1.878 funkensprühende Geschichten

Nardt. Über ein halbes Jahrhundert währt die Leidenschaft von Frank Schulze aus Nardt mittlerweile: „Seit meinem zehnten Lebensjahr, also seit über 50 Jahren, sammle ich Zündkerzen. Bereits als Kindergartenkind putzte und fummelte ich an Vaters Motorrad und später an seinem Trabi mit. 1966 nahmen mich meine Eltern zum ersten Mal zu einem Motorradrennen auf den alten Sachsenring mit. Dort hörte ich die Drei-Zylinder-MV-Agusta und die Vier- und Sechs-Zylinder-Hondas markerschütternd brüllen – ein äußerst prägendes Erlebnis.“
Beginn mit Helga Heinrich-Steudel
Aber der eigentliche Beginn der Sammelleidenschaft datiert auf Mai 1969: „Wir besuchten eine Rennsportveranstaltung auf der damaligen Autobahnrennstrecke bei Bautzen. Morgens hatte ich von der eigentlich Motorradrennfahrerin Helga Heinrich-Steudel, die in der DDR sehr bekannt und beliebt war, ein Autogramm erhalten. 1969 fuhr Helga wohl erstmalig Autorennen und tatsächlich konnte ich nach der Veranstaltung drei «Isolator»-Rennzündkerzen mit dem typischen hellblauen Korpus aus ihrem Wartburg-Spider ergattern. Die Kerzen waren praktisch noch warm. Ich bewahrte sie in der Vitrine meines Kinderzimmers als «Schatz» auf und sie haben für mich bis heute einen hohen moralischen Wert.“
1971 nahmen die Eltern Frank Schulze in den Urlaub nach Ungarn mit. „Während Vater für seinen 23-PS-Trabi an einer Tanke das hier nicht fertig zu habende Öl-Benzin-Gemisch (1:33) im Kanister schüttelte, fand ich neben prächtig anzuschauenden Blechöldosen von Shell, Castrol oder Aral auch mal West-Zündkerzen; Bosch oder Champion, die gegenüber den (DDR-) Isolator- oder tschechischen PAL-Kerzen aus Prag (Kbely) einfach gut aussahen – die es in der DDR natürlich nicht zu kaufen gab. Ich legte diese «historischen Funde» zu Helgas Isolator-Rennkerzen in die Vitrine meines Kinderzimmerschrankes.“ Im Laufe der Jahre wuchs die Sammlung. Von Motorrad-Rennen in der Tschechoslowakei (Jicin, Horice und Brünn) brachte Frank Schulze von den Fahrern aussortierte „West“-Rennzündkerzen mit. Auch die West-Öldosen vermehrten sich und standen bis 1982 als Deko in Vaters Garage. „Als ich mir dann 1982 eine eigene Garage kaufte, entbrannte ein heftiger Streit um die Dinger – den Mutter zu meinen Gunsten schlichtete.“
Dann kam die Wende. Bei einer Motorrad-Rundreise durch die USA im Jahr 1995 stolperte Frank Schulze in Pueblo/Colorado in einen Oldtimerladen, dessen 86-jähriger Besitzer ein gebürtiger Rumäne war. Im Gespräch deutete der Nardter an, dass er bei seiner Rumänien-Reise 1984 mit dem Trabi dessen Heimatstadt Iasi durchquert hatte.
Der Ex-Rumäne war fassungslos und als das Thema Zündkerzen zur Sprache kam, bot er Frank Schulze unvermittelt aus seinem Laden sackweise fabrikneue Zündkerzen-„Ladenhüter“ an. „Natürlich konnte ich mit meinem gemieteten Motorrad nicht eine Tonne Zündkerzen nach Hause bugsieren. Aber mit 70 schönen, teils einmaligen Stücken konnte ich meine Sammlung auf einen Schlag deutlich erweitern.“
Heute umfasst Frank Schulzes Sammlung exakt 1.878 ausgewählte Einzelstücke aus allen Epochen des Motorenbaus, die nach Ländern in mehrere Vitrinen einsortiert sind, zusätzlich circa 1.000 Stück Massenware unsortiert als Tauschobjekte. „Weltweit habe ich im Laufe der Jahre Zündkerzen von etwa 800 Herstellern befühlt, beschnuppert und bewundert.“
Es gibt über 5.500 Markennamen, die sich auf circa 500 Betriebe reduzieren, die mittlerweile Milliarden Exemplare gefertigt haben. Aber wer kennt schon Marken wie „Pognon“, „Snurhit“, „Lion“, „Gillardoxi“, „Steinbeis“, „Blue Crown Husky“, „Splitdorf“ oder „Goodrich“?
Zündkerzen waren in der Frühzeit des Motorenbaus sehr störanfällig, hielten mitunter nicht mal 100 km. Sicher aus Marketinggründen gaben sich die Hersteller, allen voran die Franzosen, beim Design der Kerzen größte Mühe. Wie bei allen Dingen rund um das Auto oder Motorrad: Hebelchen, Lampen, Polster, Typenschilder, Armaturen, selbst (Holz)-Räder zeugen von handwerklichem Können und dem Drang nach perfekter, kunstvoller Formgebung.
