher kommen nötige Hilfsmittel?
Antworten gibt ein Leitfaden, den Susanne Finck mit vielen Netzwerkpartnern erarbeitet hat. Der liegt unter anderem in den Gemeindeverwaltungen und bei den Krankenkassen aus. Außerdem bietet das Netzwerk 2018/19 insgesamt 28 Veranstaltungen rund um die Pflege an. Zwei sind im Oktober in der Region Döbeln geplant.
Pflege in Mittelsachsen
Positiv wertet Benjamin Brambor, Prokurist des gleichnamigen Pflegedienstes, dass in den sieben Sozialregionen des Landkreises „von jetzt auf gleich“ kostenlose Beratungen angeboten werden. Brambor ist einer der Partner des Pflegenetzwerkes und als einziger aus der Region Döbeln Mitglied in dessen Steuerungsgruppe.
Er fände es wichtig, dass sich noch mehr Firmen aus der Region für diese ehrenamtliche Arbeit öffnen und engagieren. „Denn es geht nicht um Wettbewerb“, sagt er. Auch bei den Beratungen stehe nicht nur die Pflege im Vordergrund. Es kämen auch Themen wie der Schwerbehindertenausweis oder die Vorsorgevollmacht zur Sprache.
Schüler testen Pflegeberufe
Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt zu, die der Pflegekräfte allerdings nicht. Im Vergleich zu anderen ist der Pflegeberuf für viele junge Menschen unattraktiv. Mit dem Projekt „care4future“ soll eine frühe Sensibilisierung der Jugendlichen für den Beruf erfolgen. „In dem Projekt kooperieren allgemeinbildende Schulen mit Pflegeschulen, Pflegediensten und Krankenhäusern“, erklärt Susanne Finck. Acht- und Neuntklässler lernen das Berufsbild kennen, indem sie ein Jahr lang gestandene Pflegekräfte in den Einrichtungen begleiten.
Das bewertet Benjamin Brambor positiv. „Auch wenn sich die jungen Leute trotzdem nicht für einen Pflegeberuf entscheiden, so entdecken sie durch das Projekt vielleicht ein ähnliches Berufsbild“, meint er. In Flöha habe dies schon gut funktioniert. In den Regionen Mittweida und Freiberg befinde sich das Projekt derzeit im Aufbau.
Obwohl es „care4future“ für die Region Döbeln noch nicht gibt, praktiziert es der Pflegedienst Brambor in ähnlicher Weise bereits seit vier Jahren. Für jeweils ein halbes Jahr werden zwei Tage pro Woche Fachoberschüler in den Alltag des Unternehmens integriert. „Dabei beginnen wir immer in der Tagespflege, um Berührungsängste abzubauen“, so Brambor.
Auch Jugendlichen aus den Oberschulen in Döbeln, Roßwein und Waldheim gewährt der Pflegedienst regelmäßig Einblicke in seine Arbeit. Derzeit werden bei Brambors zwölf Lehrlinge ausgebildet. „Die Zahl ist die Resonanz aus diesen Projekten“, meint der Prokurist.
Notfallkrisentelefon geplant
Laut einer Studie werden in Sachsen 60 Prozent der zu Pflegenden von Angehörigen betreut. Sie können in Situationen geraten, in denen sie dringend einen Rat brauchen. Deshalb habe die Steuerungsgruppe des Netzwerkes ein Notfallkrisentelefon angeregt. „In Kooperation mit der Hochschule Mittweida wird dazu eine Machbarkeitsstudie erarbeitet“, so Susanne Finck.
Dabei werden die nötigen technischen, finanziellen und personellen Voraussetzungen geprüft und welche Partner einbezogen werden sollten. Bis November sollen erste Ergebnisse vorliegen und in der Steuerungsgruppe vorgestellt werden.
Öffentliche Informationsveranstaltungen rund um die Pflege: 16. Oktober, 17 bis 18.30 Uhr, Hartha, Saal des Rathauses. 30. Oktober, 16 bis 17.30 Uhr, Geringswalde, DRK-Begegnungszentrum, Altgeringswalder Straße 4.