Auch Diesel? Auch Diesel!
So vielfältig wie die Marken sind die Einsatzzwecke. Von wegen: nur für Benzin-Motoren in Pkw und Motorrädern! Da gibt es faustgroße Zündkerzen mit Zollgewinde. Sie wurden ursprünglich in „Lanz“- oder auch „Ursus“- (deutsche beziehungsweise polnische Traktorenwerke) -Halb-Diesel-Motoren verbaut, welche nach dem Startvorgang im Otto-Verfahren auf Diesel-Verfahren umgeschaltet wurden. „In meiner Sammlung sind auch Kerzenattrappen mit hohlem Glaskörper enthalten, in welche ein Granulat eingefüllt ist. Das sind spezielle Teile zum Konservieren von Motoren. Das Granulat soll Luftfeuchtigkeit binden.“ Bei Spezial-Kerzen mit transparentem Isolator („Colortune“) hingegen kann man die Verbrennung des Kraftstoff-Luft-Gemisches beobachten und an Hand der Flammenfärbung Schritte zur korrekten Vergasereinstellung (Leerlauf) ableiten.
Die kleinsten Zündkerzen, also mit elektrischem Funken, werden bei Modellmotoren verwendet, nicht zu verwechseln mit den oft eingesetzten Mini-Glühkerzen! In russischen SiL-LKW („Sawod Imeni Lichatschowa“, also schnöde: „Lichatschow-Werke“) mit Benzin-Motoren wurden bei aller Wuchtigkeit des eigentlichen Fahrzeugs teilweise Zündkerzen mit einem Gewindedurchmesser von nur 8 mm verbaut. Besonders kleine Zündkerzen werden auch im Rennsport verwendet. Bei Fünf-Ventil- oder auch Mehrzylinder-Motoren mit kleinem Hubraum ist bauartbedingt so wenig Platz im Zylinderkopf, dass nur eine Kerze mit 8-mm-Gewinde infrage kommt.
Aber zurück zur Schulze’schen Sammlung: „Besonders stolz bin ich auf eine Vitrine, in welcher Zündkerzen aus Ostblock- beziehungsweise DDR-Produktion akribisch einsortiert sind.“ Zu sehen ist sie jetzt im DDR-Museum des Simmel-Centers an Dresdens Albertplatz (Antonstraße 2 a).
In Schulzes Zweiräder kommen nur Originalkerzen! Diese Leidenschaft vermittelt er auch anderen: „Als in einer beliebten Oldtimerzeitung wiederholt Detailfotos schöner, patinierter Motorrad-Motoren mit nagelneuen japanischen Kerzen abgebildet waren, habe ich auf den Schönheitsfehler hingewiesen. Seither bekomme ich ab und an Anfragen, ob ich für einen französischen, italienischen, amerikanischen ... Motorradmotor eine zeitgemäß-schöne, funktionierende Zündkerze, idealerweise mit Messing-Grundkörper, zur Verfügung stellen könnte.“ Manchmal ja, „bei Mehrzylindermotoren oft nicht, weil ich meist nur Einzelstücke habe.“ Da half Trick 17: alte Logos abfotografieren, als Sticker in Originalgröße herstellen lassen, auf glatte Isolatoren von älteren Kerzen kleben. „Das sah echt gut aus und nahm den Fotos den Makel der neuzeitlichen Massenzündkerze. Hat nur nicht lange gehalten, weil die Kerzen beim Betrieb richtig heiß werden.“
Ein Weihnachtspäckchen
Unvergesslich ist Schulze dies: „Vor etwa 20 Jahren bekam ich zum Weihnachtsfest ein Päckchen von Helga Heinrich-Steudel (die ihre Rennfahrerkarriere bis 2014 -!- fortsetzte und jüngst, am 4. Mai 2019, 80 Jahre jung wurde). Sie hatte (m)einen Beitrag zum Thema «Zündkerze» im Club-Magazin des MG-Clubs-Deutschlands gelesen, in dem ich sie erwähnt hatte. Prompt schickte sie mir ihr Zündkerzenbrett mit Ersatz- und Warmlaufzündkerzen aus ihrer Motorrad-Renn-Zeit – und ein weiteres Autogramm! Ich war schwer gerührt!“
2013 gab es sogar ein Treffen: „Arrangiert hatte dies die zauberhafte Madlen Wehle. Der siebenminütige MDR-Fernsehbeitrag vom 3. Juli 2013 über meine Zündkerzensammlung bei «Außenseiter – Spitzenreiter» war mit einem für mich völlig unerwarteten Treffen mit der Rennfahrerin, die meine Sammelleidenschaft ausgelöst hatte, garniert ...“ Eine von (mindestens!) 1.878 Geschichten, die es von und bei Frank Schulze zu erzählen gäbe. (fs/mit JJ)Ein kleiner Überblick über Frank Schulzes Sammlung:www.Spark-Plug-Collector.de